Ein helles Wohnzimmer, an der Wand ein großes Familienbild, auf dem Schrank ein Schild mit der Aufschrift „Familienbande“ und die Reitorden seiner Tochter Delani. Die beiden Dalmatiner Dexter und Diesel tollen durch den Raum und wollen spielen. Hier empfängt Dennis Diekmeier SPORT1 zum exklusiven Interview.
Dennis Diekmeier über seine kranke Tochter: "Wir glauben fest an ein Wunder"
„Wir glauben alle fest an ein Wunder“
Der frühere Bundesliga-Profi (1. FC Nürnberg und Hamburger SV) wirkt gefasst – doch schon nach wenigen Sätzen bröckelt die Fassade, wenn er über die Krankheit seiner 14-jährigen Tochter spricht. Im Januar dieses Jahres erhielt sie die bittere Diagnose Krebs.
Es ist der schwerste Kampf ihres jungen Lebens, und doch beeindruckt Delani mit einem unglaublichen Mut, der selbst ihren Vater sprachlos macht – und den die Familie nun mit anderen teilen möchte, um Betroffenen Hoffnung und Kraft zu geben.
SPORT1: Herr Diekmeier, über ein so sensibles Thema öffentlich zu sprechen, ist nicht leicht – erst recht, wenn es die eigene Tochter betrifft. Umso mehr Respekt dafür, dass Sie dieses Interview geben.
Dennis Diekmeier: Im Dezember vergangenen Jahres war unser Leben perfekt: eine tolle Familie, ein guter Job, eine schöne Profikarriere als Fußballer. Und dann bekommst du im Januar von heute auf morgen so eine Diagnose, an der dein ganzes Leben zerbricht. Gerade die ersten Wochen, vor allem der erste und zweite Monat, waren brutal. Mit dieser ganzen Situation klarzukommen, war unglaublich schwer – vor allem, weil wir immer wieder schlechtere Diagnosen bekommen haben.
SPORT1: Gab es in dieser schwierigen Zeit überhaupt Momente, in denen Sie ein Stück Normalität erleben konnten – oder war einfach alles überschattet?
Diekmeier: Irgendwann haben wir gemerkt, dass es uns guttut, frühzeitig damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Vor allem Delani hat das sehr geholfen: Wenn sie Zuspruch von anderen bekam, nicht nur von uns, hat ihr das extrem viel Kraft gegeben. Ich bin von Natur aus ein sehr positiver Mensch, aber als Kind kannst du auch nicht immer nur hören: „Alles wird gut“ – und das auch noch ständig von Mama und Papa. Dass fremde Menschen, Spieler, Fans ihr geschrieben und Mut zugesprochen haben, das hat unglaublich viel bewirkt. Mit unserer Geschichte wollen wir jetzt auch anderen Menschen, vor allem Kindern, Kraft geben. Ich glaube, das ist sehr wichtig.
Dennis Diekmeier: „Wir dachten: Das kann doch nicht normal sein“
SPORT1: Wann haben Sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt - und wie kam es zur erschütternden Diagnose?
Diekmeier: Eigentlich schon relativ früh. Wir haben gesehen, dass sich ihr Körper verändert. Die Ärzte sagten zuerst: „Das ist die Pubertät.“ Aber bei ihr war es extrem: Ihr Gesicht wurde sehr dick, obwohl sie sportlich ist, jeden Tag reitet. Dann bekam sie auf einmal überall Haare, ihre Stimme wurde tiefer. Wir dachten: Das kann doch nicht normal sein.
SPORT1: Und was meinten die Ärzte?
Diekmeier: Erst hieß es: „Doch, doch, das ist normal, es ist die Pubertät.“ Aber irgendwann wurde sie weiter untersucht.
SPORT1: Wie lief das ab?
Diekmeier: Es ging Schlag auf Schlag: Erst die Nachricht: „Sie müssen sofort ins Krankenhaus.“ Einen Tag später dann die Schockdiagnose.
SPORT1: Erinnern Sie sich noch an den Moment?
Diekmeier: Ich war beim Training, als meine Frau zehnmal anrief. Ich rief zurück und sie sagte: „Die Ärzte haben angerufen, wir müssen sofort ins Krankenhaus, sie wollen mit uns beiden reden.“ Da wusste ich sofort: Hier stimmt etwas nicht.
SPORT1: Was hat man Ihnen gesagt?
