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"Wichtige Spieler haben meine Ablösung gefordert"

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Sind Sie ein Kulttrainer, Herr Meyer?

Hans Meyer blickt im exklusiven SPORT1-Gespräch auf prägende Stationen zurück, spricht über das Etikett „Kulttrainer“, Miroslav Klose und gibt legendäre Anekdoten zum Besten.
Denkwürdiger Auftritt von Hans Meyer: Das Gladbacher Vorstandsmitglied läuft im Doppelpass zur Höchstform auf.
Hans Meyer blickt im exklusiven SPORT1-Gespräch auf prägende Stationen zurück, spricht über das Etikett „Kulttrainer“, Miroslav Klose und gibt legendäre Anekdoten zum Besten.

Hans Meyer gilt als einer der scharfzüngigsten und zugleich beliebtesten Charakterköpfe des deutschen Fußballs. Der frühere Trainer von Borussia Mönchengladbach, des 1. FC Nürnberg und vielen anderen Klubs genießt bis heute Kultstatus – nicht nur wegen seiner pointierten Aussagen, sondern auch aufgrund seiner beeindruckenden Karriere.

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SPORT1 hat den 82-Jährigen in seinem Zuhause in Nürnberg besucht. Im Interview bezieht Meyer u. a. Stellung zur Arbeit von Club-Coach Miroslav Klose und verrät, was ihn in seiner Karriere Nerven gekostet hat.

SPORT1: Herr Meyer, wenn Sie heute auf Ihre Karriere zurückblicken: Sehen Sie sich selbst als „Kulttrainer“ – oder ist das einfach nur ein Modewort?

Hans Meyer: Ich selbst kann mit dem Wort nicht so viel anfangen. Ist man Kult, nur weil man lange genug dabei ist? Viele Menschen stehen jahrzehntelang mit vielbeachteter, respektabler und toller Arbeit Ihre/n Frau/Mann, sind sie deshalb auch Kult? Ich habe meine zufällige Popularität, mit der ich mich all die Jahre auseinandersetzen musste, nie ganz verstanden. Auch die Fans, die sich mit mir fotografieren lassen oder ein Autogramm wollten. Mir sind in meinem Leben eine Menge toller, interessanter Menschen begegnet, das Bedürfnis, eine bezugslose, oft unleserliche Unterschrift zu ergattern, hat sich nie eingestellt.

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„Man kann meine ‚Beliebtheit‘ doch gar nicht so richtig einschätzen“

SPORT1: Aber warum, glauben Sie, genießen gerade Sie diesen Kultstatus bei vielen Fans und Journalisten?

Meyer: Man kann meine „Beliebtheit“ doch gar nicht so richtig einschätzen. Bei einer Umfrage würden sicher auch viele sagen: „Zum Glück hat das Arschloch rechtzeitig aufgehört.“ Das meiste war geschenkt durch die Vermarktbarkeit dieser herrlichen Sportart Fußball. Ansonsten hätte dieser Typ Hans Meyer mit seiner Arbeit als Dorfschulmeister in Mecklenburg-Vorpommern sicher niemanden interessiert.

SPORT1: Sie sind bekannt für Ihre schlagfertigen Pressekonferenzen – erinnern Sie sich an einen Moment, in dem Sie selbst über sich lachen mussten?

Meyer: Ich wurde nach einer Vertragsverlängerung in Gladbach von einem Journalisten gefragt: „Was hat denn die Mannschaft gesagt?“ Das war eine eher unüberlegte Frage, was soll die Mannschaft denn gesagt haben? Die Frage, wer sein Trainer ist, bringt doch keinen Spieler wirklich um den Schlaf. Auch ohne Xabi Alonso wird es in Leverkusen weitergehen, und Jonas Hofmann wird vielleicht sogar erleichtert sein, weil es unter Alonso für ihn zuletzt nicht gut lief. Mir hat auch keiner ein Körbchen Eier gebracht, als ich verlängert habe. Ich habe dem Journalisten im Spaß gesagt: „Es war ein sehr erhabener Moment. Wir mussten das Training mehrere Male unterbrechen, weil wir alle vor Freude geweint haben.“

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SPORT1: Was war Ihre erste Fußball-Erinnerung, die Sie als jungen Kerl fußballerisch geprägt hat? Beim „Wunder von Bern“ waren Sie schon zwölf Jahre alt. War es schon immer Ihr Traum, Fußballer zu werden, und wann wussten Sie, dass Sie Ihr Leben dem Fußball widmen würden?

