Der Tod von Werner Lorant hat den TSV 1860 München erschüttert. Am Donnerstag findet die Trauerfeier in München statt. Der frühere Löwen-Trainer verstarb im Alter von 76 Jahren.
60-Ikone: „Da bekomme ich Gänsehaut“
Im Grünwalder Stadion traf SPORT1 Thomas Miller, Jahrhundertspieler des Vereins und enger Vertrauter von Lorant, zu einem Exklusiv-Interview. Der 62-Jährige, noch immer eine Kultfigur, spricht über seine Erinnerungen an „Werner Beinhart“ und würdigt dessen Vermächtnis.
SPORT1: Herr Miller, als Sie vom Tod von Werner Lorant gehört haben – was war Ihr erster Gedanke?
Thomas Miller: Ich bin immer noch sehr traurig, dass Werner gestorben ist – das war ein Schock für mich. Er war eine der prägendsten Persönlichkeiten bei Sechzig. Die ganze Löwen-Familie ist immer noch wie gelähmt. Wir waren eine Gruppe von fünf, sechs ehemaligen Spielern, die ihn regelmäßig besucht haben und geschaut haben, wie es ihm geht. Werner hat dem Verein so viel gegeben.
Lorant? „Zuletzt ist es sehr schnell bergab gegangen“
SPORT1: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt?
Miller: Vor Weihnachten. Da ging es ihm eigentlich noch gut, aber zuletzt ist es sehr schnell bergab gegangen mit ihm.
SPORT1: Was hat ihn als Mensch und Trainer ausgemacht – besonders in Ihrer gemeinsamen Zeit bei 1860?
Miller: Für Außenstehende war er immer der „Werner Beinhart“ – vor allem für die Journalisten. Aber er hatte ein riesiges Herz. Werner war vor allem ein sehr guter Instinkt-Trainer. Das hat dem Klub unglaublich viel gebracht. Dass er damals Trainer bei Sechzig geworden ist, war das Beste, was dem Verein passieren konnte.
SPORT1: Wie sehr fehlt heute ein Typ wie Werner Lorant im Fußball – gerade bei einem Klub wie den Löwen?
Miller: Anders gefragt: Wie viele Trainer wie Werner Lorant gibt es heute noch? Heutzutage sind doch alle Trainer gleich gestrickt – und ihre Aussagen klingen auch immer ähnlich. Werner war einzigartig. (schaut traurig) Das fehlt im Profibereich. Er hat gesagt, was Sache ist – und das war gut so.
SPORT1: Die Urne von Werner Lorant wird in Nordrhein-Westfalen beigesetzt. Ist es schade, dass Sie nicht häufiger an sein Grab gehen können?
Miller: Die Familie wollte das so, und das verstehe ich auch. Der Gottesdienst war in München – da hatten die Fans und früheren Spieler die Gelegenheit, Abschied zu nehmen. Das war schon in Ordnung. Ich werde Werner sehr vermissen – wie die ganze Löwen-Familie. Ich muss aber nicht regelmäßig zum Grab gehen. Ich denke auch so oft an ihn.
Miller: „Volland ist kein Heilsbringer“
SPORT1: Eine erfreuliche Nachricht war die Rückkehr von Kevin Volland zu 1860. Was ging Ihnen als langjährigem Löwen durch den Kopf?
Miller: Die Nachricht hat mich sehr überrascht. Ich hatte schon etwas gehört, dass er kommen könnte, aber dass er es dann wirklich macht – das ist schon eine andere Geschichte. Ich freue mich sehr. Volland wird 1860 neu beleben. Sportlich müssen wir gar nicht reden – aber er hat auch einen super Charakter. Eines muss ich aber sagen: Volland ist kein Heilsbringer. Bitte nicht die ganze Last auf seine Schultern legen – das wäre zu viel für den Jungen. Es stehen immer elf Spieler auf dem Platz – und Kevin ist einer von ihnen. Aber ich bin froh, dass er da ist, und ich glaube auch, dass er Sechzig weiterbringt. Nur: Wir sollten keine Wunderdinge von ihm erwarten.
SPORT1: Was zeichnet den guten Charakter von Volland aus?
