Kein Tag vergeht ohne neue Aussagen, kein Tag vergeht ohne neue Reaktionen, Aufsehen und Entrüstung.
„Ein Theater, ein riesiger Skandal“
Das folgenschwere Zerwürfnis zwischen Star-Stürmer Robert Lewandowski und Nationaltrainer Michal Probierz hält den polnischen Fußball in Atem - und sorgt für Frustration bei einem früheren Stürmerkollegen des Barca-Stars.
Wichniarek frustriert über Lewandowski-Wirbel
„Das Allerschlimmste an der Sache ist das Timing. Wir haben heute ein sehr wichtiges Spiel – in Helsinki gegen Finnland“, sagt der frühere polnische Nationalstürmer Artur Wichniarek zu SPORT1.
„Es geht um die WM-Qualifikation“, ergänzt der frühere Angreifer von Arminia Bielefeld und Hertha BSC, der in der Heimat inzwischen als TV-Experte arbeitet: „Natürlich hat der Nationaltrainer jedes Recht, so eine Entscheidung zu treffen. Aber der Zeitpunkt ist aus meiner Sicht komplett falsch. Das bringt große Unruhe und ärgert mich sehr.“
Laut Berichten habe sich Lewandowski zuletzt „körperlich und geistig nicht gut“ gefühlt und seine Teilnahme an den Länderspielen abgesagt. Darauf reagierte Probierz drastisch, indem er dem 36-Jährigen die Kapitänsbinde entzog, die dieser jahrelang trug. Dies habe den Torjäger so sehr gekränkt, dass er umgehend aus der Nationalmannschaft zurücktrat. Der Beginn eines öffentlich ausgetragenen Zoffs, der viele Verstrickungen zur Folge hat.
„Niemand interessiert sich mehr für das Sportliche“
„Ich bin sehr enttäuscht“, sagt der 48 Jahre alte Wichniarek, der von 1999 bis 2008 17 Länderspiele für Polen bestritt - im Moment seines Rücktritts begann die Ära Lewandowski: „In Polen redet niemand mehr über das Spiel heute Abend. Niemand interessiert sich mehr für das Sportliche. Hier geht es nur noch um Lewandowski und Probierz. Jede einzelne Aussage wird rauf und runter diskutiert. Die ganze Sache ist totaler Bullshit – von allen Seiten.“
Von Lewandowski, vom Nationaltrainer, vom Verband. Und auch von den Medien, wie Wichniarek findet.
Denn was genau vorgefallen sei, wisse keiner, schildert er: „Es steht Aussage gegen Aussage, weil Lewandowski etwas anderes behauptet als der Nationaltrainer – ein Theater, ein riesiger Skandal, den niemand braucht.“ Auch die Berichterstattung mache ihn sauer. Laut einer polnischen Zeitung habe die Mannschaft auf Lewandowskis Demission „mit Applaus“ reagiert. Demnach sei anderen Nationalspielern das divenhafte Verhalten des Superstars schon länger ein Dorn im Auge gewesen.
Aber “das erzählen Journalisten, die von internen Dingen gar keine Ahnung haben", sagt Wichniarek klar: “Die Mannschaft dementierte das selbst.” Aufgelöst hat sich der Ärger dadurch nicht: Längst sind die Fans gespalten. Ein Teil ist auf Lewandowskis Seite, der andere unterstützt Probierz. Nur wenige - wie auch Wichniarek - bleiben neutral. Für ihn steht lediglich fest: „Lewandowski ist einer der besten Spieler Polens, einer der besten Spieler weltweit. Das muss anders laufen. Mit mehr Respekt und mehr Verstand.“
„Kein Spieler steht über der Mannschaft“
Gleichwohl bekräftigt Wichniarek, dass der Trainer jedes Recht habe, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen: „Kein Spieler steht über der Mannschaft. Nicht Lewandowski. Nicht Lionel Messi in Argentinien. Auch nicht Cristiano Ronaldo in Portugal.“ Der Zeitpunkt, um dieses Fass aufzumachen, hätte jedoch kaum schlechter gewählt sein können: „Es geht nicht nur um die Teilnahme an der WM, sondern um das Vertrauen der Fans, unseren Ruf und die Entwicklung des polnischen Fußballs. Das ist eine Katastrophe.“
Wichniarek führt aus: „Solche Entscheidungen kann man treffen. Aber in dem Moment geht es um das Wohl unserer Nationalmannschaft. Wir spielen nicht gut. Bei der EM in Deutschland sind wir mit einem Punkt aus der Gruppenphase nach Hause gefahren. In der Nations League sind wir abgestiegen. Jetzt sind wir in der Qualifikation zwar von den Resultaten her gut gestartet, spielerisch war das aber miserabel. Im Prinzip haben wir das letzte gute Spiel bei der EM 2016 absolviert”, so Wichniarek.
Der komplette polnische Fußball befinde sich in einer Krise, der Wirbel um Lewandowski komme daher zur Unzeit. „Hier läuft alles falsch, da kann man nicht den Finger auf einen einzelnen zeigen. Alle sind schuld“, stellt Wichniarek fest. „Dass wir einen Spieler wie Lewandowski nicht richtig für die Nationalmannschaft nutzen können, zeigt alles. Unter Hansi Flick beim FC Barcelona spielt er immer gut. Hier gibt es immer Enttäuschung - egal, unter welchem Trainer.“
So schwächt Lewandowskis vorläufiger Rücktritt die polnische Auswahl gewaltig. In 158 Länderspielen erzielte der Stürmer stolze 85 Tore. In der Qualifikationsgruppe G für die WM 2026 trifft Polen auf die Niederlande, Finnland, Litauen und Malta und führt nach drei Partien die Tabelle an. Ob es ohne den Ausnahmespieler dabei bleiben kann?