Meyer: Zum Profifußball hatte ich in dem Alter noch keine Beziehung. Allerdings habe ich das Finale in Bern am Radio erlebt. Ich wusste auch schon damals, dass jeder Fußballliebhaber die Ungarn und ihren Fußball gern haben musste und dass der damals eher sensationelle WM-Erfolg für das problembeladene Deutschland und seine Menschen eine große Rolle spielte. Ich bin in Roßleben groß geworden. Auf Bolzplätzen haben wir immer gespielt. Richtig los ging es dann, als ich mit 19 in Jena begann, Sport zu studieren. Heute wäre ich in diesem Alter längst gesichtet und begutachtet worden. Es war eben kein typischer Weg zum Leistungsfußball. Dann merkte ich schnell, dass es eigentlich schön wäre, dort auch meinen Lebensunterhalt zu verdienen.

„Thomas Müller? Ein hoher Maßstab!“

SPORT1: Gab es Spieler oder Kollegen, die regelmäßig für Lacher gesorgt haben – absichtlich oder unfreiwillig?

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Meyer: So wie Thomas Müller? Zu dieser Art von Humor gehört Begabung und ein guter Kopf – und Thomas hat beides. Ein hoher Maßstab! Aber es gab schon in allen von mir trainierten Mannschaften ein oder zwei Spaßmacher, die man als Trainer in Phasen, wo es nicht laufen wollte, gut gebrauchen konnte. Meist ist in Fußballmannschaften die Basis gegeben, dass viel und gern gelacht wird. Bei einem Beruf mit Hobby-Charakter ohne prekäre finanzielle Probleme und riesiger gesellschaftlicher Anerkennung - wen wundert es?

SPORT1: Haben Sie sonst beim Umgang vor allem mit jüngeren Spielern lustige Erinnerungen?

Meyer: Eigentlich viele. Mitte der 70er Jahre hatte ich mal einen talentierten Spieler, Gert Brauer, 19 Jahre, späterer Nationalspieler, mit dem ich überraschenderweise viel Ärger hatte - Pünktlichkeit, Ordnung, leistungssportliche Ernährung. Und und und. Ich habe einmal in seinen Spind geschaut – den hättest du gleich anzünden können: angebissenes Obst, ungewaschene Wäsche, ungeputzte Schuhe, alles lag herum. Eine Katastrophe. Eine Schlampe. Er hat eine Menge Geld in die Mannschaftskasse bezahlt. Ich habe ihm dann eine kleine Wohnung besorgt, weil er aus dem Internat rauswollte. Eine Woche später habe ich ihn zu Hause besucht, weil ich sehen wollte, wie er lebt und ob ich für eine Haushaltshilfe sorgen muss. Ich klingelte, er machte auf und sagte: „Trainer, schön, dass Sie da sind, bitte ziehen Sie die Schuhe aus.“ Ich sagte nur: „Soll ich dir in den Arsch treten?“ (lacht)

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SPORT1: Welcher Kollege – Trainer oder Funktionär – hat Sie während Ihrer Laufbahn am meisten genervt?

Meyer: Viele. Bevor ich 2012 im Präsidium von Gladbach angefangen habe, hatte ich eine ziemlich unfertige, voreingenommene Meinung von den Herren – weil ich sie meist nur kennengelernt habe, wenn es irgendwo gebrannt hat. Dann solltest du dich fachlich mit ihnen über das, was falsch lief, unterhalten. Aber das ging oft gar nicht – sie hatten in der Regel vom Fußball fast so wenig Ahnung wie ich von ihrem Lebenswerk. Meine Erfahrungen auf der anderen Seite lassen mich heute mit deutlich mehr Respekt und Achtung auf die vielen Haupt- und Ehrenamtlichen im Fußball schauen, auch wenn sie keine Leistungssporterfahrungen mitgebracht haben.

SPORT1: Und welcher Trainerkollege hat Sie besonders genervt?

Meyer: Es gab einige, die nicht in die ansonsten zwar normal egoistische, aber auch solidarische Trainergilde gepasst haben. Es gab und gibt aber eine Menge an Kollegen, die ich fachlich und menschlich toll fand und finde. Wenn ein Jürgen Klopp, Christian Streich, Xabi Alonso, Vincent Kompany, Frank Schmidt, Julian Nagelsmann, Dino Toppmöller und viele andere über Fußball reden, weiß man die deutsche Nummer eins im Sport in guten Händen.

Seoane? „Hatte ein ganz schwieriges Erbe“

SPORT1: Wie denken Sie über den aktuellen Gladbach-Trainer Gerardo Seoane?

