Hällevik – ein abgelegenes, idyllisches Fischerdorf mit lediglich 1.500 Einwohnern, rot-weißen Häuschen, Blick auf die Ostsee – und Heimat der aktuell besten Fußballmannschaft Schwedens.
Sensation durch ein Fischerdorf
Ein Fischerdorf blamiert die Elite
Der Dorfverein Mjällby AIF führt vier Spieltage vor Saisonende die Tabelle der schwedischen Liga mit riesigem Vorsprung an und steht völlig überraschend vor der ersten Meisterschaft seiner Vereinsgeschichte.
Mjällby trägt seine Heimspiele im Stadion mit dem durchaus passenden Namen Strandvallen aus. Die Arena direkt am Strand der Südküste Schwedens fasst rund 6.500 Zuschauer – also mehr als das Vierfache der Einwohnerzahl des Fischerdorfs.
Der Vereinsvorsitzende Magnus Emeus beschreibt die Heimat des Überraschungsteams im Gespräch mit The Associated Press stolz als „das schönste Fußballstadion Schwedens“.
Gästeteams fahren „ans Ende der Welt“
Die Lage sei „so ländlich und abgelegen, dass Gästeteams das Gefühl haben könnten, ans Ende der Welt zu fahren“.
Genau dort spielt sich die sensationelle Erfolgsgeschichte des schwedischen Außenseiters ab, welche unter anderem der britische Guardian als „Wunder“ bezeichnet, während die amerikanische AP von einem „der bemerkenswertesten Erfolge im europäischen Fußball“ spricht.
Aktuell beträgt der Vorsprung von Mjällby AIF nach dem jüngsten 2:0-Sieg stolze elf Punkte bei vier ausstehenden Spielen für den Tabellenführer der schwedischen Allsvenskan.
Zufallsmeister könnte Mjällby dann keiner nennen, die Mannschaft ist seit stolzen 18 Ligaspielen ungeschlagen, stellt mit 17 Gegentreffern (in 26 Spielen) die beste Abwehr und mit 47 Toren die zweitbeste Offensive der Liga.
Somit lässt man größere Klubs wie Rekordmeister Malmö FF, AIK Solna oder IFK Göteborg trotz eines deutlich geringeren Kaderwerts weit hinter sich.
Mit einem Gesamtwert von lediglich 16,85 Millionen Euro stellt der Klub laut transfermarkt.de lediglich den neuntwertvollsten Kader der schwedischen Liga. Zum Vergleich - den geringsten Marktwert in der Bundesliga hat St. Pauli mit knapp 52 Millionen Euro, also mehr als das Dreifache.
2016 noch fast in die 4. Liga abgestiegen
Dabei wäre Mjällby noch 2016 beinahe in die vierte schwedische Liga abgerutscht. Erst am letzten Spieltag der Saison konnte man vor neun Jahren den Abstieg ins Niemandsland des schwedischen Fußballs verhindern.
Seither folgte ein langsamer Neuaufbau des Klubs, nach zwei aufeinanderfolgenden Aufstiegen 2018 und 2019 etablierte man sich in der ersten Spielklasse.
Der Überraschungserfolg des Außenseiters hat mehrere Gründe – ein finanzieller gehört jedoch nicht dazu. Denn wer vermutet, dass es beim schwedischen Tabellenführer eine riesige Finanzspritze oder die Übernahme eines reichen Investors gab, der irrt.
Laut Klub-Boss Emeus belief sich Mjällbys Umsatz im vergangenen Jahr auf nur rund 7,6 Millionen Euro. Damit würde der Klub lediglich ungefähr ein Achtel des Budgets von Vorjahresmeister Malmö aufweisen.
„Können besseren Teamgeist als Real Madrid haben“
Diesen Nachteil macht der Klub aber auf andere Weise wett.
Die Idee, so erklärt es Emeus, lautet so: „Wir müssen in den Dingen, die kostenlos sind, die Besten sein. Wir können einen besseren Teamgeist haben als Real Madrid. Wir können uns besser auf ein Spiel vorbereiten als Manchester United.“
Der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft spielt bei Mjällby eine übergeordnete Rolle.
Wie Mittelfeldspieler Elliot Stroud der BBC verriet, lebt ein großer Teil der Spieler gemeinsam in einer Art Studentenwohnheim. „Wenn wir nichts zu tun haben, grillen wir, kochen zusammen oder hängen ab“, erzählte er.
Ein Wissenschaftler als Erfolgsgarant
Eine wichtige Rolle spielt außerdem das Trainerteam um Chef-Coach Anders Torstensson und Co-Trainer Karl Marius Aksum. Letzterer leistet vor allem auf taktischer Ebene einen entscheidenden Beitrag.
Aksum hat zum Thema visuelle Wahrnehmung im Fußball promoviert und präsentierte sein Wissen vor seiner Anstellung in den sozialen Medien. Nun bringt er dieses als Assistenzcoach des 1939 gegründeten Klubs ein.
„Niemand auf der Welt hat sich so intensiv mit den Augenbewegungen von Fußballern beschäftigt wie ich. Dabei ist es im modernen Fußball entscheidend: Informationen über seine Umgebung zu sammeln“, erklärte der 35-Jährige.
Cheftrainer Anders Torstensson weist ebenfalls eine besondere Geschichte auf. Der ehemalige Jugendspieler des Dorfvereins war zehn Jahre beim Militär und arbeitete zwischenzeitlich als Schulleiter, ehe er Trainer von Mjällby wurde.
Im Sommer letzten Jahres wurde beim 59-Jährigen chronische lymphatische Leukämie diagnostiziert. Da eine Behandlung laut eigener Aussage nicht nötig sei, steht er jedoch weiterhin an der Seitenlinie.
Das Märchen von Mjällby nimmt Formen an
Und so nimmt das Märchen von Mjällby mehr und mehr Form an. Nur Hammarby IF hat rein rechnerisch noch eine Chance, den Meistertitel des Underdogs noch zu verhindern.
Doch mit elf Punkten Vorsprung bei vier verbleibenden Spielen ist die Sensation für den Dorfklub von der Ostseeküste zum Greifen nah.
Schon am Sonntag kann Mjällby durch Patzer der Konkurrenz den Coup perfekt machen - oder es am Montag selbst richten.
„Wenn wir die Liga gewinnen könnten, könnte ich mir nichts vorstellen, was dieser Leistung auch nur annähernd gleichkäme“, blickte Vorstand Emeus voraus: „Die Größe des Vereins, unsere Bedingungen, unsere finanzielle Stärke – in einem Jahr alle anderen zu schlagen ... Ich glaube, das hat noch niemand auch nur annähernd geschafft."
Einem Fischerdorf winkt die Champions League
Sollte das schwedische Fußballwunder mit der Meisterschaft eintreten, wäre es für Mjällby noch nicht das Ende einer sensationellen Reise: Als Erster der Allsvenskan würde der Dorfklub sogar in der Champions-League-Qualifikation antreten.
Die ersten internationalen Auswärtsreisen, Königsklasse in einem Fischerdorf? Das hätte doch was. Ob die UEFA da mitspielen würde und Mjällby nicht an einen größeren Ort ausweichen müsste, wäre zwar noch zu klären - aber das ist ein Problem für die Zukunft.