Wo Dragoslav Stepanovic auftaucht, da sind auch die Fans. Der 75-Jährige tritt stets gut gelaunt auf – und bekommt viel Liebe von der Anhängerschaft zurück. Der Serbe hat seine früheren Klubs Bayer Leverkusen und Eintracht Frankfurt nicht aus dem Blick verloren. Vor dem direkten Aufeinandertreffen am Sonntag (ab 17.30 Uhr im SPORT1-LIVETICKER) nahm sich Stepanovic Zeit für ein SPORT1-Interview.
“Wirtz ist eine Granate“
SPORT1: Dragoslav Stepanovic, am Sonntag treffen Ihre beiden Ex-Klubs Bayer Leverkusen und Eintracht Frankfurt aufeinander. Was erwarten Sie für ein Duell?
Dragoslav Stepanovic: Die Eintracht hat die vergangenen acht Liga-Spiele in Leverkusen allesamt verloren. Ich erwarte deshalb eine außergewöhnliche Motivation von der Mannschaft. Man hat gegen den FC Bayern gesehen, was die Eintracht schaffen kann. Wenn die Mannschaft oben dranbleiben will, dann darf sie eine solche Leistung aber nicht nur gegen Bayern zeigen.
Stepanovic: Alonso hat eine starke Mannschaft geformt. Er spielt das typische spanische Tiki Taka. Alonso kann mit Bayer den ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte holen. Seine Arbeit gefällt mir sehr gut.
SPORT1: Alonso wird jetzt schon mit Real Madrid in Verbindung gebracht, er soll auch eine Klausel haben, wenn Bayern München oder der FC Liverpool anklopfen. Wenn sich ein Türchen öffnet: Sollte er diesen Schritt tatsächlich schon im kommenden Sommer wagen?
Stepanovic: Alonso arbeitet derzeit bei einem großartigen Klub. Er hat gesehen, dass er ein Spitzenteam formen kann. Irgendwann ist Bayer aber immer eingebrochen. Vielleicht gelingt es ihm Bayer zum Titelgewinn zu motivieren. Ich will mich nicht in seine Zukunftsgedanken einmischen. Aber er ist Spanier und wenn Real Madrid tatsächlich Interesse zeigt, dann sollte der dorthin wechseln. Es hat seinen Grund, dass so viele Klubs an ihm interessiert sind. Bislang hat das aber keinen Einfluss auf seine Arbeitsweise.
SPORT1: Welcher Spieler beeindruckt Sie bei Bayer am meisten?
Stepanovic: Florian Wirtz ist eine Granate! Der erinnert mich an Eintracht-Legende Jürgen Grabowski. Wenn du mit ihm in den Zweikampf gegangen bist, dann hat er dich getäuscht und ist noch an dir vorbeigegangen. So ist das auch bei Wirtz. Manche seiner Dribblings sind der Wahnsinn. Es ist unglaublich zu sehen, wie er die Gegner reihenweise stehen lässt. Wirtz ist momentan der stärkste Spieler der deutschen Nationalmannschaft. Das ist beeindruckend.
Stepanovic: Der FC Bayern München ist nur sehr schwer auszuschalten. Ich erinnere mich immer an 2001 zurück, als sie in allerletzter Sekunde noch den Titel holten. Bayern kann sich nur selbst ausschalten, wie Saarbrücken oder Eintracht gezeigt haben. Wenn ich mir Leverkusen aber so ansehe, dann haben sie oft sehr hohe Ergebnisse erzielt. Sie haben in dieser Hinrunde nicht abgebaut, obwohl Experten durchaus vermutet haben, dass sie einbrechen könnten. Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, wo sie alles richtig machen und den Titel holen. Ich würde es meinem früheren Klub wünschen.
SPORT1: Die Konstanz von Bayer hat Eintracht Frankfurt noch nicht gefunden. Erst verliert die Eintracht 0:2 in Saarbrücken, Danach gelang dieses 5:1 gegen den FC Bayern München, nun wieder ein 0:2 in Aberdeen. Können Sie sich diese Achterbahnfahrt erklären?
Stepanovic: Die „launische Diva“ hat wieder ihr Gesicht gezeigt. Trainer Dino Toppmöller will daran etwas verändern. Man lebt von anderen Spielen als denen gegen den FC Bayern. Es geht nicht mehr, dass sich die Eintracht als „launische Diva“ präsentiert. Sie dürfen nicht gegen Bayern glänzen und dann sang- und klanglos in Saarbrücken oder Aberdeen verlieren. Frankfurt muss viel konstanter werden. Sie gehören allein durch ihre großartige Geschäftsstelle zu den besten sechs oder sieben Mannschaften in Deutschland. Eintracht braucht deshalb eine Mannschaft, die ständig um die Europa-League-Plätze mitspielen kann.