Meyer: Er hatte ein ganz schwieriges Erbe zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt übernommen und im abgelaufenem Jahr sehr, sehr viel richtig gemacht. Ich hoffe stark, dass die Borussia ihn weiter rückhaltlos unterstützt beim Aufbau einer stabilen, leistungsstarken Mannschaft, die in etwa den realistischen Erwartungen entspricht. Damit meine ich nicht die Erfüllung von Wunschdenken.

SPORT1: Gab es einen Spieler, mit dem Sie sich nie richtig verstanden haben – aber sportlich lief es trotzdem?

Meyer: Mein Verhältnis zu den Spielern war selten innig. Bei einem Kaderkreis von 25 jungen ehrgeizigen Spielern, jeder ausgestattet mit Vorstellungen über die eigene Leistungsfähigkeit, gab es natürlich auch immer wieder Spannungen. In Jena allerdings gab es einen Peter Ducke. Bis zu seinem Beinbruch Ende der 60er war er auf dem Weg zu einem Weltklasse-Stürmer. Er war ein überragender Spieler, was man von mir nicht gerade behaupten konnte, und älter als ich. Und dann übernehme ich vom autoritären Jenaer Trainer-Idol Georg Buschner als Eleve seine Mannschaft mit sieben Nationalspielern. Peter hat mich wahrscheinlich schon als Spieler nie akzeptiert, da passte dieser Trainerwechsel aber gar nicht in seine Gedankenwelt. Trotzdem war er so fußballverrückt, dass ich von ihm profitiert habe. Wenn es um seine Leistung im Training und Wettkampf ging, brauchte dieses Ausnahmetalent kein Zusatzvertrauen zum Trainer. Ein Bier haben wir nie zusammen getrunken. Aber für meine spätere Karriere waren das lehrreiche Momente.

SPORT1: Was war das emotionalste Erlebnis Ihrer Karriere – im Positiven wie im Negativen?

Meyer: Ich habe fast 40 Jahre im Leistungsfußball als Trainer auf der Bank gesessen. Meine Erfolge haben mich genauso emotional und gedanklich bewegt wie meine zahlreichen Niederlagen. Bei den meisten Ereignissen konnte und musste man relativ schnell zur Tagesordnung übergehen. 1980/81 spielten wir mit Carl Zeiss Jena im Europapokal der Pokalsieger. Unser Weg ins Finale war glorreich und für Eingeweihte sensationell. Wir spielten gegen die AS Rom, bei der der 21-jährige Carlo Ancelotti seine ersten Profischritte unternahm, den FC Valencia, europäischer Supercup-Gewinner 1980 mit Mario Kempes und Rainer Bonhof, gegen Benfica Lissabon, wo praktisch die gesamte portugiesische Nationalmannschaft spielte, und kamen glücklich gegen den walisischen Pokalgewinner aus der dritten englischen Division New Port County weiter. Wir haben mit unserer Bezirksauswahlmannschaft also zum Teil europäische Spitze bezwungen und standen in Düsseldorf 1981 im Endspiel des Europapokals der Pokalsieger gegen Dynamo Tbilissi. Mein größter Erfolg und gleichzeitig meine größte Niederlage, 1:2 in der 80 Minute. Es beschäftigt mich immer noch. (lächelt)

„Das ziehst du nicht durch“

SPORT1: Sie hatten ein ganz eigenes Verhältnis zu Journalisten – eher liebevoll-sarkastisch. Wie sehen Sie die Rolle der Medien heute?

Meyer: Liebevoll? In Enschede herrschte eine Sportjournalisten-Kultur, die ich weder aus der BRD noch aus der DDR kannte – handwerklich gute und fußballfachlich sehr gut ausgebildete Berichterstatter. Kein Mensch wird gerne kritisiert, aber die meisten negativen Kommentare zu meiner Arbeit konnte ich innerlich unterschreiben. In Gladbach fragte mich ein Journalist: „Erzählen Sie etwas über sich – Sie kennt ja hier keiner.“ Ich hatte sechs Spieler trainiert, die 1974 den späteren Weltmeister BRD besiegt haben, 75 Europacupspiele inklusive eines Finals. Dann sagte er noch: „Wissen Sie eigentlich, dass Sie nicht erste oder zweite Wahl waren?“ Nach drei Wochen hatte ich das Gefühl, man wollte mich schon wieder absägen – und ich hatte Gladbach auf dem letzten Platz übernommen. Mein Selbstbewusstsein bezog sich auf Dinge, bei denen mir keiner etwas konnte. Zu einer Handvoll Journalisten habe ich heute noch guten Kontakt. Schlecht fühlen mussten sich nur diejenigen, die mit böswilligen Fragen kamen oder arrogant genug waren, um nichts von Weiterbildung zu halten.

