Spätestens nach diesem unfassbaren Moment saß im Münchener SAP-Garden niemand mehr. Es lief die Overtime beim Play-in-Spiel des FC Bayern gegen Roter Stern Belgrad, als Nick Weiler-Babb den wahrscheinlich spektakulärsten Pass der Saison spielte. Unter Bedrängnis von gleich zwei Spielern warf er den Ball, mit dem Rücken zum Mitspielern stehend, über den eigenen Kopf und über das gesamte Spielfeld zu seinem Center Devin Booker, der den Ball per Dunk zum vorentscheidenden 94:89 in den Korb hämmerte.
Wie Bayern „von den Toten“ auferstand
„Nein, nein. Der kommt an. Das ist der Pass des Jahrhunderts. Der Pass des Jahrhunderts. Benni, wir waren in der Halle“, brüllte MagentaSport-Experte Per Günther in der Liveübertragung und beschrieb mit seiner Ekstase damit nur zu gut, was ein Großteil der 10.200 Zuschauer in diesem Moment fühlte.
Bayern-Trainer Herbert: „Sie sind von den Toten auferstanden“
Die Bayern hatten es tatsächlich mal wieder geschafft und in heimischer Halle beim 97:93-Erfolg ein wahres Spektakel für sich entschieden. Doch dieses Do-or-die-Spiel toppte noch einmal alle bisherigen Spiele der Saison. Dieser Krimi war wirklich nichts für schwache Nerven.
„Als ich mir mein Team heute Morgen angeschaut habe, sah es so aus, als wenn tote Menschen laufen würden, aber ich muss meinem Team Respekt zollen, sie sind von den Toten auferstanden und haben irgendwie die Energie gefunden, sich durchzubeißen“, lobte Trainer Gordon Herbert nach dem Spiel.
Herbert: „Das Spiel war eine echte Achterbahnfahrt“
Was Herbert damit meinte, war die unglaublich schwere Situation, aus der sich sein Team herauskämpfte. Bayern hatte in den beiden letzten EuroLeague-Wochen mit zwei bitteren Niederlagen die direkte Playoff-Teilnahme regelrecht weggeworfen. Und auch gegen Belgrad merkte man einigen Bayern-Spielern klar an, dass sie nicht bei 100 Prozent waren.
Bei den Münchnern fielen zu wenig Würfe und so zogen die Serben bis zur Halbzeit auf sieben Punkte davon. In Halbzeit zwei entwickelte sich dann eine wahnsinnige Dramaturgie.
Zunächst zogen die Bayern mit einem überragenden Lauf bis zum Ende des 3. Viertels auf zehn Punkte davon. „Das Spiel war eine echte Achterbahnfahrt. Wir hatten ein sehr starkes 3. Viertel, doch dann sind wir gegen eine Wand gelaufen“, sagte Herbert nach dem Spiel.
Und eben vor diese Wand liefen die Bayern so richtig. Belgrad kämpfte sich Punkt um Punkt zurück und so stand für die Bayern in den letzten Sekunden der Lohn der gesamten Saison auf dem Spiel. All die begeisternden Siege in der Königsklasse drohten bedeutungslos zu werden.
Superstar-Edwards wird zum tragischen Helden
Die letzten 15 Sekunden der regulären Spielzeit wurden dann zu einem Drama, wie es auch ein Krimiautor nicht besser hätte schreiben können. In der Hauptrolle: Carsen Edwards, der wie kein anderer Spieler für die furiose Saison der Bayern steht.
Gegen Belgrad quälte er sich mit Rückenproblemen, schnappte sich beim letzten Angriff aber trotzdem den Ball, zog zum Korb und traf knapp zwei Sekunden vor Schluss zum 84:82 und zum vermeintlichen Sieg. Die Halle tobte, Edwards ließ sich zu Recht feiern.
Doch nur wenige Sekunden später wurde er dann zum tragischen Helden. Nach einer Auszeit von Belgrad pennte er beim Einwurf des Gegners komplett, ließ seinen Gegenspieler Filip Petrusev aus den Augen, der ohne Mühe frei unter dem Korb mit der Schlusssekunde doch noch ausgleichen konnte.
