Als SPORT1 Youri Mulder zum Interview in der Veltins-Arena trifft, grinst der Direktor Profifußball vom FC Schalke 04 über beide Ohren. Die Vorfreude auf den Liga-Auftakt im heimischen Stadion steht ihm ins Gesicht geschrieben.
FC Schalke 04: "Wir wollen keinen Angsthasenfußball"
Schalke: „Keinen Angsthasenfußball“
Vieles soll, vieles muss auf Schalke in dieser Spielzeit besser werden. Mit einem neuen Trainer und einem neuen Sportvorstand soll in Gelsenkirchen endlich das einkehren, was in den vergangenen Jahren unmöglich schien: Konstanz.
Im exklusiven Gespräch mit SPORT1 spricht Mulder über die Schalker Saisonziele und über die Rückkehr zum alten Glanz. Außerdem kündigt der 56-Jährige weitere Neuzugänge an – obwohl ihm das lange Transferfenster ein Dorn im Auge ist.
Schalke: Große Vorfreude auf den Saisonstart
SPORT1: Herr Mulder, am Freitag eröffnet Schalke 04 die Saison mit einem Heimspiel gegen Hertha BSC (ab 20.30 Uhr im LIVETICKER) – natürlich restlos ausverkauft. Wie groß ist die Vorfreude auf dieses Spiel?
Mulder: Es kribbelt schon richtig. Ich kann kein Testspiel mehr sehen (lacht). Ich glaube, jeder Spieler ist froh, wenn die Vorbereitung vorbei ist. Und die Fans sowieso. Das hat man am Schalke-Tach gesehen. Da waren 80.000 Anhänger vor Ort. Die Vorfreude ist riesig.
SPORT1: Mit Hertha bekommen Sie es direkt mit einem Schwergewicht zu tun. Die Berliner haben hohe Ansprüche, sprechen ganz offensiv über den Aufstieg und haben ordentlich investiert. Wie sehen Sie das Kräfteverhältnis?
Mulder: Das werden wir am Freitag sehen. Natürlich ist Hertha ein starker Gegner, aber die gesamte 2. Liga ist wieder richtig gut. Das war letztes Jahr schon so. Es gibt kein Spiel, das ein Selbstläufer wird – für keine Mannschaft.
Keine Sorge vor dem Auftaktprogramm
SPORT1: Nach Hertha kommen Kaiserlautern, Bochum, Dresden, Kiel, Magdeburg – ein knackiges Auftaktprogramm. Besteht Grund zur Sorge, dass es auf Schalke wieder schnell unruhig werden könnte?
Mulder: Nein! Irgendwann müssen wir gegen jeden Gegner spielen. Wir hatten uns das genauso gewünscht und freuen uns jetzt darauf. Am Freitag gleich ein Topspiel austragen zu dürfen, ist doch super.
SPORT1: Wer ist denn Ihr Aufstiegsfavorit?
Mulder: Ich glaube das kann man nicht sagen. Letztes Jahr waren unterschiedliche Mannschaften an der Spitze: Köln, HSV, aber auch Paderborn oder Düsseldorf. Elversberg konnte als Dritter für eine Überraschung sorgen. Auch diesmal ist vieles möglich. Aber natürlich werden auch die starken Bundesliga-Absteiger Bochum und Kiel eine Rolle spielen. Ich glaube, dass wieder ganz viele Mannschaften oben mitspielen können, und ich hoffe, dass wir bei diesem anspruchsvollen Auftakt-Programm gut in die Saison starten.
Mulder: „So und nicht anders“
SPORT1: Was ist denn das Saisonziel auf Schalke?
Mulder: Das Ziel ist, nicht den Trainer zu wechseln. Das würde bedeuten, dass vieles richtig läuft. Als Sportler strebe ich immer nach dem Größten, bin aber auch Realist, gerade nach den letzten beiden Saisons. Wir gehen nicht her und sagen, dass wir Meister werden und aufsteigen müssen. Ich denke, so weit sind wir noch nicht. Wichtig ist erst mal, dass wir gut in die Saison starten.
SPORT1: Sie sprechen es schon an: Konstanz, gerade auf der Trainerbank, war auf Schalke zuletzt ein Fremdwort. Mit Miron Muslic soll das anders werden. Was macht er besser als Kees van Wonderen?
Mulder: Das möchte ich nicht bewerten. Die Vorgänger sind auch alle gute Trainer. Aber: Miron Muslic hat von Anfang an eine klare Spielidee gehabt und der Mannschaft klare Anweisungen gegeben. Nach dem Motto: So und nicht anders. Die neue Spielidee lässt er jetzt Tag für Tag trainieren - mit voller Intensität.
„Als Spieler war ich komplett anders“
SPORT1: Haben Sie keinen Tabellenplatz als Ziel ausgegeben?
Mulder: Nein, wir wollen uns Schritt für Schritt entwickeln und vor allem wieder besseren Fußball spielen. Man darf nicht vergessen: Aus den letzten acht Ligaspielen der vergangenen Saison haben wir nur einen Punkt geholt. Das geht nicht. Das muss sich ändern. Wir wollen Gewinner auf dem Platz, die mutigen und intensiven Fußball spielen.
SPORT1: Sie sind zurückhaltend, was die Ziele betrifft …
Mulder: Als ich Spieler war, war das komplett anders. Da habe ich immer vor dem Spiel gesagt: Die hauen wir weg (lacht). Das ist jetzt schwieriger.
SPORT1: Wieso eigentlich?
