Der Abschied von Investor Hasan Ismaik markiert das Ende eines umstrittenen Kapitels in der Geschichte des TSV 1860 München – und den Beginn einer ungewissen, vielleicht aber auch hoffnungsvollen Zukunft. Während die Löwen-Fans in Giesing zwischen Erleichterung und Erwartung schwanken, kehren drei Legenden des Klubs an einen Ort zurück, der für sie schon immer das wahre Herz von 1860 war: das Grünwalder Stadion.
„Ein klares Zeichen für die Liga“
Fredi Heiß, Bernd Patzke und Hans Reich – Namen, die untrennbar mit den glorreichen 60er-Jahren der Löwen verbunden sind – trafen sich hier mit SPORT1 zum exklusiven Interview.
Jahrzehnte nach ihren größten Erfolgen sprechen sie über eine Zeit, in der 1860 zur Elite des deutschen Fußballs zählte, und über die neue Aufbruchstimmung, die mit der Rückkehr von Kevin Volland und Florian Niederlechner spürbar geworden ist.
„Ich bin sehr glücklich über den Investoren-Wechsel“
SPORT1: Herr Heiß, Sie waren ja auf der Mitgliederversammlung. Was sagen Sie zum Investoren-Wechsel?
Fredi Heiß: Das hat mich sehr überrascht, und ich bin sofort zur Mitgliederversammlung gefahren, um Hintergründe zu erfahren. Ich bin sehr glücklich über den Investoren-Wechsel, denn nun können wir neben dem sportlichen Aufbruch auch eine neue Liaison mit einem Investor eingehen. Jetzt können wir gemeinsam daran arbeiten, 1860 wieder in die 2. Liga zu bringen. Langfristig gesehen könnte es nun einfacher werden. Ismaik hat über 14 Jahre hinweg den Status quo bei den Löwen aufrechterhalten und uns eine schuldenfreie Basis ermöglicht.
SPORT1: Der neue Investor ist Schweizer und kennt den Verein nicht. Glauben Sie, dass er genug Kenntnisse vom Fußball hat?
Heiß: Warum muss ein Investor etwas vom Fußball verstehen? Es gibt 50+1 – er gibt sein Geld und hat Freude daran. Zuletzt war es ein Herr aus dem Morgenland, jetzt ein Schweizer. Ich bin kein Fan davon, dass Sechzig einen Investor braucht, aber es ist nun mal so. Selbst der Letzte muss erkennen, dass 1860 ohne Investor große Probleme bekommt. Jetzt wäre es für alle Seiten wichtig, ein ordentliches Verhältnis zum neuen Investor aufzubauen. Die Verantwortung muss beim Verein liegen. Ich kann mich bei Ismaik nur bedanken, dass er den Weg freigemacht hat. Es hat sicher nicht alles so geklappt, wie wir es uns erhofft haben, aber wir sind schuldenfrei. Wir wünschen ihm alles Gute.
„Diese Fans – die sind in München wirklich einmalig"
SPORT1: Wie groß ist die Vorfreude auf die neue Saison?
Heiß: Das Kribbeln stellt sich bei uns nicht mehr ganz so schnell ein, aber wir freuen uns trotzdem auf die neue Runde. Die Löwen starten mal wieder einen neuen Anlauf in Richtung Aufstieg.
SPORT1: Was bedeutet Ihnen persönlich die Rückkehr der Fans in solcher Zahl beim Trainingsauftakt – mit so viel Euphorie? Das war zuletzt bei der Verpflichtung von Thomas Häßler der Fall.
Heiß: Es ist nicht so, dass man das nach der vergangenen Saison nicht erwarten konnte. Wobei ich sagen muss, dass Florian Niederlechner uns schon vor zehn Jahren gut zu Gesicht gestanden hätte. Er wollte damals zu Sechzig kommen, aber dann hat es nicht geklappt und er ist zu Mainz 05 gewechselt. Er ist ein toller Spieler – und für die Fans ist seine Verpflichtung natürlich eine großartige Sache. Bei Kevin Volland ist es genauso. Vor allem an ihn erinnern sich die Fans gerne, weil er ja schon einmal hier gespielt hat. Es gibt immer einen Grund, warum Sechzig Begeisterung auslöst.
Hans Reich: 1860 hat eine unglaubliche Fangemeinschaft – sie ist grenzenlos. Wir hätten wahnsinnig viele Zuschauer, wenn wir besseren und erfolgreicheren Fußball spielen würden.
