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Ein Trainer-Mythos der Bundesliga - als Mensch nicht ohne Tragik

„Der menschlichste aller Schleifer“

Als Trainer galt er als Genie, seine Ideen revolutionierten den Fußball – und bescherten dem HSV große Erfolge. Abseits des Geschäfts eilte ihm der Ruf des Lebemanns voraus. Am heutigen Samstag wäre Ernst Happel 100 Jahre alt geworden.
Ernst Happel im Jahr 1972 als Coach von Feyenoord Rotterdam
Ernst Happel im Jahr 1972 als Coach von Feyenoord Rotterdam
© IMAGO / ANP
Als Trainer galt er als Genie, seine Ideen revolutionierten den Fußball – und bescherten dem HSV große Erfolge. Abseits des Geschäfts eilte ihm der Ruf des Lebemanns voraus. Am heutigen Samstag wäre Ernst Happel 100 Jahre alt geworden.

Im Augenblick seines größten Triumphes mit dem Hamburger SV zeigte Ernst Happel plötzlich eine ganz andere Seite.

Mit einer spontanen Tanzeinlage nach dem Titelgewinn im Europapokal der Landesmeister am 25. Mai 1983 mit einem 1:0-Sieg über die favorisierten Stars von Juventus Turin im Finale von Athen machte sich Happel beim HSV-Anhang unsterblich, wie es in einer späteren Würdigung in der Welt hieß.

„Er ließ sich gehen in einer Art, die man vorher für so unwahrscheinlich gehalten hatte wie etwa ein öffentlicher Auftritt des Papstes in einer Badehose“, beschrieb Torhüter Uli Stein Jahre später die Szene.

Die magische Nacht von Athen war die Krönung von Happels Wirken an der Elbe. 1981 übernahm der gebürtige Wiener die Hamburger und führte den Klub 1982 und 1983 jeweils zur Meisterschaft, 1987 verabschiedete er sich mit dem Gewinn des DFB-Pokals nach sechs Jahren auf der Trainerbank des HSV.

Happel beim HSV unvergessen

Eine solche Konstanz wirkt aus heutiger Sicht in Anbetracht der chaotischen jüngeren Vergangenheit des einstigen Bundesliga-Dinos schwer vorstellbar. Die Erinnerung an die prägende Trainerlegende wird daher auch heute anlässlich des 100. Geburtstags von Happel an diesem Samstag beim HSV gepflegt.

„Er war der menschlichste aller Schleifer“, sagte Günter Netzer einst über Happel. Als Manager erfüllte er dem Trainer beim HSV die Spielerwünsche.

Im Umgang mit seinen Spielern galt Happel als nicht immer einfach – das lag auch an dem einen oder anderen Verständnisproblem. Geprägt von seiner Zeit in den Niederlanden waren seine Ansprachen mitunter eine eigenwillige Mischung aus Wiener Schmäh und niederländischen Begrifflichkeiten.

Auch wenn man ihn nicht verstehen konnte, habe Happel jedem Spieler erklären können, was er von ihm wollte, erinnert sich Netzer: „Seine Übungseinheiten waren so, dass es den Spielern in Fleisch und Blut überging.“

Happel revolutionierte als Trainer den Fußball

Happel hatte stets seine Lieblinge im Team, wer nicht zu ihnen zählte, hatte nicht immer ein leichtes Leben. Aber bei echten Problemen kümmerte er sich auch um den letzten Ersatzspieler. Und die Erfolge gaben ihm stets recht. Anfang der 80er Jahre dominierte der HSV die Liga, der FC Bayern war meist nur zweiter Sieger.

In einer Zeit ohne Videoanalysen und ohne Laptop im Trainerzimmer war der Ausnahmecoach revolutionär - eben auf seine Art. Ballbesitzfußball im Stile von Pep Guardiola ließ er schon vor 40 Jahren spielen, die Begründung dafür war ein typischer Happel: „Wenn wir die Kugel haben, haben die anderen sie nicht.“

Happel legte zudem die Grundlage des modernen Pressings – lange bevor Jürgen Klopp mit seiner Form des „Heavy-Metal-Fußballs“ Erfolge feierte. „Er war einfach seiner Zeit voraus“, erinnert sich Netzer.

