Eigentlich war es nur ein ganz normales Bundesligaspiel. Der Tabellenachte empfing den Fünften und die Saison war noch jung. Kein Meister sollte gekürt, kein Absteiger ermittelt werden. Dennoch wurde an diesem Freitagabend des 26. September 1969, heute vor 55 Jahren, Geschichte geschrieben. Im Berliner Olympiastadion versammelte sich die größte jemals gezählte Zuschauerzahl in 62 Jahren Bundesliga.
Als Hertha BuLi-Geschichte schrieb
Offiziell wurden 88.075 Personen registriert, inoffiziell waren sich alle Beobachter einig, dass die 90000er-Marke bei weitem übertroffen worden war. In einem Bericht war sogar von 120.000 zu lesen, doch hätte der Abend dann wohl zwangsläufig in einer Katastrophe gemündet.
Hertha gegen Köln als Zuschauer-Magnet
Es war auch so ein chaotischer Abend, an dem es nicht nur glückliche Gesichter gab nach dem 1:0-Sieg der Hertha über den ersten Bundesligameister 1. FC Köln, der in der damaligen Inselstadt besondere Popularität genoss. Gleich dreimal steht die Paarung Hertha BSC – 1. FC Köln an der Spitze der bestbesuchten Spiele (siehe Statistik). Aber nur einmal kamen mehr Zuschauer als erlaubt.
Das Fachblatt kicker schilderte damals eindrucksvoll, was geschehen war: „Das Olympiastadion drohte aus den Nähten zu platzen. Weit über das erlaubte Maß war es besetzt, weil Zehntausende ohne Eintrittskarten die Tore gestürmt und die Ordner überrumpelt hatten. Schon der Weg ins Stadion endete im Chaos. Zuschauer, die Angst hatten, zu spät zu kommen, ließen ohne Bedenken ihre Wagen auf den Zufahrtsstraßen stehen.“ Von weinenden Kindern, entnervten Polizisten und dem herrschenden „Faust- und Ellenbogenrecht“ ist die Rede, so dass man sich heute wundern muss, dass das Spiel überhaupt regulär ausgetragen werden konnte.
Auf der Pressetribüne wurden Gartenstühle verteilt, damit die Journalisten noch etwas von dem, über das sie berichten sollten, zu sehen bekamen. Die Berliner Morgenpost kommentierte damals: „Was den Fußball und seine Resonanz betrifft, ist Berlin Metropole geblieben. 90.000 bei einem Punktspiel, das gab es in Deutschland noch nie! Sämtliche Aufgangsstufen und sogar die Marathontreppen des Olympia-Stadions waren voll besetzt.“
Rebellische Jugend als Antreiber in den Stadien
All das passte in die Zeit der späten Sechziger, die rebellische und immer erlebnisorientiertere Jugend machte auch vor den Stadien nicht halt. Nur zwei Wochen später wurden gleich vier Bundesligaspiele unterbrochen, weil Fans nach dem Torjubel den Rasen gestürmt hatten. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Warum kamen aber ausgerechnet zur Hertha so viele? Ihr Trainer Helmut „Fiffi“ Kronsbein fand eine Erklärung für die Begeisterung der Berliner. Sie hätten eben nach dem Zwangsabstieg 1965 so lange „abseits gestanden“. Doch warum waren dann nicht schon in der Aufstiegssaison 68/69 alle Dämme gebrochen, sondern erst im Spätsommer 1969? Sicher spielte der gute Saisonstart der Hertha, die zuvor beim VfB Stuttgart mit 4:1 gewonnen hatte, eine Rolle. Auch standen in Reihen der Kölner mit Wolfgang Overath, Manfred Manglitz, Wolfgang Weber und Johannes Löhr bekannte Nationalspieler.
Umso schöner für die Masse des Publikums, dass die Punkte in Berlin blieben. Der damalige Herthaner Peter Enders erinnert sich bis ins hohe Alter gut an das Spiel, wandte sich eigens an die Morgenpost und schrieb im Stile eines Reporters: „Hertha spielte von Anfang an druckvoller, die berühmten Stürmer Löhr, Flohe, Rupp und Overath blieben gefährlich. Herthas starke Spitze Horr verletzt sich schwer, Franz Brungs kommt für ihn. Der überragende Mittelfeldspieler Wolfgang Gayer, „Mozart“ genannt, entscheidet das Spiel in der 63. Minute.“ (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Als es zu Ende war, hatte Kölns Verteidiger Peter Blusch eine Vision, die viele für möglich hielten an diesem Tag: „In spätestens zwei Jahren sind die Berliner so reich, dass sie die ganze Nationalmannschaft aufkaufen können.“ So weit kam es nie. Aber den Rekord nimmt der Hertha keiner mehr, kein Bundesliga-Stadion hat heute die entsprechende Kapazität.