Bernd Patzke: Ich sehe das alles etwas kritischer. Der Verein hatte immer gute Spieler, aber solange man sich oben in der Chefetage nicht einigt, wird das niemals etwas. Da streiten Links gegen Rechts, Rechts gegen Links. Aber diese Fans – die sind in München wirklich einmalig.
„Es war die schönste Zeit meines Lebens“
SPORT1: Wie fühlt es sich an, wieder im Grünwalder Stadion zu stehen, wo Sie so viele Schlachten geschlagen haben?
Heiß: Natürlich ist das für uns immer etwas Besonderes. Selbst wenn ich nur mit dem Auto vorbeifahre, denke ich gerne an die damalige Zeit zurück. Es war die schönste Zeit meines Lebens, weil wir Erfolg hatten.
Reich: Ich sehe es wie der Fredi. Das Grünwalder war unsere zweite Heimat.
Patzke: Ich bin fasziniert von dem grünen Rasen – wie toll er gepflegt ist! (alle lachen) Hier zu spielen, ist auch heute noch eine tolle Sache für die Spieler.
SPORT1: Haben Sie bei der Atmosphäre rund um den Trainingsauftakt Gänsehaut bekommen?
Reich: Der Trainingsauftakt war immer eine schöne Sache – dieses Mal sogar noch ein bisschen mehr. Aber wenn die Mannschaft über weite Strecken so spielt wie in der vergangenen Saison und nur auf dem achten Platz landet, kommt keine Gänsehaut auf. Die gibt es erst, wenn wir um den Aufstieg mitspielen. Man geht immer wieder mit neuen Erwartungen und Hoffnungen in eine neue Saison – so auch diesmal. Aber Bernd hat schon recht: Das ewige Gezanke ist unwürdig. Und unnötig.
SPORT1: Was ist das Besondere an Sechzig, dass die Fans dem Verein trotz aller Rückschläge so treu bleiben?
Patzke: Diese Fan-Liebe ist in unserer Zeit gewachsen. Damals wurde hier noch im Europapokal gespielt – das war eine außergewöhnliche Zeit. Die Fans lassen sich von ihren Vätern immer wieder davon erzählen und träumen davon, so etwas selbst einmal zu erleben. Vielleicht nicht Europapokal, aber zumindest die 2. Liga… (lacht)
„Das Chaos hatte plötzlich das ganze Stadion erfasst”
SPORT1: Was war Ihr emotionalster Moment im Trikot der Löwen?
Heiß: Das war direkt nach dem Abpfiff, als wir damals Deutscher Meister geworden sind. Vom Rasen hast du nichts mehr gesehen. Wir konnten nicht einmal eine Ehrenrunde drehen, weil das Stadion so überfüllt war. Leider gibt es nur sehr wenige Bilder, auf denen wir alle gemeinsam zu sehen sind. Das Chaos hatte plötzlich das ganze Stadion erfasst.
SPORT1: Wie würden Sie die damalige Mannschaftskultur mit der heutigen vergleichen?
Patzke: Ich bin Berliner, und als ich damals zu Sechzig gekommen bin, waren sieben oder acht Münchner im Team. Das gibt es heute gar nicht mehr. Das hat natürlich dazu beigetragen, dass es damals authentischer war als heute.
Reich: Eine ganz schlimme Geschichte ist diese ewige Wechselei. Treue zum Klub gibt es doch gar nicht mehr. Oft dauert es dann wochen- oder monatelang, bis ein Spieler einen Vertrag unterschreibt. Eine Mannschaft kann gar nicht mehr jahrelang zusammenspielen.
Heiß: Das hat die Fans früher auch begeistert. Wir waren immer die gleichen Spieler. Also zumindest spielten wir einige Jahre zusammen. Wir hatten sowieso einen anderen Beliebtheitsstatus bei den Fans, weil wir den Münchner Fußball wieder in andere Sphären gehoben haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag der Münchner Fußball am Boden. Es gibt heute aber auch junge Leute, die alternativlos zu Sechzig halten und nicht zu Bayern. Auf die müssen wir zählen. Aber es braucht wieder eine erfolgreiche Mannschaft.
SPORT1: War dieser Zusammenhalt, von dem Sie gerade erzählt haben, damals ein Erfolgsgeheimnis?
