Bei Hannover 96 ist in diesem Sommer vieles neu. Christian Titz steht nach seinem Wechsel aus Magdeburg an der Spitze der Veränderungen bei den Niedersachsen.
Titz vom FC Barcelona inspiriert: "Das hat mich schwer beeindruckt"
Ein bisschen Barcelona
In Sachsen-Anhalt führte der 54-Jährige den FCM aus dem Abstiegskampf der 3. Liga fast in die Bundesliga. Mit den Niedersachsen soll der Schritt ins Oberhaus gelingen.
Im exklusiven SPORT1-Interview spricht der Übungsleiter über seinen Abschied aus Magdeburg, die Möglichkeiten in Hannover trotz des Kaderumbruchs und die Inspiration für seinen mutigen Offensivfußball.
SPORT1: Herr Titz, willkommen in Hannover. Sie sind hierher gewechselt, um den nächsten Schritt in Ihrer Karriere zu gehen. Wie schwer ist es Ihnen dennoch nach viereinhalb sehr erfolgreichen Jahren in Magdeburg gefallen, dieses Kapitel zu beenden?
Christian Titz: Ich habe in Magdeburg wirklich eine außergewöhnlich gute Zeit gehabt. Mit dem Klub, mit den Menschen, wie sie mich empfangen haben. Wie sie mich aufgenommen haben, wie wir auch gemeinsam unsere Ziele umsetzen konnten und ein Team geformt haben. Wir haben damals in der Corona-Zeit angefangen und plötzlich war das Stadion wieder voll und es entstand eine ganz besondere Atmosphäre. Es war grundsätzlich nicht leicht, sich davon zu trennen, weil wir als Trainerteam über die Jahre mit der Mannschaft zusammengewachsen sind und eine sehr gute Beziehung hatten. Aber es kam jetzt der Moment, in dem ich das Gefühl hatte, dass wir sehr weit gekommen sind und es Zeit für etwas Neues ist. Ich bin sehr dankbar für das Kapitel in Magdeburg und schaue zufrieden auf die vergangenen Jahre zurück.
Hannover 96? „Die Konstellation passt außergewöhnlich gut“
SPORT1: Den FCM haben Sie aus dem Abstiegskampf der 3. Liga ins Aufstiegsrennen der 2. Bundesliga geführt. Durch Ihre Erfolge trauen Ihnen viele Experten auch einen Posten in der Bundesliga zu. Gab es für Sie in diesem Sommer die Chance, diesen Schritt zu gehen?
Titz: Diese Frage hat sich mir so nie gestellt. Für mich ging es erst einmal darum, was willst du nach fast fünf Jahren in Magdeburg machen? Möchtest du dir eine Pause nehmen oder direkt wieder eine Mannschaft übernehmen? Und wenn ja, welche Möglichkeiten ergeben sich und wie könnte eine Zusammenarbeit aussehen? Hier bei Hannover 96 habe ich direkt gemerkt, dass die Konstellation außergewöhnlich gut passt.
SPORT1: 2018 waren Sie bereits als Coach in der Bundesliga beim Hamburger SV tätig. Ist es Ihr persönliches Ziel, mit Hannover wieder ins Oberhaus zurückzukehren?
Titz: Ich denke, jeder, der entweder Fußball spielt oder trainiert, möchte grundsätzlich immer ans Maximum herankommen und so weit oben spielen, wie es geht. Da werden Sie alle 17 anderen Vereine fragen können und immer dieselbe Antwort bekommen. Wir wissen aber auch, dass wir hier im Sommer einen großen Umbruch hatten und die Mannschaft neu aufbauen müssen. Unser Fokus gilt daher voll und ganz den Herausforderungen der 2. Bundesliga und dem schwierigen Saisonstart gegen Kaiserslautern und Düsseldorf.
SPORT1: Viereinhalb Jahre sind im Fußballgeschäft keine kurze Zeit. Inwiefern entdeckt man sich selbst und den Job als Trainer neu, wenn man eine neue Aufgabe beginnt?
