Als Fußballprofi war es selbst vor 50 Jahren nicht unbedingt üblich, einem Verein seine ganze Karriere treu zu bleiben. Schon deshalb ist Hans-Georg Schwarzenbeck eine Ausnahmeerscheinung.
Die stille Legende des FC Bayern: Schon immer außergewöhnlich
Bayerns stille Ausnahmeerscheinung
Aber auch abseits des Fußballplatzes kann man die Loyalität von „Katsche“, wie Schwarzenbeck in der Öffentlichkeit oft genannt wird, als außergewöhnlich bezeichnen.
Im exklusiven SPORT1-Interview an der Säbener Straße erinnert sich die Bayern-Legende an seine aktive Zeit und erzählt, warum sich der 77-Jährige danach ins Privatleben zurückgezogen hat.
SPORT1: Herr Schwarzenbeck, in Ihrer persönlichen Statistik steht, dass Sie 21 Tore geschossen haben. Allein in der Saison 1973/74 waren es zehn, davon sieben in der Bundesliga. Für einen Defensivspieler ist das viel. Haben Sie in der Jugend auch offensiver gespielt?
Hans-Georg Schwarzenbeck: Ich war eigentlich immer defensiv. Linker Verteidiger, rechter Verteidiger und dann Vorstopper. Oder auch, wie’s damals in der Jugend geheißen hat, Mittelläufer. Mittelläufer ist das, was dann der Libero war. Also immer Abwehrspieler.
„Beckenbauer und ich haben uns immer gut ergänzt“
SPORT1: Wie erklären sich dann die vielen Tore?
Schwarzenbeck: Das hat sich im Spiel ergeben. Beckenbauer und ich haben uns immer gut ergänzt, das war das Schöne. Der Franz war der Offensivere, er hat das Spiel gestaltet, und ich hab eigentlich immer hinten abgesichert. Aber es hat Spiele gegeben, da hab ich mehr Freiheiten gehabt und auch aufs Tor schießen können. Manchmal sogar öfter.
SPORT1: In die Fußballgeschichte eingegangen ist Ihr Tor im Finale des Europapokals der Landesmeister 1974 gegen Atlético Madrid. Weil Sie in der letzten Minute der Verlängerung den Ball aus der Distanz zum Ausgleich ins Tor geschossen haben, kam es zum Wiederholungsspiel, das der FC Bayern gewann. Wie haben Sie das Tor in Erinnerung?
Schwarzenbeck: Im Grunde waren ja außer dem Maier Sepp alle in der gegnerischen Hälfte. Ich hab nur das Tor gesehen und nicht lang überlegt. Weil wenn ich ein bisschen länger warte, kommt einer auf mich zu, und ich muss rechts oder links abspielen. Dann wäre das Spiel vorbei gewesen. Aber der Gedanke ist mir erst im Nachhinein gekommen. Auf dem Platz hab ich Gott sei Dank im richtigen Moment das Richtige gemacht, und der Schuss hat genau gepasst. Wahrscheinlich auch, weil alle überrascht waren und nicht damit gerechnet haben, dass der Abwehrspieler aus der Entfernung schießt.
SPORT1: Nach diesem Tor standen Sie plötzlich im Mittelpunkt. Konnten Sie das genießen?
Schwarzenbeck: Gleich nach dem Spiel noch nicht, weil zu viel auf mich eingeprasselt ist, das hätte ich nicht gebraucht. Und mein erster Gedanke war halt auch, hoffentlich gewinnen wir das Wiederholungsspiel, nur dann ist mein Tor wichtig gewesen und hat uns weitergebracht. Das ist meine Art, ich hab mich erst richtig freuen können, wenn wir’s wirklich geschafft haben.
Bayern-Legende: „Hart war ich, aber nie unfair“
SPORT1: Charakteristisch war auch Ihr Spielstil, er wurde oft als eckig und hart beschrieben. Wie würden Sie ihn selbst beschreiben?