Mulder: Als Spieler hast du darüber nicht groß nachgedacht. Diese Sprüche haben mich sogar motiviert. Ich könnte jetzt natürlich sagen: ‚Hertha hauen wir weg‘. Es bringt aber nichts, große Töne zu spucken. Weniger reden, mehr arbeiten – darum geht es. Heutzutage fliegt dir so ein Spruch eh nur um die Ohren. Das hat aber nichts mit Tiefstapeln zu tun.
Mulder sieht Defensivdefizite
SPORT1: Die Bilanz in der Vorbereitung war in Ordnung: vier Siege, zwei Niederlagen, zwei Unentschieden – immerhin viermal zu Null. Wo sehen Sie noch Luft nach oben?
Mulder: Überall. Defensiv sind wir aber tatsächlich schon deutlich besser und kompakter. Darauf legen wir viel Wert. Und wenn wir stabil stehen und wenig zulassen, dann wächst das Vertrauen – auch für Offensivaktionen.
SPORT1: In den vergangenen beiden Spielzeiten war Schalke die Schießbude der Liga (62 Gegentore) …
Mulder: Wir haben in der vergangenen Saison nur ein Tor weniger geschossen als Köln, aber mehr als 60 Gegentore kassiert. Das muss besser werden. In dem Bereich wollten wir ansetzen und haben uns auch dementsprechend verstärkt.
„Stand jetzt steht der Kader“
SPORT1: Mit Nikola Katic, Timo Becker und Hasan Kurucay. Dazu hat Eigengewächs Mertcan Ayhan einen Profivertrag erhalten. Was erwarten Sie von den Neuzugängen?
Mulder: Das sind alles gute Verteidiger. Uns war aber auch wichtig, dass die Spieler Führungsqualitäten und Erfahrung mitbringen. Wir haben bewusst Spieler dazugeholt, die das Spiel lesen und dirigieren können. Auch das hat uns letztes Jahr gefehlt. Und Mertcan ist ein Beweis dafür, dass die Jungs hier in der Knappenschmiede richtig gut ausgebildet werden.
SPORT1: Was muss noch auf dem Transfermarkt passieren?
Mulder: Das hängt davon ab, wen wir noch abgeben. Stand jetzt steht der Kader. Aber wir haben ja auch noch vier Wochen und da wird bestimmt noch einiges passieren.
„Das wäre nicht verantwortungsvoll“
SPORT1: Pape Meissa Ba steht vor dem Absprung. Auch Moussa Sylla und Taylan Bulut gelten als Abwanderungskandidaten. Wie ist da der Stand?
Mulder: Pape ist in Gesprächen, endgültig ist da aber noch nichts. Wir hoffen, dass er eine neue Herausforderung findet. Taylan Bulut und Moussa Sylla trainieren jeden Tag mit und sind fester Bestandteil unseres Kaders. Sie fiebern dem Start entgegen. Sportlich sind sie natürlich eine Bereicherung und wir sind froh, dass sie am Freitag auf dem Platz stehen können.
SPORT1: Schalke 04 hat 150 Millionen Euro Schulden. Ist der Verein nicht gezwungen, Spieler wie Bulut und Sylla, die rund 14 Millionen Euro einbringen würden, abzugeben? Immerhin hat der Verein durch die Fördergenossenschaft rund acht Millionen Euro eingenommen. Verändert das die Situation?
Mulder: Das ist eine Frage für den Vorstand. Aber die Situation auf Schalke ist immer noch die gleiche: Wenn wir Geld verdienen können, dann müssen wir immer darüber nachdenken. Wir können Anfragen für Spieler nicht einfach ablehnen. Das wäre nicht verantwortungsvoll.
Mulder denkt an Raúl zurück
SPORT1: Das Transferfenster ist noch bis Ende August geöffnet. Zu lang?
Mulder: Am liebsten wäre es mir, das Transferfenster vor Saisonbeginn zu schließen. Das geht aber nicht, weil es europaweit geregelt ist und wir zwei, drei Wochen vor anderen Ligen starten. Es ist ärgerlich, dass Vereine die besten Spieler eines anderen innerhalb der Saison wegkaufen können. Aber noch mal: Sollten wir gutes Geld bekommen, werden wir darüber auch nicht traurig sein.
SPORT1 Vor 15 Jahren wechselte ein gewisser Raúl zu Schalke. Macht Sie das traurig, wenn sie die Situation von damals mit der heutigen vergleichen?
Mulder: Wenn ich auf diese Zeit gucke, freue ich mich. Das war wirklich toller Fußball. Irgendwann kommen wir dahin zurück. Davon sind wir überzeugt und arbeiten dafür jeden Tag. Das geht aber nicht von heute auf morgen.
Mulders Versprechen an die Schalke-Fans
SPORT1: Was hat Frank Baumann (Sportvorstand seit dem 1. Juni) bislang schon bewirkt?
Mulder: Sehr viel! Die Erfahrung, die er aus Bremen mitbringt, ist top. Bei Werder war Konstanz das oberste Gebot. Und das vermittelt er. Er hat dafür gesorgt, dass es eine gute und klare Rollenverteilung gibt. Jeder weiß, was er machen muss, und das hilft uns sehr.
SPORT1: Die Euphorie auf Schalke ist trotz der beiden vergangenen Saisons gigantisch. Was können Sie den Fans für diese Spielzeit versprechen?
Mulder: Wir haben uns einiges vorgenommen: Mut und Selbstvertrauen, mit Herz verteidigen, mit voller Überzeugung aufs Tor schießen. Genau das möchte ich sehen, wenn ich als einer von 60.000 im Stadion bin. Wir wollen Gewinnertypen, keinen Angsthasenfußball. Sollte das Ergebnis dann mal nicht stimmen, ist das nicht schlimm – sofern wir auf dem Platz alles geben. Das muss Schalke wieder auszeichnen.