Fast drei Monate liegt der große Tag mittlerweile zurück, seither steht fest: Sie sind wieder da. Mit einem Derbysieg gegen die Würzburger Kickers sicherte sich der 1. FC Schweinfurt 05 den ersten Platz in der Regionalliga Bayern und stieg bereits drei Spieltage vor Schluss in die 3. Liga auf. Im Sachs-Stadion jubelten 12.000 Fans mit, 23 Jahre nach dem Abstieg aus der 2. Liga kehren die Unterfranken in den Profifußball zurück. Es war die vorzeitige Krönung eines holprigen, aber gleichzeitig auch beeindruckenden Weges.
Das deutsche Athletic Bilbao?
Ein kleines Fußballwunder
2005 warf eine Insolvenz den Traditionsklub zurück, es folgte ein Neustart in der Landesliga. Über die Bayernliga ging es zurück in die Regionalliga - und nun sogar noch eine Klasse höher. All das nur zwei Jahre, nachdem die Entscheidung gefallen war, wieder als Amateurteam zu starten, weil der erhoffte Aufstieg unter Profi-Bedingungen nicht gelang. Ein kleines Fußballwunder.
Angeleitet wird das Team von Victor Kleinhenz, dem 34 Jahre jungen Trainer. Er war 18, als er in seinem Heimatort Wartmannsroth erstmals ein Jugendteam trainierte. Mit 22 übernahm er eine Herrenmannschaft in der Kreisklasse. Weitere Dorfvereine pflasterten seinen Weg, der ihn jetzt bis in die 3. Liga geführt hat. Inzwischen gilt Kleinhenz als großes Trainertalent, das sich nach oben keine Grenzen setzen will. SPORT1 hat mit ihm gesprochen.
SPORT1: Herr Kleinhenz, Sie sind mit dem 1. FC Schweinfurt schon wieder zurück im Training. Haben Sie sich ausreichend erholt?
Victor Kleinhenz: Meine Fitness ist wieder ordentlich. In den ersten Tagen nach dem Saisonende hatte sie etwas gelitten, weil es die eine oder andere Feierlichkeit gab. Danach war ich Ende Mai mit meiner Familie für zehn Tage in Kroatien. Diese Zeit war sehr wichtig, um abschalten zu können. Jetzt sind die Akkus wieder voll. Ich strotze genauso vor Energie wie das restliche Trainerteam und die Mannschaft. Die Vorfreude auf die 3. Liga ist überall spürbar.
SPORT1: Mit einigen Wochen Abstand: Wie würden Sie die Feierlichkeiten nach dem Aufstieg beschreiben?
Kleinhenz: Schweinfurt kann sehr gut feiern, so viel kann ich verraten. Im Team gibt es einige Feierbiester, auch viele Fans haben sich als äußerst trinkfest präsentiert. Nach dem Aufstieg ging es erst am Stadion zur Sache, dann in der Stadt und am Ende wurde auf Mallorca alles gebührend gekrönt.
Das deutsche Athletic Bilbao?
SPORT1: Die Geschichte des Vereins ist eine ganz besondere: Sie sind vor allem mit ambitionierten Spielern aus der Region in die 3. Liga gekommen. Ist Schweinfurt das deutsche Athletic Bilbao, wo man ausschließlich auf Basken setzt?
Kleinhenz: Das klingt auf jeden Fall gut (lacht). Ich bin überzeugt, dass diese Verbundenheit neben vielen anderen Gründen ein Hauptaspekt war, weshalb wir den Aufstieg am Ende geschafft haben. Es war von Anfang an Teil des Plans, die Begeisterung und Identifikation mit diesem Weg zu fördern. Auf dem Platz haben wir uns leidenschaftlich gezeigt. Neben dem Platz waren wir extrem nahbar, das hatte etwas Familiäres und hat uns vor allem in den schwierigen Momenten sehr geholfen. Aber die Regionalliga erfordert es auch einfach, dass man sich auch lokal umschaut.
SPORT1: Das Wundersame am Schweinfurter Aufstieg war zudem, dass der Verein jahrelang unter Profi-Bedingungen trainierte und ausgerechnet in einem Übergangsjahr mit zahlreichen Amateuren auf Platz eins landete. Wie viele Spieler hatten vergangene Saison noch einen „normalen” Beruf?