Diekmeier: Im Krankenhaus wurde uns erklärt: Tumor an der Niere, an der Leber, an der Hohlvene – etwa zwölf Zentimeter groß, ein Riesending. Er müsse sofort raus.
„Da ist alles zusammengebrochen“
SPORT1: Gab es zunächst Hoffnung?
Diekmeier: Nach der OP hieß es erst mal: „Wir haben den Tumor komplett entfernt, das ist ein gutes Zeichen.“ Da waren wir erleichtert. Aber wenige Tage später: erneute Untersuchungen, auffällige Stellen in der Lunge.
SPORT1: Und dann?
Diekmeier: Am nächsten Tag saßen wir wieder beim Arzt: bösartiger Tumor, extrem selten – bei Kindern fast gar nicht vorkommend. Beide Lungenflügel betroffen.
SPORT1: Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?
Diekmeier: Da ist alles zusammengebrochen. Wir saßen mit dem Arzt zusammen und er sagte: Überlebenschance fünf bis zehn Prozent. Wenn nicht, dann maximal ein bis fünf Jahre. Delani wollte überall dabei sein. (Diekmeier weint)
SPORT1: Wie hat Ihre Tochter reagiert?
Diekmeier: Du sitzt da, fix und fertig – und deine Tochter sagt nur: „Ich schaffe das. Ich bin eine der wenigen, die das schaffen.“ Mein größter Respekt, wie meine Kleine mit der ganzen Situation umgeht. Delani ist eine unglaubliche Kämpferin.
SPORT1: Es begann die Chemo ...
Diekmeier: Ja, dann kamen die Aufklärungsgespräche über Chemo, Nebenwirkungen, all das Brutale. Und trotzdem hat sie Stärke gezeigt. Der Arzt sagte ihr: „Reiten wird nicht mehr gehen.“ Und sie antwortete: „Doch, ich reite.“ Einen Tag nach der ersten Chemo ist sie ein Turnier geritten.
SV Sandhausen unterstützt Diekmeiers Familie
SPORT1: Wie hat sie das geschafft?
Diekmeier: Oft war sie so schwach, dass sie den ganzen Tag erbrochen hat. Aber beim Turnier ist sie aufgestiegen, den Parcours geritten, danach sofort wieder runter – erschöpft, aber glücklich. Diese paar Minuten auf dem Pferd haben ihr so viel Energie gegeben.
SPORT1: Und trotzdem gab es weitere Rückschläge.
Diekmeier: Ja. Die erste Chemo hat nicht angeschlagen, die Metastasen sind gewachsen. Zweimal wurden sie operativ entfernt, aber es kamen neue. Auch die nächste Chemo hat nicht gewirkt. Immer wieder Rückschläge – und Delani hat trotzdem gesagt: „Ich schaffe das.“ Jetzt sind wir an dem Punkt, dass auch die letzten beiden Chemo-Blöcke nicht geholfen haben. Deshalb machen wir gerade eine Immuntherapie. Wir hoffen einfach, dass die anschlägt.
SPORT1: Wie haben Sie die Entscheidung getroffen, mit dem Job als Co-Trainer zu pausieren?
Diekmeier: Das war gar keine Frage. Ich habe mit dem Verein gesprochen, gerade mit der Familie Machmeier (Präsident des SV Sandhausen; Anm. d. Red.) habe ich so einen guten Draht, aber auch zwischen Olaf Janßen (Trainer des SV Sandhausen; Anm. d. Red.) und mir war immer alles top. Alle haben sofort gesagt: „Familie ist das Wichtigste, wir stehen hinter dir.“ Es war die absolut richtige Entscheidung. Jetzt bei meiner Tochter zu sein, ihr viele Glücksmomente zu schenken – das fühlt sich richtig an. Zuletzt waren wir auf einem Glücksgefühle-Festival, da durfte Delani zu Finch (ihr Lieblingsrapper; Anm. d. Red.) hinter die Bühne. Solche Momente versuchen wir, immer wieder für sie zu schaffen.
SPORT1: Wie sieht Ihr Alltag aus?
Diekmeier: Wir haben hier einen richtigen Plan, der hängt in der Küche. Meistens war Dana im Krankenhaus, ich zu Hause mit den anderen Kindern, oft auch mit Unterstützung meiner Schwiegermutter. Wir haben uns abgewechselt. Klar, das meiste dreht sich um Delani. Aber uns ist wichtig, dass die Geschwister auch ein normales Leben haben. Natürlich ist es anstrengend, aber wir müssen das irgendwie alles hinbekommen – für Delani. Andere Mädchen beschäftigen sich in der Pubertät mit Jungs – und mein Mädchen kämpft um sein Leben.