Reich: Auf jeden Fall. Auf der anderen Seite waren wir eine Interessensgemeinschaft. Damals gab es keine Prämien, wenn du zwar gespielt, aber nicht gewonnen hast. Da waren wir uns einig, dass wir ein bisschen Geld verdienen wollen. Wir hatten in der Oberliga 80 Mark Grundgehalt, und bei einem Auswärtssieg gab es 40 Mark, zu Hause waren es 30 Mark.
Patzke: Was mich am meisten stört, ist, dass heutzutage 16-Jährige schon Berater haben, die natürlich darauf achten, dass der Spieler einen tollen Deal bekommt. Das sollten die Eltern machen. Dann gibt es auch gute Verträge, wie man beim Flo Wirtz sieht. (Alle lachen)
„Wenn Volland und Niederlechner eine tolle Einstellung an den Tag legen ...“
SPORT1: Was sagen Sie zu den Rückholaktionen von Kevin Volland und Florian Niederlechner – mit den beiden kehren echte Löwen zurück. Wie bewerten Sie diese Entscheidungen?
Reich: Volland hat mich schon immer beeindruckt. Der Junge hat eine profihafte Einstellung, das ist einfach toll. Er will immer gut spielen und gewinnen. Wenn er das weiterhin so zeigt und die anderen Spieler mitzieht, dann ist bei Sechzig endlich wieder etwas möglich. Es ist ganz einfach: Wenn Volland und Niederlechner eine tolle Einstellung an den Tag legen, werden die anderen Spieler angestachelt. Wenn die beiden jedoch denken „Ich verdiene mehr Geld und spiele lieber mal quer und mache weniger“, dann geht wieder nichts zusammen. Beim FC Bayern sind damals auch Franz Beckenbauer und Gerd Müller vorangegangen. So war es bei uns früher auch – wir wollten immer gewinnen.
Heiß: Wenn sich Volland ganz einbringen kann, wird er bei Sechzig Erfolg haben. Was er sportlich draufhat, wissen wir alle. Er muss auch fit sein. Wie gesagt, Niederlechner hätte ich gerne schon vor zehn Jahren bei Sechzig gehabt. Wir sind froh, dass diese beiden Jungs jetzt da sind.
SPORT1: Trainer Patrick Glöckner hat verlängert – wie wichtig ist Kontinuität auf der Trainerbank Ihrer Meinung nach für den Erfolg eines Vereins wie 1860?
Reich: Das hoffe ich sehr. Ich kenne ihn leider nicht persönlich. Es wurde besser unter ihm, und der Klassenerhalt wurde dann auch souverän geschafft.
Patzke: Ich freue mich für Glöckner, dass er jetzt eine komplette Vorbereitung hat – dann kann er zeigen, was in ihm steckt.
„1860 und PSG - ein irrer Vergleich“
SPORT1: Was muss sich grundsätzlich bei 1860 ändern, damit es wieder nach oben geht?
Heiß: 1860 muss wieder eine Einheit werden. Der Fokus der Verantwortlichen sollte sich mehr auf den Fußball richten. Es gehört ein Chef hierher, der eine Galionsfigur ist – jemand, der das Team und den Trainer zur richtigen Zeit loben, aber auch rügen kann. Es müssen fußballtaktisch versierte Leute her, die selbst gespielt haben. Es gibt ehemalige Fußballer, die manche Vereine sehr groß gemacht haben. Das ganze Drumherum ist total unwichtig. Das muss einigen bei 1860 klar werden.
SPORT1: Fehlen auch ehemalige Spieler wie Benny Lauth, Michael Hofmann oder Bernhard Winkler?
Reich: Das stellen sich manche zu einfach vor. Nur weil einige Jungs Fußball gespielt haben, sind sie noch keine guten Trainer oder Manager. Okay, Benny Lauth hat inzwischen das kaufmännische Know-how, aber es bleibt trotzdem schwierig.
Patzke: Ich wäre schon dafür, ehemalige Spieler mit einzubinden, die wirklich helfen können. Benny Lauth oder Bernhard Winkler könnten sicher unterstützen – aber das geht nur, wenn sie sich mit den Herren in der Chefetage einig sind.
SPORT1: Was trauen Sie Ihren Löwen in der neuen Saison realistisch zu?
Reich: Sie kommen unter die ersten Vier. Wichtig ist, dass ein Team zusammenwächst. Ein typisches Beispiel ist Paris Saint-Germain: Mit Mbappé, Messi und Neymar hat da nichts funktioniert – jetzt läuft einer für den anderen. 1860 und PSG – ein irrer Vergleich. (alle lachen)