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Das verhängnisvolle Bier des deutschen Co-Trainers

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Das verhängnisvolle Bier des deutschen Co-Trainers

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Ein verhängnisvolles Bier

Der deutsche WM-Titel 1974 feiert ein besonderes Jubiläum. Abseits des Platzes spielten sich verrückte Geschichten ab, die heute so nicht mehr denkbar wären.
Es war ein Team voller Hochbegabter, doch lange keine Einheit: Die Heim-WM 1974 beginnt mit dem großen Zoff in der deutschen Mannschaft - und endet doch noch mit dem Titel.
Udo Muras
Udo Muras
Der deutsche WM-Titel 1974 feiert ein besonderes Jubiläum. Abseits des Platzes spielten sich verrückte Geschichten ab, die heute so nicht mehr denkbar wären.

Heute vor 50 Jahren wurde Deutschland Weltmeister im eigenen Land. Doch der Weg dorthin war lang und voller Hindernisse.

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Am schlimmsten für die Spieler war die Kasernierung in der spartanisch ein- und ausgerichteten Sportschule Malente, die zehn Tage vor Turnierbeginn begann und 19 Tage, bis zum Ende der Vorrunde währte. In der schleswig-holsteinischen Peripherie wurden die Weltstars von Langeweile geplagt. „In Malente wirst Du wahnsinnig“, jammerte Franz Beckenbauer. Dabei war doch eine Menge los, es kam nur manches erst viel später raus.

Die Spieler hatten viel Freizeit, bloß selten Ausgang. Höhepunkt war ein Ausflug ins Legoland - für 22 erwachsene Fußballspieler. Lieber spielten sie in Malente Tischtennis. Im Dachgeschoss der Sportschule wurden zwei Platten aufgestellt. Gleich nach der Ankunft am 29. Mai wurde ein Turnier organisiert, an dem auch Bundestrainer Helmut Schön und Busfahrer Walter Kohr teilnahmen, während der im Tischtennis alle überragende Bernd Hölzenbein auf sanften Druck von Gerd Müller, der schlecht verlieren konnte, zunächst ausgeschlossen wurde.

Uli Hoeneß war Chronist des Turniers und hielt alle Ergebnisse fest. Beckenbauer publizierte sie in seinem WM-Tagebuch. Da stand unter dem 8. Juni zu lesen: „Tischtennis gespielt, vier Sätze, alle gewonnen, dreimal Schneider, einmal 21:19.“ Den Gegner verschwieg er aus Höflichkeit. Gerd Müller kann es nicht gewesen sein, denn der kam ins Endspiel gegen Ersatztorwart Norbert Nigbur. Auf dem Weg dahin hatte Müller Rainer Bonhof (2:1 nach Sätzen), Günter Netzer (2:1), Herbert Wimmer (2:0) und Kohr (2:1) ausgeschaltet.

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Souverän besiegte er im Finale Nigbur dann mit 21:14 und 21:19, ehe er sich den Journalisten „stellte“. Müller: „Das Tischtennis hat viel zur Abwechslung beigetragen. Die Tage sind doch schneller vergangen, als wir gedacht haben.“ Damit stand er allerdings alleine da.

Nach dem grausamen Attentat bei den Olympischen Spielen in München 1972 und wegen des Wachsens terroristischer Gefahren im eigenen Land (Baader-Meinhof-Gruppe) wurde die Nationalmannschaft streng bewacht. Die Sicherheitsmaßnahmen, zuständig war die Schutzpolizei Eutin und das SK Lübeck, erhielt sogar einen Decknamen: „Operation Freischütz.“ Zeitungen schrieben Ende Mai: „Malente - eine belagerte Festung. " Polizisten mit Hunden und Sprechfunkgeräten prägten das Bild, durch das stählerne Eingangstor kam kein Unbefugter.

Auch Franz Beckenbauer hatte eine Pistole

Selbst auf dem sonntäglichen Kirchgang, auf den etwa die Katholiken Rainer Bonhof und Wolfgang Overath nicht verzichten wollten, wurden die Stars begleitet.

