Vor der Bundesliga-Rückrunde hat der Deutsche Fußball-Bund in einem Trainingslager an der Algarve die Referees für Unsportlichkeit und Zeitspiel der Profis sensibilisiert.
Bundesliga-Duo schlägt Alarm
Doch für die Schiedsrichter-Elite geht es nicht nur um diese Punkte.
Bevor es am Freitagabend beim Duell zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern mit der Bundesliga weitergeht, ziehen Lutz Michael Fröhlich und Patrick Ittrich bei SPORT1 noch einmal eine Hinrunden-Bilanz - und prangern einige grundsätzlichen Dinge an
„Es gibt Verbesserungsbedarf in bestimmten Bereichen. Das betrifft auch die Zusammenarbeit im Team, Videoassistent und Schiedsrichter. Und es gibt auch Verbesserungsbedarf bei den Schiedsrichtern, dass in der ein oder anderen Situation die korrekte, gute und richtige Entscheidung auf dem Feld erwünscht gewesen wäre“, sagt der ehemaligen Schiedsrichter und heutige Vorsitzender der Schiedsrichterkommission, Lutz Michael Fröhlich.
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Schiedsrichter „von der Gesamtheit angegriffen“
Bereits in der Vergangenheit forderte Fröhlich Fußballer und Trainer im Zusammenhang mit Hass und Anfeindungen gegen Schiedsrichter im Internet zu mehr Unterstützung auf. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
„Wir haben eine massive Fehlerorientierung in unserer Gesellschaft, im Fußball auch. Ich finde es am Ende unfair, wenn diese Fehlerorientierung ganz einseitig, bei allen, die im Fußball beteiligt sind, auf die Schiedsrichter bezogen wird. Spieler, Trainer, Torhüter – alle machen Fehler. Über diese Fehler wird weniger berichtet“, erzählte der 65-Jährige.
Er empfinde dieses „Draufhauen“ als nicht gerechtfertigt. So auch Schiedsrichter und Fußball-Experte Patrick Ittrich: „Fehlverhalten wird mit Emotionen begründet im Fußball. Irgendwo ist der Punkt, wo es respektlos wird, da muss man als Schiedsrichter eine klare Grenze setzen. Ich fände es toll, wenn das Thema auch die eigenen Reihen angehen und benennen.“
Für beide sei klar, dass sich etwas in Bezug auf die Schuldfrage ändern muss. „Es werden bei den Schiedsrichtern Fehler gemacht, das geben wir gerne zu – das ist menschlich. Aber wie gesagt, wenn man fehlerorientiert arbeitet, dann bitte ganzheitlich“, sagte Fröhlich. (DATEN: Ergebnisse der Bundesliga)
Mehr Respekt für Schiedsrichter
Ittrich forderte, dass öfter positive Schiedsrichterleistung benannt werden und nicht immer nur die Negativen. Auch an der Kritikkultur stört sich der gebürtige Hamburger: „Wir sind allein und werden von der Gesamtheit angegriffen.“
Fehler werden laut Ittrich nicht akzeptiert, Unsportlichkeit von vielen übersehen. Eine Lösung könne nur im Dialog liegen.
„Wir müssen uns als Schiedsrichter immer noch präsenter, transparenter und offener gegenüber Trainern, Fans und Managern – das ist meine persönliche Meinung – verhalten und öffnen. Aber irgendwann ist auch ein Punkt erreicht, wo man auch die andere Seite ein bisschen mehr in die Verantwortung nehmen muss und nicht immer nur uns“, erklärte Ittrich.
Fröhlich gab ihm recht: „Wir könnten diesen positiven Schritt nach vorne noch dynamisieren, wenn man mit Transparenz und Offenheit auch fairer umgeht. Man soll es weiterhin positiv betrachten und konstruktiv und sachlich damit umgehen. Im Moment hat man teilweise den Eindruck, dass wenn wir offen und transparent mit den Fehlern umgehen, dass das eigentlich noch eher das negative dynamisiert. Und das finde ich nicht in Ordnung.“
Auf die Frage, ob sich Ex-Profispieler als bessere Schiedsrichter anbieten würden, antwortete Ittrich, dass er die fehlende 100-prozentige Regelkenntnis als Problem sehe. Dadurch hätte man eher mehr Schwierigkeiten, um zu einer schnelleren Entscheidung zu kommen als aktuell. (DATEN: Spielplan der Bundesliga)
VAR nur bei klaren Fehlentscheidungen
Beim leidigen Thema VAR macht sich Fröhlich keine Hoffnungen auf hundertprozentig richtige Entscheidungen..
„Wir wissen, dass wir durch den Videoschiedsrichter Entscheidungen, die definitiv falsch sind, korrigieren können. Wir haben das Problem, dass nicht 100 Prozent erreicht werden, dass es eben keine Perfektion gibt. Die gibt es im Fußball aber auch an keiner anderen Stelle“, erklärt Fröhlich.
Ittrich wünscht sich in der anhaltenden VAR-Debatte generell mehr Gelassenheit bei den Beteiligten. „Wir haben ein Videobild, was wir beurteilen können. Wir haben die Qualität des Schiedsrichters, der erkennt innerhalb des Spiels, was passiert und dann haben wir die Kraft der Bilder“, bemerkte der 44-Jährige.
Der VAR solle laut ihm nur bei glasklaren Fehlentscheidungen eingreifen und nicht bei Szenen mit Grauzone.
Keine Frage des Alters
In Bezug auf das Altersthema von Schiedsrichtern will Fröhlich das Urteil auf sich zukommen lassen. „Wir sind grundsätzlich offen, was das Alter der Schiedsrichter angeht. Wir haben diese Orientierung, die zusammenhängt mit der Kaderplanung.“
Als Beispiel nannte er den 47-jährigen Felix Brych: „Bei Felix sind wir alle der Auffassung, dass das Gesamtpaket absolut stimmig ist. Leistung, Fitness, Auftreten, auch in der Öffentlichkeit. Da sind wir durchaus dabei, wenn der Felix sagt, er möchte noch weiter pfeifen. Und sich wieder für das nächste Jahr qualifiziert hat.“
Zum Hintergrund: Aktuell läuft zwischen dem ehemaligen Schiedsrichter Manuel Gräfe und dem Deutschen Fußball-Bund ein Verfahren wegen Altersdiskriminierung. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Gräfe hatte den DFB verklagt, nachdem er in der Bundesliga-Saison 2021/22 nicht mehr für die Schiedsrichterliste nominiert worden war und somit seine Karriere mit 47 Jahren beenden musste.