SPORT1: Wenn die großen Gegner kommen, kann diese Mannschaft offenbar Bäume ausreißen. Kann Eintracht nun auch Bayer, das bislang noch kein Spiel verloren hat, ärgern?
Stepanovic: Wenn ich sehe, wie die Eintracht gegen den FC Bayern gespielt hat, dann war das großartig. Sie waren überall unterwegs, haben hohes Pressing gespielt und permanent Zweikämpfe gesucht und gewonnen. Zur Pause dachte ich noch, dass sie zusammenbrechen und überrollt werden könnten. Aber die Mannschaft hat sich dann zurückgezogen und eiskalt gekontert. Das war eine überzeugende Vorstellung von der Eintracht. So etwas traue ich ihnen auch in Leverkusen zu.
SPORT1: Mario Götze war im Spiel gegen den FC Bayern Dreh- und Angelpunkt bei der Eintracht. Welche Erwartungen haben Sie an ihn?
Stepanovic: Das war der Mario Götze, wie ich ihn sehen will. Er gehört mit seinem goldenen Touch hinter die Spitzen. Auf dem Flügel kann er keinen Gegenspieler überlaufen. Wenn Götze am Ball ist, dann kann sich der Gegner darauf kaum einstellen. Wenn er weiterhin hinter den Spitzen agieren darf, dann wird er noch sehr wertvoll für die Eintracht. Die Mitspieler werden ihn suchen, weil er außergewöhnliche Dinge mit seinen großartigen Pässen verwirklichen kann.
SPORT1: Im Sommer hat Randal Kolo Muani den Verein für viel Geld verlassen, seitdem fehlt der Eintracht vorne in vielen Partien die Durchschlagskraft. Wie viele Stürmer sollte Markus Krösche im Winter holen?
Stepanovic: Ich weiß nicht, welcher Klub im Winter seinen besten Stürmer verkauft. Die Vereine haben mittel- und langfristige Ziele. Im Sommer muss deshalb etwas passieren, dort wird es den großen Transfer geben. Ich finde beispielsweise Timo Werner sehr interessant. Er verdient viel Geld, aber er sucht schon lange seine Form. Bei der Eintracht haben schon viele Spieler ihre Topform wiedergefunden. Wenn dieser Transfer zustande kommt, dann wäre das wunderbar für die Eintracht.
SPORT1: Wenn man mit Eintracht-Fans über Dino Toppmöller spricht, dann sind da neben lobenden auch kritische Töne dabei. Wie sehen Sie seine Arbeit?
Stepanovic: Dino Toppmöller hat am Anfang Mannschaft und System gesucht. Nach dem Sieg gegen Heidenheim lief es zunächst wunderbar, dann kamen wieder vier Spiele mit null Punkten. Toppmöller fährt mit seinem Team Achterbahn. Er steht aber noch auf einem guten Platz in der Bundesliga und ich hoffe, dass die Eintracht noch ein paar Punkte bis zur Winterpause holt. Wir können seine Arbeit beurteilen, wenn die Saison zu Ende ist. Toppmöller steht vor seiner zweiten Vorbereitung. Er muss analysieren, was er verbessern und was er beibehalten kann. Dino ist dabei sehr ruhig und nicht hektisch, er tritt selbstbewusst auf. Aber er muss noch Erfahrung sammeln. Das große Ziel sollte lauten, aus der „launischen Diva“ eine „sichere Diva“ zu machen. Die „launische Diva“ gab es früher, aber durch den Bau der Geschäftsstelle und die Titelgewinne gehört die Eintracht auf die Plätze fünf, sechs oder sieben.
SPORT1: Die Eintracht ist in der Bundesliga in Lauerstellung hinter den Top 6 und noch in der Conference League dabei. Was trauen Sie dem Klub in diesen beiden Wettbewerben noch zu?
Stepanovic: ich traue der Eintracht zu, dass sie sich über die Bundesliga wieder für die Europa League oder Conference League qualifiziert. Der Sprung in die Champions League wird schwierig, die Konkurrenz ist sehr groß. Und in der Conference League kommt es auf den kommenden Gegner an. Mit Real Betis, Olympiakos oder Ajax Amsterdam gibt es viele gute Mannschaften. Die Eintracht muss sich anstrengend, wie damals in der Europa League. Es darf nicht mehr passieren, dass Frankfurt gegen Bayern gewinnt und Aberdeen verliert. Dann werden wir sehen, was in der Conference League möglich ist.