Kleinhenz: Wir hatten wirklich viele Spieler, die nebenbei woanders gearbeitet haben. Stellenweise haben wir mit drei Abendeinheiten pro Woche trainiert. In der 3. Liga ist das gar nicht vorstellbar. Viele Spieler haben nach dem Aufstieg nun ihren Job gekündigt, Arbeitszeiten stark reduziert, Ausbildungen abgebrochen und ihr Studium umgelegt.
Schweinfurt-Trainer stand selbst im Fanblock
SPORT1: Auch Sie sind tief in Schweinfurt verwurzelt. Als der Klub Anfang des Jahrtausends zuletzt Profifußball bot, haben Sie mit Ihren Eltern und Freunden die Spiele auf der Tribüne verfolgt.
Kleinhenz: Genau, teilweise stand ich sogar direkt im Fanblock. Das war in der Saison 2000/01 - definitiv eine Zeit, die mich prägte. Die ganze Region dachte damals von Samstag bis Samstag. Leider ist das über die Jahre verschwunden. Und genau das hat mich und die Mannschaft motiviert. Wir wollen hier wieder etwas entstehen lassen, vielleicht etwas Historisches, vor allem aber eine Anlaufstelle für Events. Ich erinnere mich noch an meine Schulzeit. Damals liefen Kinder auf den Pausenhöfen mit Schweinfurt-Trikots herum. Die habe ich in den letzten 15 Jahren hier vermisst.
SPORT1: Sie selbst gelten als großes Trainertalent und sind mit 34 Jahren bereits in Liga drei angekommen. Bei den Recherchen ist allerdings aufgefallen: Sie haben noch gar keinen Wikipedia-Artikel. Stört Sie das?
Kleinhenz: Nein, überhaupt nicht (lacht).
Die Trainerkarriere startet früh
SPORT1: Mit 18 Jahren haben Sie in Ihrem Heimatort Wartmannsroth ein Jugendteam übernommen, mit 22 dann die erste Mannschaft in der Kreisklasse. Warum wurden Sie so früh Trainer und haben keine eigene Spielerkarriere gemacht?
Kleinhenz: Ich verbrachte fünf Jahre meiner Jugend als Spieler in Schweinfurt, merkte dabei aber recht schnell, dass es für ganz oben nicht reicht. Trotzdem war meine Begeisterung für den Fußball riesengroß und der Traum, eines Tages im Profibereich zu landen, immer vorhanden. Deswegen habe ich den Trainerweg eingeschlagen.
SPORT1: Was für ein Trainertyp sind Sie denn?
Kleinhenz: Ein kommunikativer und empathischer. Mir ist es wichtig, einen guten Draht zu den Spielern zu haben und gemeinsam Lösungen zu finden. Dennoch steht der Erfolg über allem. Ich liebe meine Spieler, aber es braucht eine Kombination mit konsequentem Auftreten. Wenn ich spüre, dass sich ein Spieler über das große Ganze hinwegsetzt, kann ich sehr unangenehm werden.
Schweinfurt mit klarem Ziel
SPORT1: Und wie würden Sie Ihre Handschrift beschreiben? Wie soll ein Team von Victor Kleinhenz spielen?
Kleinhenz: Ich möchte, dass mein Team das Heft des Handelns in der eigenen Hand hält. Heißt: aktiv Fußball spielen, viele Ballbesitzphasen haben und hohe Ballgewinne generieren. Andererseits ist es wichtig, nicht in Schönheit zu sterben, und Phasen, in denen wir tief stehen müssen, als Chancen zu sehen. Ob mein Idealbild vom Fußball für uns als Aufsteiger in der 3. Liga immer umsetzbar ist, wird man sehen. Aber wir wollen auf jeden Fall frech und mutig sein. Unser klares Ziel ist es, nicht nur ein Jahr Gast in der Liga zu sein, sondern Schweinfurt im Profifußball zu etablieren.
SPORT1: Bisher ging Ihr Weg größtenteils bergauf. Im März 2023 wurden Sie allerdings auch einmal beim TSV Aubstadt in der Regionalliga entlassen. Wie blicken Sie auf diese Erfahrung zurück?