Miller: Ich kenne Kevin seit 15 Jahren, seit er bei Sechzig in der Jugend gespielt hat. Er war immer anständig und hat wirklich einen super Charakter. Auch bei den Vereinen, bei denen er nach seiner Zeit bei den Löwen gespielt hat, hat er sich immer einwandfrei verhalten – er war nie ein Stinkstiefel. Volland hat immer Vollgas gegeben und sich mit den Klubs identifiziert. Er ist ein prima Junge.
SPORT1: Was bedeutet es für einen Verein wie 1860, wenn ein Spieler mit einer solchen internationalen Erfahrung sich bewusst für eine Rückkehr entscheidet? Er wäre ja sogar in die Regionalliga gegangen.
Miller: Das spricht für ihn. Ich glaube aber schon, dass er lieber Dritte Liga spielt als Regionalliga. (lacht) Ich denke auch, dass in zwei Jahren die Möglichkeit besteht, mit Sechzig wieder in die Zweite Liga aufzusteigen. Das ist sein Ziel. Warum soll das nicht klappen?
SPORT1: Könnte Volland sogar eine Initialzündung für eine neue goldene Ära der Löwen sein?
Miller: Das Alter spielt da keine Rolle. Ich erinnere mich an die Zeit, als Peter Pacult zu 1860 kam. Da haben viele gesagt: „Was willst du mit so einem alten Spieler?“ Am Ende wurde er Torschützenkönig in der Zweiten Liga. Kevin ist ein toller Sportsmann – mit ihm können wir erfolgreich sein. Er wäre auch in die Regionalliga gekommen, weil ihn das wenig interessiert. Sechzig ist sein Heimatverein – nur das zählt für ihn. Ich finde es großartig, dass er das macht. Kevin geht es sicher nicht ums Geld – sonst würde er weiter Bundesliga spielen. Er will bei Sechzig einfach nochmal etwas bewegen. Die Mannschaft ist nicht schlecht – wenn sie hart trainiert. Quasi wie bei Werner Lorant. (lacht) Dann kannst du nächste Saison oben mitspielen.
Miller: „1860 hat wieder Charakter“
SPORT1: Glauben Sie, dass diese Entscheidung auch ein Zeichen für gelebte Identifikation ist – gerade in Zeiten, in denen so etwas im Profifußball oft verloren geht?
Miller: Ich habe mich sehr mit 1860 identifiziert. Aber es gibt auch heute noch Spieler, die sich mit ihren Vereinen identifizieren. Kevin gehört dazu – und bei Sechzig auch Marco Hiller (1860-Torwart, Anm. d. Red.) und Jesper Verlaat (der aktuelle Kapitän). Ich bin gerade sehr positiv gestimmt. Wenn die Mannschaft so zusammenbleibt und zusätzlich ein, zwei Positionen gut ergänzt werden, dann kannst du in der Dritten Liga vorne mitspielen.
SPORT1: Wie zufrieden sind Sie mit Trainer Patrick Glöckner?
Miller: Ich habe viel Gutes über ihn gehört, habe ja noch immer guten Kontakt zum Verein. Glöckner trainiert deutlich härter als sein Vorgänger – und im Profibereich musst du hart trainieren. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass man mit den aktuellen Spielern noch zehn, zwanzig Prozent mehr herausholen kann. Aber eins ist klar: 1860 hat wieder Charakter.
Miller: „Das werfe ich Ismaik vor“
SPORT1: Charakter hat Investor Hasan Ismaik nicht – finden zumindest die Ultras. Wie bewerten Sie seinen angekündigten Rückzug?
Miller: Was soll ich zu diesem Mann noch sagen? Er hat schon einmal angekündigt, alles verkaufen zu wollen. Ich glaube es erst, wenn es soweit ist. Ismaik hat 1860 nie wirklich gutgetan. Im arabischen Raum wird viel gefeilscht – was am Ende dabei rauskommt, muss man abwarten.
SPORT1: War dieser Schritt überfällig, notwendig oder doch eher tragisch, wenn man an die ursprünglich großen Hoffnungen denkt?
Miller: Ismaik hat sich etwas anderes erwartet – und der Verein auch. Man ist in all den Jahren nie wirklich zusammengekommen. Dabei wäre genau das so wichtig gewesen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Du musst an einem Strang ziehen.
