Andreas Möller kommt gut gelaunt zum Exklusivtermin mit SPORT1. Stolz präsentiert er sein Buch „15 Sekunden Wembley“, blättert gleich darin und zeigt voller Freude Bilder aus seiner Karriere.
Andy Möller: "Es war keine Entscheidung gegen den BVB"
Möller: „Das hat wehgetan“
Fast zwei Stunden nimmt sich der 58-Jährige Zeit, um über sein Fußballer-Leben zu sprechen. Natürlich sind auch die „Schwalbe seines Lebens“, ein Kultspruch und Lothar Matthäus Thema.
SPORT1: Herr Möller, „15 Sekunden Wembley“ - warum dieser Titel für Ihr Buch? Was steckt hinter diesen 15 Sekunden?
Andy Möller: Wir haben sehr lange überlegt, wie wir das Buch nennen. Ich habe aus meiner Karriere erzählt, und dann haben wir uns zusammen mit meinem Autor Dieter Sattler – in Absprache mit dem Verlag – für 15 Sekunden Wembley entschieden. Warum? Das ist genau die Zeit, die ich vom Mittelkreis bis zum Elfmeterpunkt in Wembley gebraucht habe. In diesen 15 Sekunden sind mir aufgrund dieser außergewöhnlichen Drucksituation unglaublich viele Dinge durch den Kopf geschossen. Das war sehr emotional, und der Verlag meinte daraufhin: „Ja, das passt doch.“ Dann haben wir uns auf diesen Titel geeinigt.
SPORT1: Was hat Sie bewegt, das Buch jetzt zu schreiben – also in diesem Jahr, an diesem Punkt?
Möller: Ganz klar, ich hätte es natürlich auch schon früher machen können, aber ich bin froh, dass ich es jetzt gemacht habe – mit etwas mehr Abstand von meiner Karriere. 20 Jahre sind natürlich schon eine lange Zeit. Ich kann mich heute viel besser reflektieren, auch in die Fußballwelt hineinhören und erfahren, was die Fans heute noch interessiert aus den erfolgreichen 90er-Jahren. Das Interesse war groß, und ich habe gesagt: „Okay, ich fasse das alles mal zusammen – meine Eindrücke die Gefühlswelt aus dieser Zeit.“ Und dann ging ich das Buchprojekt einfach an.
Karriereende als Erleichterung
SPORT1: Wie persönlich ist das Buch? Geht es mehr um Fußball oder um den Menschen?
Möller: Es ist eine reine Fußballbiografie. Meine gesamte Karriere wird durchleuchtet: alle Höhepunkte, aber auch schmerzliche Niederlagen, alles ist dabei. Wie alles begann – von meiner Kindheit, als ich anfing, Fußball zu spielen, bis zu dem Moment, als ich meine Fußballschuhe an den Nagel gehängt habe. Alles wird beschrieben, einschließlich meiner persönlichen Erlebnisse.
SPORT1: Als Sie damals Ihre Fußballschuhe an den Nagel gehängt haben – waren Sie traurig oder erleichtert?
Möller: Natürlich war es schwer zu akzeptieren, dass man nicht mehr so spielen konnte wie früher. Aber gleichzeitig war es auch eine gewisse Erleichterung. Ich habe mich auf neue Aufgaben und ein neues Leben nach dem Fußball gefreut. Ich habe dann schnell gemerkt: Es gibt viele andere spannende Dinge nach dem Fußball – ich habe meinen Fußballlehrer gemacht, mich als Fußballmanager versucht. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht, ich wollte dem Fußball immer verbunden bleiben.
SPORT1: Welche Anekdote aus Ihrer Karriere bringt Sie heute noch zum Lachen?
Möller: Es sind viele schöne Geschichten im Buch, auch Anekdoten. Natürlich denke ich an die Vertragssituation mit Schalke 04. Das interessiert die Fußballfans am meisten: Wie kam es zu meinem Wechsel von Borussia Dortmund zu Schalke 04?
Möller führte Assauer aufs Glatteis
SPORT1: Da gab es doch die berühmte Geschichte mit Rudi Assauer, oder?
Möller: Genau! Da gab es diese Anekdote: Nach langer Überlegung hatte ich Rudi Assauer meine Zusage gegeben zu Schalke zu wechseln.
SPORT1: Und dann? Wie lief das ab?