Titz: Sich neuen Herausforderungen anzunehmen, ist für mich das Spannendste an diesem Job. Von Verein zu Verein unterscheiden sich die Kulturen, Strukturen und Anforderungsprofile. Auch die Erwartungshaltung im und um den Klub ist immer unterschiedlich. Ich finde es persönlich immer interessant, etwas Neues aufzubauen.
„Für mich ist der Strafraum die Risikozone“
SPORT1: Typisch für Ihre Spielidee ist die aktive Rolle des Torhüters im Aufbau. Mit Ron-Robert Zieler hat eine wahre Legende auf dieser Position den Verein verlassen. Dafür wurde Nahuel Noll aus Hoffenheim verpflichtet, der sich mit Leo Weinkauf um den Platz zwischen den Pfosten duelliert. Wie sehen Sie sich, gerade im Hinblick auf die Aufgaben im Ballbesitz, im Tor aufgestellt?
Titz: Gut. Ich finde aber, dass mittlerweile viele Mannschaften den Keeper noch extremer im Aufbau integrieren als wir. Für mich ist der Strafraum die Risikozone, weshalb da die Sicherheit im Vordergrund steht. Wenn wir höher stehen, dann möchten wir unseren Torhüter miteinbeziehen und unsere Zielspieler in Szene setzen. Ich sehe uns da aber mit beiden Jungs gut aufgestellt. Sowohl im torwartspezifischen Spiel auf der Linie als auch bei den Fähigkeiten mit dem Ball am Fuß.
SPORT1: Neben Zieler haben unter anderem mit Marcel Halstenberg und Phil Neumann zwei weitere Führungsspieler aus der Hintermannschaft den Klub verlassen. Könnte es dadurch vor allem in der Defensive zu Beginn etwas wilder werden?
Titz: Das sind allesamt enorm gute Spieler, die hier in der Vergangenheit für einen hohen Qualitätsstandard gesorgt haben. Somit sind die Verluste auf den ersten Blick ein Nachteil. Für uns hatte es wiederum den Vorteil, dass wir zum Start gemeinsam mit dem Verein unsere Ideen einbringen und umsetzen konnten. Dadurch sehen wir darin vor allem eine Chance für uns. Natürlich dauert es immer, eine Spielphilosophie mit einer neuen Mannschaft zu verinnerlichen. Aber in den vergangenen Tagen hat man schon gesehen, dass es immer stabiler geworden ist.
Der FC Barcelona unter Johan Cruyff als Inspiration
SPORT1: Hatten Sie für Ihre offensive, kombinationsfreudige Spielidee eine Inspiration?
Titz: Ja. Man muss dazu aber sagen, das war zu einer Zeit, in der es noch kein Internet und keine Handys gab. Ich habe mal einige Ausschnitte von Barcelona unter Johan Cruyff gesehen und das hat mich schwer beeindruckt. Er war damals mit seiner Art, Fußball spielen zu lassen, seiner Zeit weit voraus. Meine Philosophie ist allerdings auch ein Stück weit über die Jahre von selbst entstanden. Über die Arbeit mit Jugendmannschaften, mit Junioren und später auch mit Erwachsenen hat sich diese Form entwickelt. Insgesamt ist es mir wichtig, dass wir immer aktiv sein wollen. Mit und ohne den Ball.
SPORT1: Am Sonntag geht es zum Saisonstart gegen den 1. FC Kaiserslautern (13.30 Uhr im LIVETICKER) und damit gegen einen weiteren Aufstiegskandidaten. Ist die Begegnung direkt eine Standortbestimmung?
Titz: Generell würde ich sagen, dass es in der 2. Bundesliga keine einfachen Spiele gibt. Kaiserslautern ist natürlich eine gute Mannschaft, die sich auch auf dem Transfermarkt noch einmal verstärkt hat. Sie haben in der vergangenen Spielzeit bereits gezeigt, dass sie um den Aufstieg mitspielen können und über enorme Qualität verfügen. Wir spielen vor unseren Fans und allein daher ist das Spiel enorm wichtig für uns. Aber eine Standortbestimmung würde ich es nicht nennen, da jede Woche ein schweres Spiel auf uns wartet.