Kleinhenz: Ich hatte viel Glück und war oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aber gerade die fast drei Jahre in Aubstadt waren für mich extrem gewinnbringend. Der Verein hat das Projekt damals nach fünf Niederlagen in Folge beendet. Das war sehr schmerzhaft, weil es der erste größere Rückschlag in meiner Laufbahn war. Im Nachhinein konnte ich jedoch extrem viele Lehren daraus ziehen und wichtige Dinge hinterfragen. Letztlich hat mich diese Zeit vielleicht sogar am meisten vorangebracht.
„Irgendwann möchte ich mich mit den allerbesten Trainern messen“
SPORT1: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Kleinhenz: Für mich war es immer ein Traum, eines Tages Trainer des 1. FC Schweinfurt in meiner Heimat zu sein. Dass es im ersten Jahr so gut gelaufen ist, ist großartig. Klar ist, dass ich mich irgendwann mit den allerbesten Trainern messen möchte. Dass davor noch viel Arbeit vor mir liegt, ist mir genauso bewusst. Aber ich habe wahnsinnig Lust, mich in allen Bereichen weiter zu verbessern.
SPORT1: Schweinfurt rüstet sich nun auf allen Ebenen für die 3. Liga. Infrastrukturell wie personell. Zuletzt kam mit Johannes Geis, der einst in der Bundesliga für Mainz und Schalke gespielt hat, ein prominenter Name hinzu.
Kleinhenz: Wir sind ein Aufsteiger mit begrenzten Mitteln. Deshalb müssen wir andere Wege einschlagen, um zu bestehen. Es geht nicht nur darum, Jungs zu holen, die zu 100 Prozent ins System passen, sondern manchmal auch darum, Akteure aus der Region zu gewinnen, die unsere Werte vertreten. Johannes ist in Schweinfurt geboren und das perfekte Beispiel dafür. Vor 60.000 Zuschauern auf Schalke zu spielen, hat er erlebt. Seine Eltern und Freunde jede Woche bei den Heimspielen vor Ort zu haben, hat aber auch seinen Reiz. Das ist etwas Besonderes und treibt ihn sichtlich an - und viele andere auch.
SPORT1: Wohin kann es für Schweinfurt in den kommenden Jahren gehen?
Kleinhenz: Ich bin kein Freund davon, nach oben Grenzen zu setzen. Jetzt wollen wir uns erst einmal im Profifußball etablieren. Schweinfurt war zweimal im Profifußball - zweimal gab es dort keine zweite Saison. Momentan entwickelt sich hier aber vieles richtig gut. Wohin das führen wird, wird die Zeit zeigen. Man darf nicht vergessen: Vor nicht allzu langer Zeit haben wir Heimspiele vor 800 Fans ausgetragen. Im Derby gegen Würzburg letzte Saison waren es 12.000. Viele Spieler sind eine solche Euphorie gar nicht gewohnt, der Druck steigt automatisch. Es gilt nun erstmal zu lernen, damit umzugehen.
Ein besonders reizvolles Stadion
SPORT1: Alemannia Aachen, 1860 München, Hansa Rostock - in der 3. Liga spielen viele Traditionsvereine. Auf welches Stadion freuen Sie sich am meisten?
Kleinhenz: Was mich besonders reizt, ist, in einem vollen Grünwalder Stadion (bei 1860 München, Anm. d. Red.) anzutreten. Wir haben dort immer wieder gegen die Amateure des FC Bayern gespielt, vor 1.000 bis 2.000 Zuschauern. Aber wenn das Stadion vollbesetzt ist, ist das sicher nochmal eine andere Nummer. Ansonsten wollen wir vor allem unsere Heimspiele zu etwas Besonderem machen. Wir fühlen uns zu Hause sehr wohl. Es ist eben immer nochmal ein Stück emotionaler, wenn man viele Spieler hat, die in ihren Jugendjahren selbst Fans waren und jetzt auf dem Platz stehen.
SPORT1: Was müsste passieren, damit Sie am Ende der Saison wieder zufrieden in den Urlaub fahren?
Kleinhenz: Der Klassenerhalt. Und dann möchte ich mit meiner Mannschaft, dem Trainerteam und unseren Fans so viele schöne Momente wie möglich erleben - mit dem Nebeneffekt, dass wir dadurch noch mehr Leute aus der Region für den Fußball begeistern. Und auch Leute von außerhalb für unseren Weg und unseren Verein. Wenn uns das gelingt, haben wir definitiv eine sehr erfolgreiche Saison gespielt.