SPORT1: Haben Sie sich mal gedacht: „Jetzt schmeiße ich alles hin”?

Meyer: Bei meiner zweiten Amtszeit in Gladbach habe ich eine Mannschaft vorgefunden, bei der ich mich anfangs jeden Tag über das, was da ablief, geärgert habe. Da habe ich gedacht: „Das ziehst du nicht durch.“ Dann habe ich es doch getan – im Trainingslager haben dann wichtige Spieler meine Ablösung gefordert. Sie wollten sich das mit mir nicht mehr antun. Zum Glück für mich hat das Präsidium nicht reagiert, sie wussten offensichtlich damals schon, dass ich einmal ihr Kollege werde ...

SPORT1: Blicken Sie mit Wehmut oder mit Stolz zurück?

Meyer: Ich bin ein kleines Glücksschwein. Mit 82 ist das Ende nicht mehr allzu fern. Aber Wehmut empfinde ich keine. Es lief alles ganz ordentlich in meiner Karriere. Bei dem einen oder anderen Präsidium habe ich mir zwar gedacht, als sie mich rausgeworfen haben: „Das hätten sie auch früher und zu Recht machen können.“ (lacht)

„Klose ist mit einer echten Last gestartet“

SPORT1: Wären Sie gerne noch einmal Trainer?

Meyer: Ja - zum Beispiel in Nürnberg. Meine Möglichkeit, mit dem Fahrrad das Trainingsgelände zu erreichen, macht den Gedanken reizvoll. Vorausgesetzt, sie hätten die Spieler behalten, die sie in diesem Jahr verkaufen mussten, oder sie könnten von den beachtlichen Einnahmen auch nennenswert in neue investieren.

SPORT1: Wie bewerten Sie das erste komplette Profijahr als Cheftrainer von Miroslav Klose?

Meyer: Er hat eine Mannschaft übernommen, bei der in den Jahren zuvor nicht viel zusammengepasst hat. Miroslav Klose ist mit einer echten Last gestartet. Er war ein großartiger Fußballer und durch seinen öffentlichen Umgang mit seiner Popularität ein echter Sympathieträger - aber als verantwortlicher Trainer im Hochleistungsbereich war er noch unerfahren. Nach einer relativ kurzen Zeit in Österreich kam er nach Nürnberg - und wurde dort gleich von der Presse auf den Prüfstand gestellt. Anfangs tat sich das Team normal schwer. Doch im Frühjahr ist dank ihm und der Art des gespielten Fußballs auf dem Feld eine seit langem vermisste hoffnungsvolle Stimmung in und um den Club entstanden. Zum Schluss wurde es durch Verletzungen und Unruhe aus Transfergründen dann wieder etwas holprig. Aber Miroslav ist inzwischen richtig gefestigt. Nur: Die Spieler, die für viel Geld verkauft wurden, kann man nicht einfach ersetzen.

SPORT1: Wie schwer fiel Ihnen der Abschied als Präsidiumsmitglied bei Borussia Mönchengladbach?

Meyer: Es gibt schon genügend Menschen, die glauben, dass nach ihrem Beschäftigungsende die Welt den Atem anhält. Wenn du mal 82 bist, denk noch mal über meine mangelnde Motivation nach. Der Wegfall von drei bis fünf Bahnfahrten im Monat zu Terminen von Nürnberg nach Mönchengladbach und zurück plus einigen Auswärtsfahrten am Wochenende können dann auch mal zu viel werden. Die Borussia zu begleiten bei ihrer anspruchsvollen Aufbauarbeit ist auch ohne permanente Anwesenheit gut und befriedigend zu realisieren.

SPORT1: Letzte Frage: Sie sind Millionär. Was bedeutet Ihnen Luxus?

Meyer: Du lebst natürlich in den gesellschaftlichen Vorstellungen, dass alle im Profibereich tätigen Menschen als Millionäre aus dem Abenteuer ausscheiden und zeitlebens mit Gold panierte Schnitzel verzehren. Du würdest dich wundern, wie viele ehemalige Profis es nicht geschafft haben, die schöne, sorglose Zeit ihrer Karriere zu nutzen, um später finanzielles Prekariat zu vermeiden. Ich denke natürlich darüber nach und weiß, dass es mir finanziell sehr, sehr gut geht. Davon träumen andere Menschen, die ihr ganzes Leben lang wenigstens ebenso bemüht und fleißig waren wie ich. Ich könnte mir eventuell auch ein aufwändigeres Leben leisten. Wobei der Begriff Luxus sehr individuell, vielschichtig und unterschiedlich interpretiert werden kann und wird.