Am 10. November 2019 ist das 4:0 des FC Bayern bei der Premiere von Trainer Hansi Flick im wieder mal einseitigen deutschen Clasico gegen den BVB das Thema des Tages, noch vor der Doppelentlassung in Köln (Sportchef Armin Veh und Trainer Achim Beierlorzer müssen gehen) und dem missglückten Einstand von Jürgen Klinsmann bei Hertha BSC. Beim 2:4 gegen RB Leipzig ist der kommende Trainer aber erst ein frisches Aufsichtsratsmitglied.
Als in Freiburg das Chaos ausbrach
Es mangelt also nicht an Themen, womit die Sportzeitungen und Portale am Montag würden aufmachen können. Aber noch ist der Spieltag nicht zu Ende. Borussia Mönchengladbach geht als Tabellenführer ins erste der drei Sonntagspiele, die ab 18 Uhr mit Freiburg – Frankfurt beschlossen werden.
Nur wenig deutet darauf hin, dass es die Partie werden würde, über die am meisten und längsten gesprochen wird. Es treffen sich zwei Tabellennachbarn im gesicherten Mittelfeld (Siebter gegen Achter), die Frankfurter sind schlechter gelaunt nach einem 1:2 unter der Woche in der Europa League gegen Standard Lüttich, gegen das sie wegen eines vermeintlichen Regelverstoßes Protest einlegen wollen.
In der Freiburger Aufstellung stehen fünf Profis, die heute noch dort sind und mit Robin Koch der einzige, der sich heute im Frankfurter Team noch an diesen Abend wird erinnern können – neben Edelreservist Timothy Chandler, der schon damals nur auf der Bank sitzt. Kevin Trapp fehlt verletzt.
„Gelb-Rot für Lappalie”: Bobic sauer
SGE-Trainer ist der Österreicher Adi Hütter, auf der Gegenseite drückt der ewige Christian Streich die Bank. Das Spiel vor ausverkauftem Haus (24.000) wogt lange hin und her, ohne dass sich auf der Anzeigetafel etwas tut.
Kurz vor der Pause der erste „Höhepunkt“: Frankfurts Schweizer Gelson Fernandes leistet sich sein zweites rüdes Foul und wird nur wenige Sekunden vor allen anderen von Felix Brych in die Kabinen geschickt.
Die zweite Hälfte bestreitet die Eintracht also in Unterzahl, was Sportvorstand Fredi Bobic erbost: „Brych hat vieles laufen lassen, aber er gibt für eine Lappalie Gelb-Rot. Das war entscheidend für das Spiel.“
Das wiederum ein gewisser Nils Petersen entscheidet, sein Tor in der 72. Minute wird das einzige bleiben. Obwohl die Eintracht auch in Unterzahl etliche Chancen zum Ausgleich bekommt, aber an Mark Flekken im SC-Tor regelmäßig scheitert.
Abraham „war höchst erregt über Platz gelaufen“
Kämpfen aber tut sie bis zuletzt, besonders engagierte sich Kapitän David Abraham.
Die Frankfurter Rundschau beobachtet: „In der Tat war Abraham, außerhalb der Kreidelinien einer der freundlichsten Menschen, Minuten vor dem Ausraster schon höchst erregt über den Platz gelaufen, er beging Fouls, schrie den Ball an.“
Ist er etwa nicht mehr ganz bei Sinnen, als das Unglaubliche geschieht? In der vierten und letzten Minute der Nachspielzeit schlagen die Freiburger auf Höhe der Mittellinie den Ball ins Seitenaus, knapp rollt er an Streich vorbei.
Der sieht natürlich keine Veranlassung, ihn zu stoppen und das Spiel schnell zu machen, die Zeit läuft ja für seinen SC.
Aufregung nach Bodycheck gegen Streich
Abraham saust im Vollsprint durch die Coaching Zone von Streich, der keinen Millimeter weicht und etwas rein ruft. Ob die Worte an seine Spieler oder drohend an Abraham gerichtet werden? Bleibt unklar.
Es kommt jedenfalls zum Zusammenprall, im Eishockey wäre von Bodycheck die Rede. Schulter knallt gegen Schulter.
