Als Michael Preetz beim MSV Duisburg im Januar 2024 antrat, kämpfte der Traditionsverein in der 3. Liga ums Überleben. Es folgte der bittere Abstieg in die Regionalliga – doch statt aufzugeben, stellte sich Preetz der Herausforderung.
Wiedergeburt eines Ruhrpott-Riesen
Jetzt, nach einer leidenschaftlichen Saison, ist der Wiederaufstieg des Ruhrpott-Riesen in die 3. Liga gelungen. Bei den Zebras herrscht neue Euphorie. SPORT1 hat den 57 Jahre alten Geschäftsführer des Vereins exklusiv getroffen und mit ihm über Durchhaltevermögen, Neuanfänge und große Emotionen gesprochen.
„Es hat Spaß gemacht“
SPORT1: Herr Preetz, herzlichen Glückwunsch nochmal zum Aufstieg. Wie anstrengend waren die Feierlichkeiten?
Michael Preetz: Es hat Spaß gemacht. Die Anspannung der vergangenen zwölf Monate hat sich bei jedem entladen. Man sollte die Feste feiern, wie sie fallen, und das haben alle verdient, besonders unsere Fans, die uns in diesem Jahr in unglaublicher Art und Weise unterstützt haben. Für alle im Verein ist es eine großartige Geschichte. Jetzt haben wir genug gefeiert, der Fokus liegt auf dem Pokalfinale gegen RWE (Rot-Weiss Essen, am 24. Mai, d. Red.).
SPORT1: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie 2024 zum MSV Duisburg kamen – mitten im größten Umbruch der Vereinsgeschichte? Nur die Wenigsten hätten gedacht, dass Sie in die Regionalliga mitgehen.
Preetz: Ich bin zunächst in die 3. Liga gegangen und habe gemeinsam mit den übrigen Verantwortlichen versucht, den drohenden Abstieg zu verhindern. Ich wollte wieder in diesem Bereich arbeiten und hatte einige Anfragen, die jedoch nicht zu einem Abschluss führten. Mit den handelnden Personen beim MSV habe ich sehr lange gesprochen. Im Sommer habe ich mich dann entschieden zu bleiben, weil ich den Verein in den wenigen Monaten als besonders wahrgenommen habe. Ich habe gespürt, wie groß die Anteilnahme und die Verbundenheit in der Stadt mit diesem Verein sind. Der MSV gehört einfach nicht in die Regionalliga, und ich wollte mithelfen, dass sich der Verein wieder höheren Sphären annähern kann. Das war meine Motivation, deshalb bin ich geblieben.
„Es herrscht wieder Aufbruchsstimmung“
SPORT1: Wie haben Sie die Stimmung im Verein und im Umfeld nach dem Abstieg in die Regionalliga wahrgenommen?
Preetz: Die Stimmung war naturgemäß schlecht, bei unseren Fans, aber auch in der ganzen Stadt. Und die Sorge aller Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze war zum Greifen. Doch trotz der enormen – vor allem wirtschaftlichen – Herausforderungen habe ich viele positive Faktoren gesehen, die mich zuversichtlich machten. Heute fühle ich mich bestätigt, weil das, was wir im vergangenen Jahr geschafft haben, ein Zeichen der Solidarität der ganzen Stadt ist. Zum ersten Auswärtsspiel begleiteten uns 7.000 Fans, und zum letzten entscheidenden Spiel in Mönchengladbach kamen 16.000 MSV-Fans. Wahnsinn! Der MSV hat bundesweit wieder für positive Schlagzeilen gesorgt. Es herrscht wieder Aufbruchstimmung.
SPORT1: Gab es einen Moment, in dem Sie an der Aufgabe gezweifelt haben?
Preetz: Gezweifelt habe ich nie. Es war vom ersten Tag an eine wahnsinnige Herausforderung, vor allem aufgrund der finanziellen Situation des MSV. Wir konnten das nur gemeinsam schaffen, getreu dem Motto #MSVereint. Wir haben uns Transparenz, Verlässlichkeit und Offenheit auf die Fahne geschrieben und in unzähligen Gesprächen um Vertrauen in unseren Weg und für den MSV geworben. Es ist schön, was wir geschafft haben, aber es ist nur ein erster, wichtiger Schritt auf dem gemeinsamen Weg.