Während Happel bei seiner Arbeit als Trainer Wert legte auf Disziplin, galt er abseits des Fußballgeschäfts als Lebemann und Kettenraucher.

„König Lungenzug“ abseits des Fußballs

„Mein Pech ist es gewesen, dass ich sechs Jahre älter war, eines Tages Trainer bei Rapid wurde und diesem König Lungenzug Disziplin beibringen sollte“, sagte sein früherer Weggefährte Max Merkel anlässlich Happels Amtsantritt beim HSV dem Spiegel.

„Aber außerhalb des Spiels war dieser Homo ludens ein Luder“, ergänzte Merkel. „Alles was mit F anfing, gefiel ihm. Film, Frauen, Feuerwasser, Fidelitas aller Art. Aber auch bei Skat, Poker und Roulette war er dabei.“

Jahrzehntelang hatte der „Zauberer“ und „Wödmasta“, wie man ihn als Spieler nannte, die starken Belga-Zigaretten gepafft. Später erkrankte er an Lungenkrebs. Schon von dieser Krankheit gezeichnet, übernahm Happel im Januar 1992 den Job des österreichischen Nationaltrainers - und starb am 14. November 1992 im Alter von 66 Jahren, vier Tage vor einem Länderspiel gegen Deutschland.

Am Spieltag lag seine Kappe auf der Trainerbank des Praterstadions, längst ist die Arena nach Ernst Happel benannt.

Happels ambivalentes Verhältnis zu seiner Heimat

Zu Lebzeiten hatte Happel ein ambivalentes Verhältnis zu seiner Heimat. Am 29. November 1925 kam Ernst Franz Hermann Happel in Wien als uneheliches Kind zur Welt. Ein Jahr nach seiner Geburt heiratete seine Mutter Karoline den Gewichtheber Franz Josef Happel, der in Wien eine Gaststätte führte.

Während seine Eltern ihr Leben dem Wirtshaus widmeten, galt Ernst Happels Interesse voll und ganz dem Fußball. Bei Rapid Wien machte er seine ersten Schritte und wurde später zum Publikumsliebling. Als Stopper in der Abwehr bestritt er auch 51 Länderspiele für die österreichische Nationalmannschaft.

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Bei der WM 1954 spielte die ÖFB-Auswahl groß auf – bis zum 1:6-Debakel im Halbfinale gegen Deutschland. Happel wurde von der Presse als einer der Hauptschuldigen ausgemacht. Nach seinem Karriereende ging er daher ins Ausland und begründete in den Niederlanden seine erfolgreiche Trainerkarriere.

Große Erfolge in den Niederlanden – Rückkehr nach Österreich

Mit ADO Den Haag wurde Happel 1968 niederländischer Pokalsieger, Feyenoord Rotterdam führte er 1970 zum ersten Triumph einer niederländischen Mannschaft im Europapokal der Landesmeister. Als Bondscoach verpasste er bei der WM 1978 in Argentinien nur knapp den Weltmeistertitel, im Finale unterlag die Elftal dem Gastgeber mit 1:3 nach Verlängerung.

Nach seinem erfolgreichen Engagement beim HSV schloss sich mit der Rückkehr nach Österreich 1987 für Happel ein Kreis. Mit dem FC Swarovski Tirol wurde er noch zweimal Meister und einmal Pokalsieger, ehe er 1992 seinen letzten Job als ÖFB-Teamchef antrat.

In seiner Heimat wird Happel als Legende verehrt. Das mittlerweile geschlossene Café Ritter im 16. Bezirk in Ottakring, so etwas wie Happels zweite Heimat, war jahrelang eine beliebte Pilgerstätte für Fußball-Enthusiasten.

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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)