Möller: Auf der Autobahn, kurz vor Gelsenkirchen, haben mein Berater (Klaus Gerster, d. Red.) und ich uns überlegt, Rudi Assauer noch ein wenig aufs Glatteis zu führen. Wir wollten ihn verunsichern und haben ihm per Autotelefon mitgeteilt, dass der Vertrag doch nicht zustande kommt, weil ich es mir anders überlegt hatte. Da war natürlich Schockstarre – eine superlustige Geschichte! Nach einer Minute haben wir gesagt: „Lieber Herr Assauer, öffnen Sie das große Tor der Geschäftsstelle. Wir fahren jetzt gleich aufs Schalke-Gelände. Ich unterschreibe natürlich.“
SPORT1: Gab es in dem Zusammenhang auch wirklich negative Momente, etwa von Dortmunder Fans?
Möller: Nein, so weit ist es nie gekommen. Aber die Ablehnung der Schalke-Fans war am Anfang groß. Auf der einen Seite die Enttäuschung der BVB-Fans, auf der anderen das Theater auf Schalke. Es war keine Entscheidung gegen den BVB, sondern eine persönliche Entscheidung, eine neue Herausforderung anzunehmen. Ich hatte so traumhaft schöne Jahre beim BVB, aber meine Zeit war in Dortmund einfach abgelaufen. Es war Chance und Risiko zugleich – und im Buch beschreibe ich diesen Wechsel.
SPORT1: Rudi Assauer wollte eine Reizfigur, haben Sie im Podcast erzählt und Sie waren das für ihn - warum?
Möller: Ich denke, das lag an der Art und Weise, wie ich Fußball gespielt habe. Viele Fans sagten: „Andy Möller – super Fußballer, genial, schnell, torgefährlich.“ Andere sagten: „Nee, gefällt mir nicht, der ist zu theatralisch.“ Ich habe polarisiert. Vielleicht lag es daran, dass ich sehr oft im Mittelpunkt in der Öffentlichkeit stand, viel erlebt hatte – meine Transfers waren für die Medien immer ein Aufhänger großer Geschichten.
Besondere Prägung durch Jugendtrainer Gerster
SPORT1: Ist es ein Makel für Sie, dass Sie kein zweiter Lothar Matthäus geworden sind?
Möller: Ich hatte eine fantastische Karriere und war bei vielen Titeln dabei. Natürlich gehört auch etwas Glück dazu. Ich war nie groß verletzt. Ich sage: Ich habe alles richtig gemacht. Klar, man hatte vielleicht erwartet, dass ich in der Nationalmannschaft noch mehr hätte erreichen können. Gerade bei der WM 1994 oder 1998 dachte man, dass mir der große Durchbruch zum Weltstar gelingt. Aber ich sehe das nüchtern und blicke trotzdem mit Stolz zurück.
SPORT1: Wer war der witzigste und verrückteste Mitspieler in der Kabine?
Möller: Ich hatte viele lustige Mannschaftskollegen, aber besonders mit Steffen Freund hatte ich eine super Zeit beim BVB. Wir waren Buddies auf und neben dem Platz. Wir hatten denselben Humor – das war eine besondere Verbindung.
SPORT1: Gab es einen Trainer, der Sie besonders geprägt hat?
Möller: Ja, natürlich. Mein Jugendtrainer Klaus Gerster hat mir die fußballerische Ausbildung ermöglicht. Dietrich Weise bei Eintracht Frankfurt war mein erster Profitrainer, der mir den Einstieg erleichtert hat. Ottmar Hitzfeld muss ich nennen – unter ihm hatte ich meine beste Zeit von 1994 bis 1997. Auch Dragoslav Stepanović war wichtig, und Huub Stevens auf Schalke. Ich brauchte Trainer mit Autorität, zu denen ich aufschauen konnte. Nur dann hat man den besten Spieler Andy Möller bekommen.
SPORT1: Was war der emotionalste Moment Ihrer Karriere – abgesehen vom Wembley-Finale 1996?
Möller: Ganz klar die Weltmeisterschaft 1990 in Rom mit Franz Beckenbauer. Dann die „Meisterschaft der Herzen“ mit Schalke 04 – das hat wehgetan. Emotional war auch die Deutsche A-Jugendmeisterschaft 1985 mit Eintracht Frankfurt. Das war mein erster Titel – da kam der Hunger auf mehr. Die erste Deutsche Meisterschaft in der Saison 94/95 mit dem BVB darf auch nicht unerwähnt bleiben.
