Manuel Gräfe und der DFB – es ist unendliche Geschichte. Am 22. Mai 2021 endete die Schiedsrichterkarriere des Berliners nach 268 Einsätzen in der Bundesliga aufgrund der damals geltenden Altersgrenze von 47 Jahren für Unparteiische. Die Grenze war zwar nicht in den Statuten des Verbands fixiert, allerdings gängige Praxis.
Harte Worte gegen Gräfe
Gräfe klagte nach seinem Aus gegen den DFB, erhielt teilweise recht und eine Entschädigungszahlung in Höhe von 48.500 Euro aufgrund von Altersdiskriminierung zugesprochen. Beide Seiten legten Berufung ein.
Die Regel wurde in der Folge aufgeweicht, mit Bundesliga-Rekordschiedsrichter Felix Brych gibt es einen prominenten Profiteur, der im Sommer im Alter von 49 Jahren seine Laufbahn beenden wird. Für Gräfe gab es kein Zurück auf die große Fußballbühne.
Bis heute zieht sich die Auseinandersetzung zwischen dem DFB und Gräfe, der für den jahrelangen Verdienstausfall seit seinem unfreiwilligen Rückzug entschädigt werden will.
In der Vorwoche hielt das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Schadensersatzforderung zumindest für die erste Saison nach Gräfes Ausscheiden für angemessen. Dieser hatte jedoch für insgesamt drei Jahre 830.000 Euro verlangt. Mit einem Urteil wird Anfang Juni gerechnet.
„Manuel Gräfe ist eine sehr eigene Person“
Markus Merk, dreimaliger Weltschiedsrichter und bis 2008 338-mal als Unparteiischer in der Bundesliga im Einsatz, hat für das Vorgehen von Gräfe keinerlei Verständnis.
„Manuel Gräfe ist eine sehr eigene Person“, sagt der 63-Jährige im Gespräch mit SPORT1 und nennt drei Punkte, die ihm bei der Thematik besonders wichtig sind. „Erstens: Der DFB ist sein großer Gegner. Zweitens: Man fragt sich, warum so ein Mensch in den öffentlich-rechtlichen Sendern auch noch solch ein Podium bekommt. Und drittens: Es gibt eben Manuel Gräfe, der das rein aus egomanen Gründen macht.“
Mit seinem zweiten Punkt nimmt Merk Bezug auf Gräfes Tätigkeit für das ZDF in den vergangenen drei Jahren, unter anderem bei der Europameisterschaft. „Da sieht man, wo wir teilweise im Journalismus hingekommen sind: Draufhauen, populistisch sein - das wird leider Gottes gerne gesehen.“
Besonders gerne lasse er sich „über seinen Lieblingsfeind Felix Zwayer“ aus, dessen Verwicklung in den Wettskandal von 2005 er immer wieder aufgreift. In den Sozialen Medien übt er zudem regelmäßig deutliche Kritik an der Entwicklung im deutschen Schiedsrichterwesen und ordnet die Leistungen der Unparteiischen auf dem Platz ein.
Schiedsrichter-Ikone Merk ist für die Altersgrenze
Merk selbst beendete seine Schiedsrichterlaufbahn freiwillig ein Jahr vor seinem 47. Geburtstag. Er ist Befürworter der Altersgrenze, auch um jungen Schiedsrichtern einen Anreiz zu geben, es nach oben schaffen zu können.
Gleichzeitig stellt er klar: „Die Leistung muss das Entscheidende sein. Wenn ein 48-Jähriger körperlich topfit ist, eine Menge Erfahrung mitbringt und Leistung zeigt - warum soll der nicht weiterpfeifen?“
Die notwendige Fitness im hohen Alter sei jedoch nur „in einem von 100 Fällen“ gegeben. Hierzu zählt Merk seinen früheren Wegbegleiter Pierluigi Collina. Aktuell zeige sich bei erfahrenen Schiedsrichtern wie Brych oder auch Deniz Aytekin, dass sich Verletzungen in einem gewissen Alter immer mehr häufen würden.