Keine Genugtuung bei Preetz
SPORT1: Spüren Sie nach der ganzen Kritik zum Ende Ihrer Hertha-Zeit auch etwas Genugtuung? Sie wirken jetzt viel gelöster.
Preetz: Nein, gar nicht. Die Zeit nach meinem Ausscheiden bei der Hertha war wichtig für mich. Ich brauchte Abstand vom Fußball und Zeit, alles zu verarbeiten und zu reflektieren. Mir war wichtig, eine Aufgabe zu finden, die mich erfüllt und die mir Spaß macht. Am Ende arbeitest du das mit und für Menschen. Und wenn man Ziele erreicht, trägt das zur Jobzufriedenheit bei. Ich freue mich für alle in Duisburg.
SPORT1: Wie kam es zum sportlichen Absturz des MSV Duisburg seit 2019?
Preetz: 2019 ist der Verein in die 3. Liga abgestiegen und hat den direkten Wiederaufstieg verpasst. Wenn das passiert wäre, wäre der Blick auf den MSV und der Weg in den letzten Jahren ein anderer gewesen. Auch in den Spielzeiten danach gelang die Rückkehr in die 2. Bundesliga nicht. Dann setzte eine Negativspirale ein, die im Abstieg in die Regionalliga gipfelte. Das war sportlich und finanziell für den Verein eine Katastrophe.
„Wir haben Respekt vor der neuen Aufgabe“
SPORT1: Wie blickt man beim MSV jetzt auf den Aufstieg in die dritte Liga und die aktuelle Situation?
Preetz: Oberstes Gebot wird es sein, sich auf die neue Spielklasse einzulassen und die Besonderheiten der 3. Liga anzunehmen. Um es provokant zu sagen: Wir haben die Rückkehr in eine Liga gefeiert, in der sich dieser Klub nie gesehen hat. Aber wir müssen die Realität der 3. Liga annehmen, denn sie ist sportlich extrem eng. Wir haben Respekt vor der neuen Aufgabe und werden sie mit Demut angehen.
SPORT1: Wie schwierig war es, Spieler und Personal von einem Regionalliga-Projekt zu überzeugen?
Preetz: Viele Menschen arbeiten schon lange im Verein und haben den schleichenden Niedergang hautnah miterlebt. Diese Personen mussten aufgerichtet werden. Der Frust und die Angst um den Arbeitsplatz waren groß. Es musste eine gewisse Vorfreude auf die neue Saison entwickelt werden. Dann sind wir es Stück für Stück angegangen. Wir haben die Mannschaft komplett umgebaut. Nur vier Spieler sind geblieben. Wir haben vieles neu gemacht, die Kommunikation umgestellt und die Leute neugierig auf den neuen MSV gemacht. #MSVereint ist die Losung. Auch unsere langjährigen Sponsoren und die Stadtspitze hatten einen großen Anteil daran, dass es uns gelungen ist, wieder aufzusteigen. Bei unserem ersten Auswärtsspiel war dann alles blau statt grün wie die Farben des Gastgebers aus Gütersloh. Da dachte ich mir: „Irgendwas stimmt hier nicht!“ (lacht) Vier Siege zu Beginn der Saison waren zudem extrem wichtig und haben das Zusammenwachsen der Mannschaft gefördert.
Der Trainer als „zentrale Entscheidung“
SPORT1: Welche Entscheidungen oder Personalien haben sich als besonders wichtig erwiesen?
Preetz: Die zentrale Entscheidung war die Trainerverpflichtung. Wir haben mit Dietmar Hirsch einen Trainer geholt, der sieben Jahre für den MSV als Spieler auf dem Platz gestanden hat und mit dem Verein noch bessere Zeiten erlebte. Seine authentische Art hat natürlich mitgeholfen, diese Aufbruchstimmung zu erzeugen. Bei der Kaderplanung haben wir überwiegend richtig gelegen. Das Team ist relativ schnell zusammengewachsen und die Spieler sind als Gruppe sehr eng beieinander.
SPORT1: Wie haben Sie sich in dieser Phase des Wiederaufbaus verändert?