Schwarzenbeck: Ja gut, das Eckige stimmt schon ein bisschen, das hatte auch was mit meiner Hüfte zu tun, was ich aber erst im Nachhinein erfahren hab. Als ich mit 50 Probleme beim Gehen hatte, hat mir der Professor gesagt, dass bei mir die Hüfte nicht rund läuft. Ich habe das als Spieler nie gemerkt, aber deshalb hat das wahrscheinlich bei mir so eckig ausgeschaut. Und hart war ich auch, aber nie unfair. Obwohl ich nicht zimperlich war, bin ich in 14 Jahren nur einmal vom Platz gestellt worden. Und das war kein bösartiges Foul, sondern eine dumme Notbremse.
SPORT1: Wie haben Sie schnelle und wendige Gegner gestoppt?
Schwarzenbeck: Schon mein Jugendtrainer, der Weiß Rudi, hat uns gedrillt, wie man als Abwehrspieler richtig angreift. Du musst deinen Gegenspieler vom Tor wegdrängen und achtgeben, dass er dich nicht umspielt. Dazu musst du entweder schneller an den Ball kommen als er. Oder hinter ihm abwarten, wenn er angespielt wird, und schauen, wie er sich dreht, um ihm den Ball abzunehmen. Ich hab halt immer ein bisschen aufpassen müssen, dass ich nicht zu spät hinkomme oder zu früh. Aber ich hab das trainiert und immer dazugelernt, auch im Spiel.
SPORT1: In welchem Spiel zum Beispiel?
Schwarzenbeck: Als 18-Jähriger hab ich mal gegen den Stan Libuda in Dortmund gespielt. Das war ein begnadeter Fußballer, ein Dribbelkönig, so wie Ribéry. Und ich als junger Kerl, als linker Verteidiger im gegnerischen Stadion. Wir haben das Spiel verloren, aber der Tschik Čajkovski hat mich nicht ausgewechselt. Das war für mich eine Lehrstunde. Beim nächsten Spiel hab ich dann aussetzen müssen, aber beim übernächsten Spiel hab ich wieder gespielt. Und da hab ich dann schon besser gewusst, wie ich meine Kräfte einteilen und wie ich spielen muss.
„Ärgerst dich schon, wenn was Blödes in der Zeitung steht“
SPORT1: Beckenbauer und Sie waren zehn Jahre lang ein erfolgreiches Abwehrduo. Hat es Sie nicht manchmal gewurmt, als dessen Wasserträger bezeichnet und damit in eine Schublade gesteckt zu werden?
Schwarzenbeck: Du ärgerst dich schon, wenn was Blödes in der Zeitung steht. Aber wenn es zwischen dem Franz und mir nicht funktioniert hätte, hätte ich nicht über 500 Spiele gemacht und wäre nicht immer in der ersten Mannschaft gewesen. Am Anfang war’s trotzdem schwierig für mich. Da hat ein Journalist geschrieben, dass ich nicht bundesligareif wäre.
SPORT1: Das ist hart…
Schwarzenbeck: Ja, da denkst du natürlich schon, bin ich wirklich so schlecht, und zweifelst an dir. Schön war dann, dass der Tschik Čajkovski nach dem Spiel den Journalisten beschimpft hat, was sich der erlaubt. Er hat mich auf Jugoslawisch, Deutsch, Bayerisch, alles, was ihm eingefallen ist, verteidigt. Und ältere Mitspieler, der Olk Werner oder der Ohlhauser, haben mir auf die Schulter geklopft. Das baut dich dann wieder auf und ist schon wichtig für einen jungen Spieler. Die haben ja alle gemerkt, dass ich einen Ehrgeiz hatte, im Training wie im Spiel.
SPORT1: Beckenbauer wusste auch, was er an Ihnen hatte. Warum, glauben Sie, hat es zwischen ihm und Ihnen so gut funktioniert?
Schwarzenbeck: Der Franz hat sich auf mich 100 Prozent verlassen können, und ich mich auf ihn. Und wir konnten beide das spielen, was uns gelegen ist. Meine Aufgabe war nicht, das Spiel zu gestalten, das wäre auch nicht meins gewesen. Das hat der Franz gemacht, und sein Libero war was ganz Neues, weil es diese Spielart vorher so nicht gab. Und wenn der Franz vorgegangen ist, hab ich ihm den Rücken gedeckt und hinten abgesichert. Meine Aufgabe als Vorstopper war auch, den gegnerischen Mittelstürmer abzuwehren. Ob der gefährlich war oder nicht, lag an mir. Ich hab oft gegen den Heynckes gespielt, der war damals Torschützenkönig. Wenn es gut gelaufen ist, hat er kein Tor geschossen.
