Vom ewigen Zweiten zum Champion. Wie steht es ein Jahr nach dem erlösenden Weltmeistertitel um Michael Smith? Die Antwort auf diese Frage kann der Engländer gleich am ersten Tag der Darts-Weltmeisterschaft 2024 (Alle Spiele LIVE auf SPORT1) geben. Beflügelt ihn die Rückkehr an den Ort seines größten Erfolges oder fällt er zurück in längst vergessen geglaubte Zeiten?
Macht es der Bully Boy wie Wright?
Denn der „Bully Boy“ musste in seiner Darts-Karriere so einige Tiefschläge hinnehmen. In seinem ersten Major-Finale stand Smith 2018 im jungen Alter von 27 Jahren. Im Premier-League-Finale musste er sich allerdings damals Michael van Gerwen, dem zu der Zeit kein Spieler das Wasser reichen konnte, recht deutlich mit 4:11-Legverhältnis geschlagen geben.
Der Engländer blieb aber dran und kämpfte sich noch im selben Jahr in das Endspiel der World Series Finals. In einem dramatischen Spiel vergab der „Bully Boy“ im rein englischen Finale gegen James Wade im Decider fünf Matchdarts und verlor 10:11.
War diese Tragödie der Auslöser für eine mentale Blockade?
Es folgte eine jahrelange Odyssee an verlorenen Major-Endspielen. Darunter zwei Finalniederlagen 2019 und 2022 im prestigeträchtigsten Turnier im Darts-Sport, der Weltmeisterschaft im „Ally Pally“.
Weitere Dramen spielten sich in Endspielen rund um den „Bully Boy“ ab. So auch im Masters-Turnier 2020, als Smith im entscheidenden Leg im Finale gegen den Schotten Peter Wright wieder drei Matchdarts vergab und dadurch als Verlierer von der Bühne ging. Selbst gegen Spieler ohne viel Erfahrung in großen Finals sollte es einfach nicht klappen. Die UK-Open gewann der Niederländer Danny Noppert, nachdem der „Bully Boy“ wieder einmal einen Matchdart verpasste.
Über die Jahre sammelten sich neun Final-Niederlagen - kein einziger Major-Sieg. Eine bis dato bereits unglaubliche Niederlagenserie in großen Endspielen. Wie konnte jemand mit dieser Darts-Begabung es nicht schaffen, den allerletzten Schritt zu gehen, um endlich eine Major-Trophäe in die Höhe zu halten?
Bei allem Talent, die der Engländer mit sich brachte, die mentale Blockade in Endspielen hinderte ihn an einem großen Erfolg, nach dem er so sehr lechzte.
Knoten endlich geplatzt!
Im Laufe des letzten Jahres sollte es dann aber endlich so weit sein. Im Finale des Grand Slam of Darts am 20. November 2022 spielte der in St. Helens lebende Engländer gegen „The Asp“ Nathan Aspinall, dem es über die gesamte Partie nicht gelang, in das Spiel zu finden. Smith sicherte sich einen souveränen 16:5-Sieg und gewann den ersten Major-Titel in seiner Karriere – im zehnten Versuch.
Voller Glück und Erleichterung ging Smith nach dem erfolgreichen Matchdart in die Doppel-20 zu Boden – eine Szene, die bei jedem Darts-Fan nach jahrelangen Qualen für Gänsehaut sorgte.
In der folgenden Weltmeisterschaft 2023 führte der Weg von Smith bis in das Finale. Dort begegnete er Michael van Gerwen, der bis zum Endspiel in 25 gespielten Sets gerade einmal drei verlor. In einem hochklassigen Endspiel setzte sich Smith gegen MVG mit 7:4-Sets durch und bejubelte im legendären Ally Pally in London in seiner dritten Finalteilnahme den ersten WM-Titel.
Zudem spielten die beiden Superstars das wohl legendärste Leg in der Geschichte des Darts. Nachdem van Gerwen seine Neun-Darter-Chance nach einem Fehlwurf auf die Doppel-12 mit dem letzten Pfeil vergab, stand Smith mit bereits sechs perfekten Darts am Oche. Über den klassischen Weg Triple 20, Triple 19, Doppel 12, gelang ihm ein historischer Neun-Darter im WM-Finale.
Mit 500.000 Pfund Preisgeld katapultierte sich der „Bully Boy“ an die Spitze des Sports und schaffte es erstmalig auf die Nummer eins der PDC Order of Merit, der Weltrangliste im Darts.
Doch wie ging es in diesem Jahr weiter für den Champion?
Zunächst solide - zu Jahresende nicht ausreichend
Die erste Jahreshälfte 2023 verlief für den 33-Jährigen recht ordentlich, ohne aber für besondere Furore zu sorgen. Mit Halbfinal-Einzügen im ersten Turnier nach seinem großen Triumph, den Masters, und in der Premier League, konnte Smith in diesen Major-Turnieren seine mitunter besten Saisonleistungen abrufen.
Für eine Finalteilnahme im Major reichte es zwar nicht, allerdings gewann der Engländer das vierte European-Tour-Event in München. Neben dem Sieg im 13. Players-Championship-Turnier, gelang ihm zu Beginn des Jahres noch der Finalerfolg in den Bahrain Masters.
Zwar erreichte der „Bully Boy“ im Oktober noch einmal ein Major-Halbfinale bei dem World Grand Prix, schied allerdings in vielen anderen großen Turnieren viel zu früh aus. Bei den World Series Finals sowie den European Darts Championship überstand der 33-Jährige lediglich die erste Runde, anschließend endete das Turnier jeweils für ihn.
Der Tiefpunkt des Jahres wurde kürzlich bei den Players Championship Finals Ende November erreicht. Smith schied bereits in Runde eins gegen den Niederländer Richard Veenstra, der Nummer 79 der Welt, aus.
Demnach konnte der „Bully Boy“ nach dem WM-Sieg in diesem Jahr kein einziges Major-Finale erreichen. Nachdem die erste Saisonhälfte trotzdem recht ordentlich verlief, sind die Ergebnisse gerade Richtung Ende des Jahres sehr ernüchternd. Nach den großartigen Erfolgen zu Ende des letzten Jahres hat sich das Smith sicherlich anders vorgestellt.
Macht es der „Bully Boy“ wie Peter Wright?
Auch wenn es beim Titelverteidiger derzeit nicht rund läuft, abschreiben darf man ihn auf keinen Fall! Titelanwärter zeigten in der Vergangenheit, dass ein schlechtes Jahr nicht zwangsläufig ausschlaggebend dafür ist, ob die Stars bei der WM auf den Punkt performen können.
Ein perfektes Beispiel dafür ist Peter Wright. Der Schotte kämpfte in den letzten Jahren immer wieder mit deutlichen Leistungsschwankungen. So auch im Jahr 2019, als seine Performance ebenfalls über weite Strecken durchwachsen war. Und bei der WM? „The Snakebite“ krönte sich erstmalig in seiner Karriere Anfang des Jahres 2020 zum Weltmeister.
Michael Smith hat definitiv das Zeug dazu, auch bei dieser WM wieder zuzuschlagen und seinen Titel zu verteidigen, auch wenn es derzeit eine Delle in der Formkurve gibt. Trotzdem gibt es viele Spieler im Darts-Kosmos, die Titelchancen für sich beanspruchen. Es wird schwer für den „Bully Boy“, doch die mittlerweile erreichten Erfolge werden der Nummer eins der Welt mit Sicherheit das nötige Selbstvertrauen und die mentale Stärke gegeben haben.