Gräfe, so macht es Merk deutlich, eigne sich jedoch nicht, um einen solchen Präzedenzfall zu rechtfertigen. „Er war ein sehr guter Bundesligaschiedsrichter, mit einer großen Kompetenz, mit einer großartigen Kommunikationsfähigkeit und was letztendlich zählt mit einer Akzeptanz bei den Spielern. Nicht mehr und nicht weniger. International hat er nichts erreicht.“
Als Gräfe 2021 seine Bundesligakarriere beenden musste, gab es unter Spielern und Trainern viele Stimmen, die sich für Fortsetzung seiner Laufbahn stark machten. Freiburg-Kapitän Christian Günter sprach von einem „der besten Schiedsrichter in Deutschland, wenn nicht sogar der beste“. Sein Trainer Christian Streich sagte: „Er hat Tolles geleistet für den deutschen Fußball.“
Merk sieht „mangelnde körperliche Fitness“ bei Gräfe
Merk hingegen regt dazu an, zu hinterfragen, „warum er, der sich selbst doch immer für einen der besten der Welt hält, international nie in Erscheinung getreten ist. Das muss ja irgendwelche Gründe haben.“ Als einen maßgeblichen Grund nennt Merk die „mangelnde körperliche Fitness“, die Gräfe immer gehabt habe.
Gräfe leitete 34 Europapokalspiele, darunter gehörte zumeist die Gruppenphase in der Champions League und Europa League. In der WM-Qualifikation wurde er fünfmal eingesetzt. „Deswegen“, sagt Merk, „ist es für mich vollkommen unverständlich, dass er in seiner Position hingeht und sagt: ‚Ich kann ja noch ewig weiter pfeifen.‘“
Bezogen auf Berichte, wonach Gräfe nun im Rahmen des Prozesses sogar ein Schiedsrichter-Comeback angeboten habe, zeigt sich der Referee des EM-Finals 2004 verblüfft. „Ich frage mich, wie er - ich will ihm nicht zu nahe treten - mit dieser körperlichen Konstitution, die damals schon grenzwertig war, sich nochmal im Stadion präsentieren will. Es ist ein schneller Sport und Schiedsrichter sollten da auch ins Bild passen.“
Mit der Arbeit im Videokeller gebe es im Gegensatz zu Merks aktiver Zeit mittlerweile auch Möglichkeiten, abseits des Rasens weiterhin tätig zu sein.
Merk lässt es insbesondere sprachlos zurück, wie Gräfe „dieses große Konstrukt DFB seit Jahren vorführt. Er suggeriert vor allem den Journalisten, dass er noch 100 Jahre hätte pfeifen können. Viele wissen eigentlich das Gegenteil, aber das wird kaum geschrieben.“
Gräfe selbst hatte im Dezember in einem Interview mit der Welt darauf verwiesen, er könne „für jedes der vergangenen drei Jahre unter anderem per ärztlichen Attesten nachweisen, dass ich fit und einsatzbereit gewesen war“.
„Wie Gräfe das darstellt, stimmt es nicht“
Zudem legte Gräfe Wert auf die Tatsache, dass er die Auseinandersetzungen mit dem DFB auch in Namen aller Schiedsrichter führe.
„All die Kämpfe, die ich ausgefochten habe, haben mir letztendlich geschadet. Hätte ich meinen Mund gehalten, wäre ich heute noch Bundesligaschiri und hätte als VAR sowie danach sehr wahrscheinlich noch als Funktionär arbeiten können. Aber ich war da sehr fußball- und gerechtigkeitsorientiert“, sagte Gräfe.
Diese Ausführungen nimmt Merk Gräfe nicht ab. „Ich bin nicht in der Lage, die von ihm angeführten Belege zu revidieren. Ich kann nur eins sagen: Wie Manuel Gräfe das darstellt, stimmt es nicht.“
Wer Gräfe besser kenne, der wisse schließlich: „Er wird kein Spiel einem anderen geben, immer selbst pfeifen wollen. Er hat sich immer als EM- und WM-Finalschiedsrichter gesehen. Für Manuel Gräfe gab es auf der Welt keinen besseren als Manuel Gräfe.“
„Wenn sich einer so daran klammert, ist er ein Egomane“
Beim DFB habe man Gräfe einen zu großen Freiraum gelassen – „und konnte ihn dann irgendwann in seiner ganzen Art zu agieren gegen einzelne Schiedsrichter, gegen den DFB nicht mehr einfangen“.
Merks Fazit: „Wir bekommen eine Diskussion, die extrem schädlich ist.“ Niemand solle sich in der Schiedsrichterszene zu wichtig nehmen, betont er – und blickt auf sein Ausscheiden vor knapp 17 Jahren zurück.
„Als ich aufgehört habe, sagten viele: ‘Mensch Markus, wie soll es in der Bundesliga ohne dich weitergehen?’ Es kam der erste Spieltag der nächsten Saison - und die haben tatsächlich weiterhin Fußball gespielt. Auch bei Manuel Gräfe kam der nächste Spieltag und niemand hat ihn vermisst. Wenn sich einer so daran klammert, ist er ein reiner Egomane. Jeder ist ersetzbar.“