SPORT1: Sie sind als Familie extrem stark. Wie groß ist die Hoffnung?
Diekmeier: Natürlich halten wir brutal zusammen. Es gibt aber auch mehr Reibungen als früher. Ich bin extrem positiv, voller Kampfgeist. Dana (seine Frau; Anm. d. Red.) ist emotionaler, für sie als Mutter ist das noch mal härter. Manchmal will sie einfach ihre Ruhe. Das ist normal. Wir müssen viele Entscheidungen treffen – über Therapien, über Alternativen. Das alles einzuordnen, ist nicht leicht. Aber wir halten zusammen, und auch unsere Freunde und Familie stützen uns enorm. Der Zusammenhalt ist riesig, und wir glauben alle fest an ein Wunder.
„Sie findet es toll, anderen Mut zu geben“
SPORT1: Hat Delani Sie gefragt: „Papa, warum gibst du jetzt ein Interview?“
Diekmeier: Wir besprechen immer alles mit Delani. Jeder Post oder wie jetzt dieses Interview wird mit ihr abgestimmt. Sie findet es toll, anderen Mut zu geben. Nur vor die Kamera möchte sie nicht, weil sie einfach krank aussieht. Darum sagt sie: „Papa, Mama, macht ihr das.“
SPORT1: Welche Eigenschaften Ihrer Tochter geben Ihnen am meisten Kraft?
Diekmeier: Ihren Kampfgeist hat sie von mir. Sie weint kaum, ist immer positiv. Wir haben in der Küche einen Wochenplan hängen, den wir einhalten. Unser Sohn spielt Fußball bei Hoffenheim im NLZ, die beiden Mädels reiten und die drei machen ganz normal Hausaufgaben. Delani sagte mal zu mir: „Papa, wie gerne würde ich zur Schule gehen.“ Sie managt alles um ihre Pferde herum, selbst wenn sie im Krankenhaus liegt und die Chemo läuft. Dann sagt sie: „Papa, Mama, das Pferd muss bewegt werden.“ Da ist Delani wie meine Frau, die früher mein Fußballleben gemanagt hat. Dieses Fokussiertsein auf ihre Tiere gibt ihr Energie. Und unser Familienzusammenhalt, die Unterstützung von Freunden, die vielen Nachrichten – all das gibt uns Power. Auch dieses Interview wird meiner Tochter viel Energie geben. Meine Kleine will doch nur leben.
SPORT1: Was ist, wenn die Immuntherapie nicht anschlägt?
Diekmeier: Dann wird die Hoffnung weitergehen. Wir geben nicht auf. Wir müssen das positiv angehen, sonst zerbrechen wir.
„Manche können sich keine kleinen Glücksmomente leisten“
SPORT1: Delani ist Meisterin im L-Springen in Baden-Württemberg geworden.
Diekmeier: Wir wussten, dass das Reiten ein Risiko ist, weil sie wenig Kraft hat. Aber wenn wir ihr das genommen hätten, wäre alles verloren gewesen. Also haben wir es durchgezogen. Wenn Delani beim Turnier dran war, war es mucksmäuschenstill. Alle waren angespannt, weil sie nicht fallen durfte. Der Titel hat ihr unglaublich gutgetan. Demnächst gibt es die Ehrung.
SPORT1: Sie wollen mit Ihrer Erfahrung auch anderen Familien helfen?
Diekmeier: Ja, wir haben viele Familien im Krankenhaus kennengelernt. Manche können sich keine kleinen Glücksmomente leisten. Dabei sind die so wichtig. Deshalb haben wir entschieden, einen Verein zu gründen. Über Spenden wollen wir anderen helfen, Glücksmomente zu schaffen. Denn die geben Kraft – wir haben es selbst erlebt.
SPORT1: Zum Schluss: Wenn Delani dieses Interview liest, was möchten Sie ihr sagen?
Diekmeier: Ich habe viele Menschen kennengelernt – Spieler, Trainer, Manager. Aber dass ein 14-jähriges Mädchen so positiv und kämpferisch ist, ist für mich das Allergrößte. Ich liebe dich über alles, meine Kleine. Sie sagte einmal zu mir: „Danke, Papa, für 14 Jahre in meinem Leben. Für mich wäre es schlimmer, wenn einer von euch geht.“ Ich habe nur zu ihr gesagt: „Wir schaffen das.“