SPORT1: Was werfen Sie Ismaik vor?
Miller: Er war einfach zu naiv. Das werfe ich Ismaik vor. Er kam damals hier an und meinte nur „Macht einfach mal“, dann hat das aber nicht funktioniert und plötzlich hatte er dubiose Berater und auch das ging in die Hose. Er hat von Fußball einfach keine Ahnung. Es wurde nie miteinander etwas versucht.
SPORT1: Wer sollte die Anteile von Ismaik kaufen?
Miller: Wenn du erfolgreich bist, wirst du interessant für andere Investoren.
SPORT1: So viel Zeit hat Ismaik nicht…
Miller: Du kannst es aber dennoch schaffen, aus der Dritten Liga rauszukommen. Nur, wenn du Erfolg hast, werden andere Investoren und Sponsoren hellhörig. Alles andere ist Schwachsinn. Wenn man sich nur bekämpft, kommt kein Erfolg. Werner Lorant hätte sich vom Ismaik niemals etwas sagen lassen. Schon damals hat er den alten Wildmoser zusammengefaltet. Da sind ordentlich die Fetzen geflogen. Aber das war ja nicht schlecht. Für uns war nur der Erfolg maßgebend, so soll es auch heute sein.
Miller: „So ein Verein gehört nicht in die Dritte Liga“
SPORT1: Wie groß ist die Chance für einen echten Neuanfang – oder birgt dieser Umbruch auch Risiken?
Miller: Ich habe mir das in den vergangenen Wochen sehr genau angeschaut. Die Mannschaft ist intakt, der Trainer ist gut, es ist kein Störfeuer zu erkennen und dann erkennt man, dass etwas geht. Man muss im Sommer optimistisch in die neue Saison gehen, dann bin ich zuversichtlich, dass etwas erreicht werden kann. Mit Sechzig sowieso, das ist einer der größten Traditionsvereine in Deutschland. Wir sprechen von 125 Jahren Fußballgeschichte. So ein Verein gehört nicht in die Dritte Liga.
SPORT1: Der 17. Mai ist für viele Löwen-Fans ein heiliger Tag. Was bedeutet Ihnen das Gründungsdatum des TSV 1860 München?
Miller: Dieses Datum kennt jeder bei Sechzig, der etwas mit Fußball am Hut hat. Wahnsinn! 125 Jahre existiert dieser Verein schon. Da bekomme ich Gänsehaut. Alle bei 1860 wollen, dass Friede herrscht und sich der Erfolg langfristig wieder einstellt. Die Erfolgsgeschichte von unserem Verein soll einfach weitergeschrieben werden.
SPORT1: Was würden Sie sich als Löwen-Legende für die Zukunft des Vereins jetzt am meisten wünschen?
Miller: Dass jetzt die nächsten Jahre Kontinuität reinkommt. 1860 muss den Angriff auf die Zweite Liga starten. Und dort sollte man ein gestandener Zweitligist werden, das heißt, sich dort drei, vier, fünf Jahre etablieren. Danach kann man schauen, was noch passiert. Dann hat man eine ganz andere Verhandlungsposition mit der Stadt, wenn das Grünwalder Stadion vergrößert werden sollte. Aber wenn du jede Woche einen anderen Geschäftsführer hast, ist das unmöglich. Kontinuität wäre so wichtig für Sechzig.
SPORT1: Was macht diesen Verein auch nach 125 Jahren noch so besonders?
Miller: Sechzig ist Sechzig. Das ist ein Verein wie der FC St. Pauli, das sind echte Kultvereine. Wir haben so viel Potenzial, bitte lasst es uns gemeinsam angehen. Der 17. Mai ist unser Tag, der Blick geht nach vorne, vielleicht wird an diesem Tag ein weiterer spektakulärer Neuzugang bekanntgegeben. Wir müssen die Zukunft neu gestalten. Die Verpflichtung von Volland wird eine Initialzündung haben. Vielleicht finden ja auch Jungs wie Benny Lauth oder Stefan Aigner den Weg zurück, wenn auch nicht mehr auf den Platz.