Diejenigen Beamten, die rund um die Uhr bei der Mannschaft waren, trugen Maschinenpistolen und gehörten der berühmten GSG9-Einheit an. Was keiner wusste: Auch Franz Beckenbauer hatte aus Angst vor Entführung eine kleine Pistole dabei und im heimischen Garten in Grünwald erste Schießübungen gemacht. In Malente brauchte er sie zum Glück nicht.

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Es war übrigens keinem Spieler erlaubt, seinen Zimmerpartner (immer zwei zusammen) zu verraten, auch diese Information hätte Attentätern nützen können.

Trotzdem büxten immer mal Spieler im Einverständnis mit den GSG9-Leuten aus, meist in einen Biergarten. Wenn sie in der Dunkelheit zurückkamen, raunten sie die Parole „Helmut“ und wurden durchgelassen. Sie war dem Bundestrainer Schön gewidmet, der sie natürlich brav in ihren Betten wähnte.

Co-Trainer von Schäferhund belagert

Weniger glimpflich endete die nächtliche Rückkehr von Co-Trainer Jupp Derwall von einem allerdings genehmigten Ausflug. Er hatte das Spiel DDR-Australien in Hamburg beobachtet und traf nachts in Malente ein. In der Sportschule brannte kein Licht mehr, er wollte sich noch ein Bier in der Küche holen und dann aufs Zimmer schleichen.

Da blitzten ihn zwei Augen an und er vernahm ein leises Knurren. Auch die Wächter schliefen zu dieser Zeit, überließen die Bewachung ihren Schäferhunden. Da mit denen nicht zu reden war, kauerte Derwall verängstigt über eine Stunde auf dem Boden der Diele, konnte weder vor noch zurück. „Ich sah keine Chance für mich, diese Nacht in meinem Bett zu verbringen“, gab er später zu. Dann kam endlich ein GSG 9-Mann, machte das Licht an, lachte sich schlapp und befreite Trainer und Hund aus dem Zustand gegenseitigen Belauerns.

Einen Spaß mit den Wachleuten machte sich natürlich wieder mal Sepp Maier. Der Hamburger Senat hatte den Spielern Schiffsglocken geschenkt und nur der Spaßvogel im deutschen Tor und Team wusste damit was anzufangen. Eines Nachts läutete er damit wie verrückt aus seinem Fenster und brüllte „Überfall“. Die Beschützer sprangen aus ihren Betten und suchten vergeblich nach Attentätern und nach dem Verursacher des Alarms. Den entdeckten sie, wenn überhaupt, erst Jahre später in Maiers Memoiren.

Absurde Geschichte um geplatzte Autogrammstunde

Die WM war ein großes Geschäft. In Malente drehte sich anfangs viel ums Geld. Da war der legendäre Prämienkrach kurz vor dem Start, während dem Bundestrainer Schön und Paul Breitner mit Abreise drohten. Schön hatte auf DFB-Anweisung zuvor sogar einen Ersatzkader mit 18 Spielern zusammengestellt, falls die Stars ihre Boykottandrohung (mehr Geld für den Titel oder wir fahren heim) durchgezogen hätten. Schließlich einigte man sich beiderseits Zähne knirschend auf 70.000 D-Mark.

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Einmal aber setzte Schön sich gegen die wirtschaftlichen Interessen der Spieler durch. Nach dem 0:1 gegen die DDR verbot er alle Autogrammstunden. Dumm nur, dass die Spieler 15.000 Bälle zu unterschreiben hatten, pro Autogramm gab es eine Mark. Bei der WM kamen sie nicht mehr dazu, also wurden die restlichen Bälle zerschnitten. Jeder Spieler bekam einen Stapel mit mehreren tausenden Flicken nach Hause geschickt zum Signieren, die dann wieder zusammengenäht und an Aral-Tankstellen verkauft wurden.