Da Streich nicht damit rechnet und keine Körperspannung hat, kippt er um und landet wie ein Maikäfer auf dem Rücken. Das passiert, weil Abraham es so gewollt hat, die Bilder erlauben da keinen Zweifel.
Nun bricht das Chaos aus, die Freiburger Bank stürzt sich geschlossen auf Abraham, die Frankfurter eilen ihrem Kapitän zu Hilfe.
Freiburgs Vincenzo Grifo packt den Argentinier ins Gesicht. Erst nach zwei Minuten ist der Tumult vorbei und Brych kann seine Urteile fällen. Er schickt Abraham vom Platz und zeigt nach Auswertung der TV-Bilder mit VAR-Hilfe auch Grifo, der schon ausgewechselt worden ist, Rot.
Dann pfeift er ab. Drei Platzverweise, aber keine Verletzten – immerhin.
Schnelle Versöhnung nach Chaos
Hinterher geben sich alle Mühe, den Frieden wieder herzustellen. Abraham entschuldigt sich bei Streich und öffentlich („Ich möchte mich in aller Form bei Christian Streich entschuldigen. Ich wollte den Ball so schnell wie möglich wieder ins Spiel bringen und hätte ausweichen müssen.“), man sieht sie noch in den Katakomben Arm in Arm.
Streich nimmt an und versucht, zu deeskalieren: „Mit 54 kannst Du von so einem Büffel auch mal umgerannt werden. Wir sollten jetzt alle runter kommen, Fußball ist ein Kampfsport – runterfahren und nicht dumm schwätze. David hat sich entschuldigt, für mich ist das Thema erledigt.“
Das können nicht alle so sehen, für Verein, Verband und Medien stellt sich die Frage der Vorbildfunktion.
Bobic zetert: „Das darf nicht passieren, das weiß er. Da wird es Konsequenzen geben für alle Beteiligten.“ Von Boulevard- über Fach- bis Lokalpresse wird unisono gefordert: „Abraham muss die Binde abgeben!“
Darüber hat der DFB nicht zu entscheiden. Vielmehr muss er die Vorstrafen würdigen, als er drei Tage später über Abraham zu Sportgericht sitzt.
Sieben Wochen Sperre für Argentinier
Zwei Platzverweise sind aktenkundig und drei Tätlichkeiten, die noch vor dem VAR geschehen und nicht bestraft worden sind, zumindest in den Videoarchiven abrufbar. Diesmal erwischt es ihn umso heftiger.
Der Mann, der laut Frankfurter Rundschau „nicht mal einer Obstfliege auf einer angefaulten Mandarine den Garaus machen würde“ und sich intern hoher Beliebtheit erfreut, wird für sieben Wochen gesperrt und muss 25.000 Euro in die Verbandskasse zahlen.
Auch die Eintracht ruft eine Geldstrafe ab, die Kapitänsbinde behält er.
Hütter: „Wir haben ihm mitgeteilt, dass wir solche Aktionen nicht akzeptieren und nicht mehr sehen wollen. Aber unser Kapitän bleibt er.“
Abraham verzichtet doch auf Berufung
Gegen die Sperre will Abraham zunächst Berufung einlegen, dann überlegt er es sich anders – Einsicht als erstes Anzeichen einer Besserung.
2019 haben die Frankfurter in Freiburg also wieder eine Rot-Geschichte schreiben. Nach dem ersten Platzverweis nach Foul an einem Masseur (Rudi Bommer 1995 in Bochum) nun der erste nach Foul an einem Trainer.
Zwar war 2005 bereits der Ex-Frankfurter Albert Streit im Dress des 1. FC Köln nach vermeintlichem Kopfstoß gegen Duisburgs Trainer Norbert Meier runter geflogen, doch TV-Bilder entlarvten Meier als Schwindler. Die Aktion ging vom Trainer aus, dann ließ er sich fallen.
Hitzkopf Streich hingegen mag man manches vorwerfen, aber eine Schwalbe war das nicht, damals gegen die Eintracht. Die fliegen ja auch nicht im November.