Preetz: Medial ist das hier ein ganz anderes Arbeiten als in Berlin. Inhaltlich unterscheidet sich die Arbeit aber nicht so sehr von der ersten oder zweiten Liga. Man hat es mit Menschen zu tun und arbeitet in ähnlichen Abläufen. Ich habe mich nicht verändert, was Arbeitsweise und Führungsstil angeht. Ich war immer ein Teamplayer und habe immer darauf geachtet, dass es nur gemeinsam geht. Das habe ich hier vom ersten Tag an klargemacht. Die Fußballbranche ist wunderbar, und man darf sich glücklich schätzen, in diesem Bereich arbeiten zu dürfen. Ein Stück weit haben wir auch alle wieder Freude zurückgewonnen.
Zweite Liga als mittelfristiges Zeil
SPORT1: Gab es während der Saison 2024/25 einen Schlüsselmoment, der Ihnen gezeigt hat: “Wir schaffen das”?
Preetz: Nein, aber ich hatte ein gutes Grundgefühl und war überzeugt, dass wir die sofortige Rückkehr in den Profifußball schaffen können. Wenn ein Verein wie der MSV mit dieser Wucht alle zwei Wochen auf die Dörfer fährt, muss der Anspruch der Aufstieg sein. Es gab nicht den einen Moment, aber viele wunderbare Erlebnisse. Das erste Auswärtsspiel in Gütersloh war großartig, dann der 5:0-Heimsieg gegen Türkspor Dortmund vor über 18.000 Zuschauern, das ausverkaufte Derby gegen Rot-Weiß Oberhausen zum Rückrundenauftakt und natürlich das Spiel im Borussia-Park in Mönchengladbach sowie der Abschluss vor fast 25.000 Zuschauern gegen Wuppertal. Das ist alles nicht selbstverständlich in der vierten Liga und das waren herausragende Momente.
SPORT1: Sie haben von einem Stufenplan gesprochen. Wie sieht dieser aus?
Preetz: Der MSV sollte mittelfristig das Ziel haben, wieder in den Kreis der 36 besten Vereine Deutschlands zurückzukehren. Der erste Schritt war der sofortige Wiederaufstieg. Es geht nun darum, den MSV wieder im Profifußball zu etablieren. Wir wollen die dritte Liga mit unseren großartigen Fans bereichern. Wir freuen uns auf die dritte Liga – das hat in Duisburg lange niemand mehr gesagt. (lacht)
SPORT1: Wie sehen Sie die mittelfristige Perspektive des MSV – wirtschaftlich und sportlich?
Preetz: Wir haben zusammen mit der Stadt, den Gremien des Vereins unseren Sponsoren und der Stadtspitze eine mittelfristige Planung vorgestellt. Der erste Schritt dieses Stufenplans war die Rückkehr in die dritte 3. Liga. Wir müssen uns gewisse Spielräume erarbeiten, um in der neuen Saison eine ordentliche Rolle zu spielen. Die wirtschaftliche Situation muss weiter verbessert werden, indem wir weitere Sponsoren an den Verein binden oder strategische Partnerschaften eingehen, die das finanzielle Korsett erweitern. Je mehr wir in die fußballerische Leistungsfähigkeit investieren können, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit auf sportlichen Erfolg.
„Ich beschäftige mich nur mit dem MSV“
SPORT1: Wird es einen ähnlichen Coup geben, wie es 1860 mit Kevin Volland gelungen ist?
Preetz: Kevin ist ein Löwe durch und durch und kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Eine wunderbare Geschichte. Und für die dritte Liga ist es eine Bereicherung, wenn ein solcher Topspieler kommt. Wir verfolgen einen anderen Plan, setzen weiterhin auf junge, entwicklungsfähige Spieler. Einige erfahrene Spieler, die das Team stabilisieren können, werden wir in Zukunft aber schon auch verpflichten.
SPORT1: Gibt es eine Botschaft, die Sie den Fans des MSV zum Abschluss mitgeben möchten?
Preetz: Wir haben ein tolles Jahr miteinander verbracht, und das war nur mit der Unterstützung unserer Fans möglich. Ich hoffe, dass wir diese Unterstützung beibehalten können. Wir werden weiter am Limit arbeiten. Nur gemeinsam kann man Erfolg haben. Eines Tages wollen wir bereit sein für den nächsten Schritt. Für mich ist das hier eine Aufgabe, die wir gemeinsam angegangen sind und das macht mir Spaß. Ich beschäftige mich nur mit dem MSV, dieses Versprechen kann ich geben.