Schalke 2001 als bitterster Moment
SPORT1: War Schalke 2001 auch der bitterste Moment?
Möller: Ja, das war bitter – genauso wie 1992 mit Eintracht Frankfurt in Rostock. Wir waren die beste Mannschaft der Liga, spielten Fußball 2000, verloren aber das entscheidende Spiel. Wären wir damals Meister geworden, wäre meine Karriere vielleicht anders verlaufen…
SPORT1: Fehlen Ihnen heute im modernen Fußball echte Typen?
Möller: Ich weiß nicht, ob man das überhaupt noch braucht. Wir suchen immer nach Typen, aber die Zeit ist einfach eine andere. Heute kommen die meisten Spieler aus Nachwuchsleistungszentren. Ein Typ wird man durch Leistung auf dem Platz, durch Verantwortung für Mitspieler – nicht durch große Worte.
SPORT1: Sie haben im Vorgespräch erzählt, dass Sie als Jugendlicher in der U-Bahn verprügelt wurden. Was war da los?
Möller: Ja, das war Anfang der 80er, in der Punker-Zeit. Ich war auf dem Heimweg vom Training, die U-Bahn war leer, und ein paar alkoholisierte Typen haben mich rausgepickt. Es ist nichts Schlimmes passiert, aber angenehm war es nicht.
SPORT1: „Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien“ – ein Kultspruch. Wie ist dieser wirklich entstanden?
Möller: Wenn ich den Spruch so gesagt hätte, hätte ich ihn ins Buch gepackt – hat er aber nicht geschafft. Der Spruch wird mir zwar zugeordnet, ist aber völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich kann heute drüber selbst schmunzeln, er ist aber nicht aus meinem Mund gekommen.
SPORT1: Wie denken Sie über heutige Spieler, die mit Interviews viral gehen?
Möller: Ich finde das völlig ok. Früher war es spontaner, irgendwie schöner, auch für die Fans. Ich mag es, wenn Emotionen durchkommen – Wut, Freude, Ärger, direkt nach dem Spiel. Das ist das Salz in der Suppe. Das fehlt mir heute im Fußball oft.
Rückblick auf die „Schwalbe von Dortmund“
SPORT1: Lassen Sie uns über Ihre berühmte „Schwalbe von Dortmund“ sprechen. Wie blicken Sie 30 Jahre später darauf?
Möller: Natürlich wollte ich in dem Moment tricksen und täuschen. Aber ich bin nie in ein Spiel gegangen, um einen Elfmeter rauszuholen. Es war damals eine hektische Situation im Spiel gegen den KSC, viel Druck, es ging um die Meisterschaft. Nach 0:1 Rückstand in der 2. Halbzeit schien das Spiel verloren zu gehen und die Meisterschaft verloren. Ich habe eine Schutzschwalbe gemacht – und der Schiedsrichter hat gepfiffen. Natürlich würde ich dieses Kapitel lieber löschen, aber es ist nun einmal so geschehen. Ich wurde bestraft und gesperrt – vielleicht war es ein Wendepunkt. Durch diese Szene damals ist eine große Debatte über Fairness und Unfairness im Fußball entfacht worden.
SPORT1: Die Szene mit Lothar Matthäus, der gegenseitige „Gesicht-Wischer“ - wie war Ihr Verhältnis wirklich?
Möller: Hervorragend – damals wie heute. Ich habe mit Lothar bestimmt über 80 Länderspiele bestritten. Wir hatten Rivalität nur bei Dortmund gegen Bayern. Aber das war rein sportlicher Natur. Nach dem Spiel war wieder alles in Ordnung.
SPORT1: Was bereuen Sie in Ihrer Karriere?
Möller: Ich bereue gar nichts. Wenn jemand sagt: „Würden Sie das alles nochmal so erleben wollen?“ – ja, sofort. Die positiven Momente überwiegen. Ich bin dankbar, dass ich das erleben durfte – ohne große Verletzungen, mit vielen Titeln.
SPORT1: Was möchten Sie, dass die Leser nach der letzten Seite Ihres Buches über Sie denken?
Möller: Oh, verdammt – der hat echt eine geile Karriere gehabt! Sehr abwechslungsreich, sehr bewegend, sehr emotional. Und es hat richtig Spaß gemacht, das Buch zu lesen.