SPORT1: Welche Rolle hatten Sie darüber hinaus in der Mannschaft, waren Sie der Ruhepol?
Schwarzenbeck: Es gab schon noch mehr Ruhigere, einen Dürnberger oder einen Hansen, unsere Mannschaft war eine gute Mischung, deshalb war auch der Erfolg da. Und gefeiert haben wir alle gern, wir haben oft eine Riesengaudi gehabt, und da war ich auch nicht hintendran gestanden. Elf Freunde waren wir nicht, aber wenn wir gespielt haben, waren wir eine Einheit. Ich hab mich genauso gefreut, wenn der Bulle, der Paul oder der Zobel ein Tor geschossen haben.
SPORT1: Bei Ihrem Tor im Europapokalfinale haben sich auch alle gefreut…
Schwarzenbeck: Ja, da hat mich der Franz vor Freude angesprungen, das war ganz selten bei ihm. Und wenn man mal verliert, hält man erst recht zusammen. Das war schon eine schöne Zeit, die ich nicht missen möchte, sonst wäre ich auch nicht 14 Jahre als Profi und insgesamt 20 Jahre, von 1961 bis 1981, als Spieler bei dem Verein geblieben.
„Das ist mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen“
SPORT1: Sie sind dem FC Bayern Ihre ganze Karriere treu geblieben, obwohl Sie Anfragen aus dem In- und Ausland hatten.
Schwarzenbeck: Ja, Anfragen gab’s schon. Zu Hertha BSC hätte ich gehen können. Und einmal, das war 72, hat mich nach einem Länderspiel gegen Schottland Denis Law, der Torjäger von Manchester United, angesprochen. Er hat gesagt, dass ich ein idealer Spieler für England wäre. Das hat mich gefreut, aber ich hab nicht mal überlegt, weil ich einen Vierjahresvertrag beim FC Bayern hatte. Da ist es mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, den Verein zu wechseln. Und finanziell war ich auch zufrieden, auch wenn ich da wahrscheinlich das Drei- oder Vierfache verdient hätte.
SPORT1: Sie waren auch sieben Jahre Nationalspieler, immer unter demselben Trainer, Helmut Schön. Wie erinnern Sie sich an ihn?
Schwarzenbeck: Helmut Schön war wie eine Vaterfigur. Er war mir sehr sympathisch, weil er auch ein geradliniger Mensch war. Zu ihm hat man jederzeit hingehen und mit ihm reden können. Es gab ja viele Superstars in der Nationalelf, wie den Franz, den Gerd und den Sepp, oder auch Overath, Netzer und Vogts. Das war schon eine Kunst, diese Einzelkönner so weit zu bringen, dass das eine Mannschaft wird. Aber er hat uns verstanden, und wir haben ihn alle respektiert. Und daraus wurde dann ein sehr gutes Zusammenspiel.
SPORT1: Haben Sie nach Ihrer Zeit als Spieler nie überlegt, selbst Trainer zu werden?
Schwarzenbeck: Nein, ich wollte nie Trainer werden. Ich weiß genau, das wäre für mich kein schönes Leben gewesen. Den Stress, den die Trainer hatten, die ich erlebt hab, den wollte ich nicht. Die Pressekonferenzen, der Druck von oben, und alle wollen was von dir. Und dieses dauernd im Blickpunkt stehen, darauf hatte ich auch keine Lust mehr. Ich wollte meinen Frieden und meine Ruhe.
SPORT1: Gab es trotzdem Anfragen aus der Branche?
Schwarzenbeck: Ja, aber wenn ich gefragt wurde, ob ich nicht das machen will oder das, hab ich immer gesagt: Ich hab keine Zeit, ich muss meinen Laden führen und bin lieber bei meiner Frau und der Familie.