„Wir haben uns da einfach verschätzt“, nahm Trainer Herbert seinen Spieler nach dem Spiel in Schutz. Ausgerechnet Edwards hätte dann in der Verlängerung fast noch die Bayern-Saison endgültig weggeworfen. Denn der Guard leistete sich in der Overtime gleich zwei völlig unnötige Turnover.
Herbert gerät nach Sieg mit Belgrad-Star aneinander
Doch die Bayern trotzen auch diesen erneuten Rückschlägen. Auch, weil Kapitän Vladimir Lucic in der Verlängerung aufdrehte und gleich zwei schwere Dreier traf. Nach dem Geniestreich von Weiler-Babb stand dann fest, dass die Bayern erneut den größten Widerständen getrotzt hatten.
Es folgte der finale Akt eines dramatischen Abends und der mit Abstand unschönste: Nach dem Spiel kochten die Gemüter über. Bayern-Trainer Gordon Herbert geriet zunächst mit Mitgliedern des Staffs von Roter Stern aneinander, anschließend wollte Belgrad-Star Nikola Kalinic Herbert sogar an die Gurgel gehen.
Nur mit Mühe konnte 2,02-Meter-Riese zurückgehalten werden. Der Grund der Auseinandersetzungen blieb unklar. Herbert scherzte auf der PK nur: „Wir haben uns über die Eishockey-Ergebnisse der letzten Nacht unterhalten.“
„Es waren einfach viele Emotionen im Spiel. Roter Stern hatte extrem viel Druck, weil sie noch nie in den EuroLeague-Playoffs waren, aber jedes Jahr sehr viel Geld investieren, um es zu schaffen. Ihr Ziel war es sicher, mindestens die Playoffs zu schaffen“, bewertete Bayern-Kapitän Lucic die Situation: „Dementsprechend frustriert waren sie, als es nicht geklappt hat und dann sind ihnen einige Emotionen durchgegangen. Das ist in so einem Spiel aber auch normal.“
Und nicht nur auf dem Feld ging es hitzig zu. Auch auf den Rängen kam es zu zahlreichen Ausschreitungen. Es flogen, während des Spiels und auch nach dem Spiel Becher auf das Feld. Nach einer Massenschlägerei zwischen mehreren Belgrader Fans musste während des Spiels sogar die Polizei den Gästeblock stürmen und einige Fans verhaften.
„Es war ein großer Sieg, aber leider bedeutet der gar nichts“
Von dieser Hektik ließen sich die Bayern aber zu keiner Zeit aus der Fassung bringen und scheinen so auch für die nächste Aufgabe am Freitag gewappnet zu sein. Dann muss der FCBB im zweiten Play-in-Spiel bei Real Madrid antreten. Nur bei einem erneuten Sieg stünde man in den Playoffs, wo dann Vorrundensieger Olympiakos Piräus warten würde.
„Es war ein großer Sieg, aber leider bedeutet der gar nichts“, sagte deshalb auch Lucic: „Wir müssen jetzt nach Madrid fahren und versuchen dort zu gewinnen. Ich bin kein großer Fan der Play-ins, weil es nur ein oder zwei Spiele sind, die deine gesamte Saison entscheiden. Das ist gerade nach so einer starken Saison echt hart.“
Die Königlichen kommen anders als der FC Bayern aus einer enttäuschenden Saison in das Do-or-die-Spiel am Freitag (20:45 Uhr im LIVETICKER). Als einer der Top-Favoriten gestartet, landete man nur mit Mühe auf dem 7. Platz. Zudem vergab man am Dienstag bereits die erste Chance auf eine Playoff-Teilnahme, als man in heimischer Halle im ersten Play-in-Spiel mit 73:81 gegen Paris Basketball unterlag.
Als Vorteil sieht Lucic dies aber nicht: „Ich glaube nicht, das Madrid großen Druck verspürt. Sie waren schon so oft in solch wichtigen Spielen. Sie haben einfach ein unglaubliches Sieger-Gen. Das zeichnet den gesamten Verein, aber auch jeden Spieler aus. Unser Ziel ist es aber trotzdem da zu gewinnen und die Playoffs zu erreichen.“
Ein Sieg in Madrid wäre ein nächstes aberwitziges Kapitel in dieser unglaublichen Saison. Zuzutrauen ist es dem FCBB nach diesem Krimi vom Dienstag auf jeden Fall.