Ein anderes Geschäft platzte - wegen der Geldgier von Günter Netzer. Ein Fotograf war ins Camp gekommen und hatte für Farbporträts aller Spieler und Trainer pro Person Schecks über 4000 DM ausgestellt. Mit der Bitte, sie nicht vor dem Finale einzulösen. Der ihnen nicht erklärte Hintergrund: die Schecks waren nicht gedeckt, aber bei einem WM-Sieg erhoffte sich der Fotograf die Porträts teuer verkaufen und die Prämien zahlen zu können. Netzer aber dauerte das alles zu lange, die Sache flog auf und alle Schecks waren geplatzt. Netzer musste sich deshalb noch manchen Spruch anhören, denn der Plan des Fotografen wäre ja aufgegangen.

„Wenn es einen Elfmeter gibt, konferieren wir noch mal!“

Die Spieler liebten Helmut Schön, auch weil er nicht gerade autoritär war. Was auch Nachteile hatte. So gelang es ihm nicht, vor dem Finale gegen die Niederlande einen Elfmeterschützen zu bestimmen. In der Abschlussbesprechung weigerten sich Gerd Müller und Franz Beckenbauer entschieden und so vertagten sie sich auf später. Noch im Kabinengang des Olympiastadions rief Schön Beckenbauer nach: ‚Franz, was ist denn jetzt?‘ - und bekam keine Antwort. Also sagte Schön ungehalten: „Wenn es einen Elfmeter gibt, konferieren wir noch mal!“

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Nach 25 Minuten gab es ihn und der keineswegs vorgesehene Paul Breitner nahm sich den Ball, eigentlich in der Absicht, ihn einem Schützen zu geben. Als keiner kam, fragte ihn Wolfgang Overath ungläubig: „Willst Du den jetzt schießen!“ Breitner: „Ja, das siehst Du doch!“ Das musste sich Breitner hinterher alles erzählen lassen, denn „zwei Minuten war ich in Trance“. Quasi in geistiger Umnachtung verwandelte er locker zum 1:1. Als er sein Tor am nächsten Morgen in der Wiederholung sah, bekam er Schweißausbrüche. Gut für Deutschland, dass die Angst vor der eigenen Courage erst mit einem Tag Verzögerung kam.

Bundestrainer sucht verzweifelt nach Hotel

Nach dem Finale wurde gefeiert. Die Spieler wegen eines Eklats um nicht zugelassene Partnerinnen schon bald separat und weniger ausgelassen als der Bundestrainer. Helmut Schön trank im Münchner Sheraton-Hotel im Freundeskreis einen über den Durst, die Last der WM-Wochen war von ihm abgefallen. Dass keiner mehr vom DFB da war, merkte er etwas zu spät. So konnte ihm keiner sagen, in welches Hotel man ihn eingebucht hatte.

Ein noch fahrtüchtiger Bekannter fuhr ihn deshalb durch halb München, zu diversen in Frage kommenden Hotels. Überall wurde der Mann, der Deutschland Stunden zuvor zum WM-Titel geführt hatte, abgewiesen. In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 1974 fand der Weltmeistertrainer sein Bett nicht. Ohne Gepäck, Schlafanzug, Rasierapparat und Zahnbürste buchte er sich schließlich ins Holiday Inn ein, wo für ihn zwar auch nichts reserviert, aber wenigstens noch ein Zimmer frei war.

Am nächsten Morgen versorgte er sich an der Rezeption mit dem Nötigsten - und im Frühstücksraum entdeckte er plötzlich Teile seiner ihn frech angrinsenden Mannschaft. Sein Gepäck hatte er aber immer noch nicht, das war in einem anderen Hotel und der DFB hatte es schon zum Flughafen gebracht. Seine Abwesenheit hatte niemand bemerkt.

Nicht sein einziger Ärger über den Verband. Weil Schön ja nicht am Prämienstreit beteiligt war, wollte der DFB ihm den ursprünglichen Betrag (30.000 DM) bezahlen. Halb so viel wie jeder Spieler - das kränkte den sensiblen Sachsen und so schickte er den Scheck zurück. „Dann lieber gar nichts, meine Herren!“

DFB-Präsident Hermann Neuberger vermittelte, Schön bekam etwas mehr als ausgemacht und nahm es dann doch an, „schließlich habe auch ich kein Geld zu verschenken“.