SPORT1: Mit dem Laden war das Schreibwarengeschäft Ihrer Tanten gemeint, das Sie nach Ihrer Fußballkarriere übernommen haben. Wie kam es dazu?
Schwarzenbeck: Am Ende meiner Profizeit hab ich überlegt, was ich danach machen könnte. Und dann hat sich das so ergeben. Der Laden ist gut gegangen, und meine Frau und ich haben auch schon vorher mitgeholfen, an Weihnachten oder am Schulanfang, weil meine zwei Tanten schon älter waren und wir uns gut verstanden haben. 1983 haben sie mir den Laden überschrieben und dann hab ich das Geschäft bis 2008 geführt. Das ist ein schöner Übergang gewesen, weil ich in kein Loch gefallen bin und auch mein eigener Herr sein konnte.
SPORT1: Für jemanden, der gerne seine Ruhe hat, war das aber sicher auch erstmal gewöhnungsbedürftig…
Schwarzenbeck: Reden hab ich halt ein bisschen mehr müssen. Aber ich hab gelernt, auf die Leute einzugehen, und das hat mir dann auch Spaß gemacht. Wir hatten viele Stammkunden, das war wie so eine kleine Gemeinschaft. In der Au, wo der Laden lag, gab es auch mehr Sechzger-Anhänger. Das war aber ein nettes Verhältnis. Du bist zwar aufgezogen worden, aber da war keine Boshaftigkeit dabei. Schön war auch, dass ich den FC Bayern beliefern konnte, auch nachdem ich den Laden schon zugemacht hatte.
„Bisschen hab ich schon noch eine Ahnung, ob die gut spielen“
SPORT1: Schauen Sie sich noch Fußballspiele an?
Schwarzenbeck: Ich verfolge das schon, aber nicht so, dass ich dauernd vorm Fernseher sitze. Ich schau mir oft nur die Sportschau an, dann sehe ich von den Spielen die Tore, das ist ideal. Ich schalte aber grundsätzlich den Ton aus. Ich mag nur sehen, wie die spielen. Und das muss mir keiner erklären, ein bisschen hab ich schon noch eine Ahnung, ob die gut spielen oder nicht so gut, und ob jemand einen Fehler gemacht hat. Genauso im Stadion, da sitze ich neben dem Dürnberger Bernd, und da sagt höchstens mal einer von uns: Hast du den g‘sehn?
SPORT1: Das Stadion ist ja nicht weit, Sie haben immer in München gewohnt.
Schwarzenbeck: Ja, ich hab auf dem Grundstück meiner Großeltern ein Haus bauen lassen, in dem unsere Familie schon seit fünfzig Jahren lebt. Ich bin in der Gegend um den FC Bayern aufgewachsen, bei meinen Eltern und Großeltern, und hab auch gesehen, wie sich das Viertel verändert. Da, wo jetzt die Autobahn nach Salzburg geht, war früher eine Wiese, über die mein Onkel jeden Tag mit seinen Schafen gelaufen ist. Am Waldrand hab ich Fußballspielen gelernt. Meine Schule und die Kirche waren auch gleich da. Das ist auch heute noch eine schöne Ecke.
SPORT1: Können Sie sich vorstellen, woanders als in Ihrer Heimatstadt zu leben?
Schwarzenbeck: Nicht, wenn’s nicht sein muss. Aber ich fahre gerne mit meiner Familie im Urlaub in den Norden, mir gefällt das am Wasser sein. Und die Leute da oben sind mir auch sympathisch. Ich mag den Norden, das Kühlere, eigentlich lieber als den Süden.
SPORT1: Wofür sind Sie dankbar?
Schwarzenbeck: Dass ich das alles hab erleben dürfen. Dass meine Frau und ich so lange beieinander waren. Und dass die Kinder und Enkel gesund sind und ich einigermaßen fit bin. Ich bin froh, wenn ich mit dem Hund spazieren gehen, mit dem Rad fahren und im Garten arbeiten kann, ohne dass mir das Kreuz wehtut. Das reicht mir eigentlich, ich muss jetzt nicht mehr in der Weltgeschichte rumfahren.