Um exakt 22:25 Uhr war der Moment der historischen Erlösung. Schiedsrichter Max Burda pfiff das Spiel ab. Tausende von Fans stürmten auf das Feld. Der Stadionsprecher verkündete, was jeder wusste - und trotzdem gerne noch einmal hörte: „SSV Ulm 1, HSV 6, damit steht es fest. Der HSV spielt in der kommenden Saison in der 1. Fußball-Bundesliga!“
Fans wollten HSV-Katakomben stürmen
Spieler wie Davie Selke, Jonas Meffert oder Ransford Königsdörffer waren zu diesem Zeitpunkt längst von unzähligen Fans umgeben und hüpften freudig umher. „Das war geil, einfach geil, mehr kann ich dazu nicht sagen“, sagte Meffert später über diese besonderen Augenblicke. Sämtliche Spieler hatten sich ein T-Shirt mit dem Slogan: „Der HSV ist wieder da“ übergestülpt.
„Es waren tausende Emotionen“, sagte Stürmer Robert Glatzel über den Moment der Euphorie. „Man hat Erinnerungen an all das, was passiert ist. Man kann es irgendwie nicht begreifen. Man sieht die Menschenmenge. Man weiß, es ist vollbracht. Aber irgendwie ist es noch immer nicht zu 100 Prozent bei einem angekommen. Ich glaube, das wird noch ein bisschen dauern. Es ist unfassbar, was für eine Reise wir mit diesem Verein hingelegt haben.“
In den Katakomben war kaum ein Spieler anzutreffen, der keine Bierflasche in der Hand hatte – oder ein überdimensioniertes Bierglas. „Nie mehr 2. Liga, nie mehr, nie mehr“, sangen die Spieler tanzend. Wenige Meter davon entfernt kochten die Emotionen über. Euphorisierte Fans versuchten, in die Katakomben zu gelangen. Ein Großaufgebot von Polizisten konnte dies verhindern. Danach wurde weiter gefeiert.
Ein Tag, um Geschichte zu schreiben
Das Kribbeln war bereits Stunden vor Spielbeginn spürbar. Wer durch die Stadt ging, hörte überall Menschen über den HSV sprechen. „Bist du heute im Stadion?“, war gefühlt die meistgestellte Frage. „Wir treffen uns nachher am Mittelkreis“, sagte ein Fan lachend zu seinem Kumpel und spielte damit auf den späteren Platzsturm an. „Dort werden alle sein“, antwortete der andere. Manch einer in Hamburg hatte sich sogar extra eine HSV-Fahne zugelegt, um diese auf seinem Grundstück zu hissen.
Rund um das Stadion herrschte Vorfreude pur. Hunderte HSV-Anhänger begrüßten den Mannschaftsbus, als dieser am Volksparkstadion eintraf. „Mein Hamburg lieb ich sehr“, sangen die Fans wie üblich direkt vor dem Spiel – diesmal allerdings lauter als sonst. Ehe der Stadionsprecher die Mannschaftsaufstellung verlas, schrie er ins Mikrofon: „Heute ist ein Tag, um Geschichte zu schreiben - und heute ist unser Tag.“
Der frühe Gegentreffer sorgte zwar für einen kurzen Schock. Doch dann spielte sich der HSV in einen Rausch. Als 80. Minuten vorüber waren, es stand zu diesem Zeitpunkt 5:1, hatte auch Sportvorstand Stefan Kuntz keinen Zweifel mehr am Aufstieg. Freudig umarmte er seinen Nebenmann, den Vorstand für Finanzen Dr. Eric Huwer. Freude und Erleichterung spiegelten sich in ihren Gesichtern wider.
„Wir haben uns nicht unterkriegen lassen“
Seitdem der HSV im Sommer 2018 erstmals aus der Bundesliga abgestiegen war, scheiterten sie sechsmal knapp am Wiederaufstieg. Viermal beendeten sie eine Spielzeit auf Rang 4, zweimal unterlagen sie in der Relegation.
Was der Grund dafür ist, dass der HSV es in dieser Saison geschafft hat? „Ich finde, heute war das beste Beispiel. Wir haben uns nicht unterkriegen lassen - egal was passiert“, sagte Meffert im Gespräch mit SPORT1. „Das war auch in den letzten Wochen schon so: Immer positiv bleiben, immer weiter - egal, was für Rückschläge es gibt.“
Zwar verfügte der HSV auch in vergangenen Spielzeiten über eine gute Mannschaft. „Aber vielleicht war der Spirit diesmal einen Tick größer und extremer. Und es gab ein, zwei Neuverpflichtungen, die uns einfach gutgetan haben“, so Meffert. Eine dieser Neuverpflichtungen ist Davie Selke, der gegen Ulm seinen 22. Saisontreffer erzielte und vermutlich Torschützenkönig der 2. Bundesliga wird.
Zwei Jungs aus Hamburg erfüllten sich ihren Traum
Trainer Merlin Polzin glaubt, dass die Mannschaft durch frühere Misserfolge sogar gereift ist. „Die Frage ist, ob man das Scheitern als endgültig betrachtet oder daraus einen Prozess macht. Wir haben es immer so begriffen, dass wir aus der Vergangenheit lernen wollen. Nur das kann einen nach vorne bringen. Und das haben wir getan. Wir haben aus den letzten Jahren unsere Rückschlüsse gezogen“, so Polzin auf Nachfrage von SPORT1.
„Die Mannschaft hat - gerade was die Leader (Führungsspieler, Anm.d.Red.) angeht - unfassbar viel Arbeit und Energie reingesteckt. Das war unser Anspruch, weil wir Gewinner sein möchten. Ich bin sehr froh über den gemeinsamen Weg, den wir gegangen sind.“
Es ist eine besondere Geschichte, dass mit Polzin und Co-Trainer Loïc Favé ausgerechnet zwei gebürtige Hamburger den HSV zurück in die Bundesliga führten. „Zwei Jungs aus Hamburg, Eimsbüttel und Bramfeld haben ihren Traum verwirklichen können. Es ging aber weniger um Loïc und mich, sondern darum, dass wir als Mannschaft etwas Großes erreichen wollten. Das haben wir heute getan“, sagte Polzin.
Als früherer Fan, der sogar bei Auswärtsspielen im Fanblock stand, weiß er um die Bedeutung des Vereins: „Der HSV ist einer der größten Vereine, was die Mitgliederzahlen angeht. Der Verein hat überall in Deutschland, in Europa und auf der Welt Fans“, so Polzin. Oder um es mit den Worten von HSV-Verteidiger Daniel Elfadli zusammenzufassen: „Dieser Verein gehört in die 1. Liga.“