Am Sonntag muss Champions League-Aspirant Eintracht Frankfurt beim Abstiegskandidaten VfL Bochum (ab 15.30 Uhr im LIVETICKER) ran. Auf dem Papier eine klare Sache, doch in Bochum hat Frankfurt erst viermal gewonnen und schon 20-mal verloren. Umso lieber ist die Erinnerung an die wenigen Siege, von denen einer allerdings wegen eines skandalösen Platzverweises Geschichte schrieb. Der Täter war zugleich das Opfer und er trug kein Trikot - es war der Physio.
Der Platzverweis, der Geschichte schrieb
Am 6. Mai 1995 trafen sich der VfL und die Eintracht unter ungemütlichen Vorzeichen im Ruhrstadion. Der Aufsteiger aus Bochum stand auf Platz 16, was damals noch den direkten Abstieg bedeutete. Die Hessen, die 94/95 hoch hinaus wollten, hatten sich im April von Trainer Jupp Heynckes getrennt (oder er von ihnen) und dümpelten auf dem elften Platz herum, sechs Spiele vor Schluss ging in beide Richtungen nichts mehr. Nur für Klub-Legende Charly Körbel, der erstmals als Trainer einsprang, ging es wirklich noch um etwas in jenen Frühjahrstagen. Er wollte sich auf neuem Terrain bewähren.
Doch von den vergangenen acht Spielen hatten sie nur eins gewonnen und nur dank eines Wechselfehlers der Bayern kamen noch zwei Punkte am Grünen Tisch hinzu, aus einem 2:5 wurde ein 2:0. Sonst hätten sie sechs Spiele vor Schluss auch im Abstiegskampf gesteckt. Auf der Gegenseite saß mit Klaus Toppmöller ein Mann auf der Bank, der ein Jahr zuvor in Frankfurt, auf einem Europacupplatz stehend, gefeuert worden war. Toppmöller entgegnete auf die Frage, ob es für ihn ein besonderes Spiel sei: „Nein, das ist inzwischen abgehakt. Ich weiß nur, dass wir Frankfurt schlagen müssen. Das ist alles, was mich interessiert.“
Doch sein Ex-Klub wollte es ihm nicht so einfach machen. „Sie beeindruckten durch aggressives Zweikampfverhalten“, lobte der Kicker die Eintracht-Moral. Von Abschenken war keine Rede und nach 44 Minuten ging die SGE durch Slobodan Komljenovic in Führung. Es blieb das Tor des Tages. Doch die Torheit des Tages sollte folgen.
Bochum-Physio bringt Eklat ins Rollen
Nach 70 Minuten landete der Ellenbogen des Frankfurters Kachaber Zchadadse im Gesicht von VfL-Kapitän Dariusz Wosz, der zu Boden ging und aus dem Mund blutete. „Es sah zunächst sehr schlimm aus, ich dachte, er hätte Zähne verloren“, erzählte sein Mitspieler Michael Frontzeck. Es entstand ein Getümmel, in das sich auch der Bochumer Physiotherapeut Madjid Glatz stürzte. Natürlich um zu helfen, aber nicht nur.
„Ich wollte einen Vorteil für den VfL, damit wir den Klassenerhalt schaffen“, sagte er jedenfalls 2023 in der WDR-Sendung „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“, die die Perlen der Bundesligageschichte allsonntäglich wieder aufglänzen lässt. 1995 sprach indes niemand von einer Glanztat.
Erste Rote Karte nach Foul an Betreuer
Glatz trat dem Frankfurter Rudi Bommer, während er sich um Wosz kümmerte, zweimal auf den Zeh. Laut seines späten Geständnisses durchaus nicht unabsichtlich, was man ihm abnahm, zumal er schon „vorbestraft“ war. Auch dem Dresdner Hans-Uwe Pilz hatte er in derselben Saison einen Tritt verpasst, zudem war eine Rangelei mit dem damaligen Wattenscheider Trainer Hannes Bongartz aktenkundig.
Der bei den Spielern überaus beliebte „Madjico“ gab einfach alles für seinen VfL. Die eigenen Leute machte er gesund, den Gegner schon mal wund. Und wütend.
Rudi Bommer, damals 37 und 18 Jahre Profi, verlor jedenfalls die Nerven und trat Glatz Vollspann in die Wade. Der brach (theatralisch) zusammen und Schiedsrichter Hartmut Strampe schickte Bommer vom Platz. Es war der erste und einzige Platzverweis seiner Karriere in weit über 500 Pflichtspielen, davon 417 im Oberhaus. Bommer gestikulierte beim Abgang noch in Richtung Toppmöller, dem er die Schuld für sein Rot gab, da er ihm unterstellte, er habe ihn verpetzt. Der Schiedsrichter habe ja nichts gesehen, die Meldung kam vom Linienrichter und den „hat die VfL-Bank aufgestachelt.“
Auch die Zuschauer, ein Fan kletterte über den Zaun, weitere wollten folgen. Kurzzeitig drohte ein Spielabbruch.
Spielstand wurde zur Nebensache
In Unterzahl retteten die Frankfurter den Vorsprung über die Zeit, aber das interessierte die Journalisten hinterher kaum noch. Stattdessen standen der erste Spieler der Bundesligageschichte, der nach einem Foul an einem Betreuer Rot sah, und sein nicht ganz unschuldiges Opfer im Fokus.
Bommer gab zu: „So etwas darf nicht passieren, auch wenn es ein Reflex war. Ich hoffe auf mildernde Umstände, denn es war die erste Rote Karte meiner Karriere.“ Die wurde am Donnerstag darauf vor dem Sportgericht verhandelt.
Der VfL stellte sich hinter Glatz, dem ohnehin keine Verbandsstrafe drohte, da der Mann (einst Mitglied der iranischen Ringerauswahl) gar kein DFB-Mitglied war. „Man kann höchstens anordnen, ihm den Zutritt zum Innenraum zu versperren“, erwies sich Manager Klaus Hilpert als regelfest. Aber „weder die Ereignisse während des Spiels noch die Fernsehbilder haben gezeigt, dass Glatz irgendein Vorwurf zu machen ist.“ Das war freilich die Sichtweise mit blau-weißer Brille auf der Nase.
Die Strafe für Bochum verhängte der Fußballgott
Bestraft wurde vom Sportgericht aber nur Bommer, der zwei Spiele gesperrt wurde. Die Strafe für den VfL und Glatz verhängte der Fußballgott: am Saisonende stand der Abstieg. Bommer spielte noch zwei Jahre für die Eintracht, Glatz blieb bis 2000 beim VfL, war mit seinen „magischen Händen“ auch noch in Wolfsburg tätig und als der VfL Bochum 2023 seine 175-Jahr-Feier hatte, da luden sie ihn ein. Bei der Gelegenheit kam es zur Videoschalte mit Bommer für Zeiglers Sendung - und zu einer öffentlichen Versöhnung.
Glatz sagte grinsend, es tue ihm zwar nicht leid, dass er ihn trat, „aber dass Du eine Rote Karte gesehen hast“ – wenn das auch seiner Begründung für die Tat widersprach. Bommer schmunzelte und sagte, er werde noch oft darauf angesprochen, „aber man muss ja nicht ein Leben lang darüber böse sein.“ So sollte es unter Fußballern sein, Physios eingeschlossen.