Xabi Alonso geht, Jonathan Tah sucht sich einen neuen Verein, Florian Wirtz schaut sich bei den Top-Teams Europas um und auch Jeremie Frimpong steht offenbar kurz vor einem Wechsel nach England. Allein die Situation dieser vier Schlüsselspieler zeigt, dass die märchenhafte Geschichte der Leverkusener, die unter der Regie des spanischen Trainers entstand, nach knapp drei gemeinsamen Jahren endgültig auserzählt ist.
Wirtz-Poker? „Für mich nicht unwürdig“
Thomas Brdaric, der von 1999 bis 2004 als Stürmer für Leverkusen auf Torejagd ging, zweimal Vizemeister der Bundesliga wurde und 2002 das Finale der Champions League erreichte, verfolgt die Entwicklungen seines Ex-Vereins nach wie vor genau. Angst vor einem Einbruch der Werkself in der kommenden Saison spürt der 50-Jährige allerdings nicht, wie er im Kurz-Interview mit SPORT1 verrät. Für Florian Wirtz hat er, falls dieser den Verein verlassen sollte, einen besonderen Wunsch.
SPORT1: Herr Brdaric, Ihr ehemaliger Verein Bayer Leverkusen hat die Bundesliga-Saison auf dem zweiten Platz abgeschlossen. Ist das gut oder angesichts der herausragenden Vorsaison doch eher ein Misserfolg?
Brdaric: In erster Linie freue ich mich darüber, dass es Bayer nach dem überragenden Erfolg im Vorjahr wieder geschafft hat, dem deutschen Fußball seinen Stempel aufzudrücken. Wenn es am Ende ein Team gibt, das einfach besser ist ,dann gilt es, das zu akzeptieren und neidlos anzuerkennen. Jetzt wird sich Bayer neu aufstellen und im nächsten Jahr wieder angreifen.
Leverkusen? „Dort wird sehr professionell gearbeitet“
SPORT1: Fürchten Sie wegen der vielen drohenden Abgänge nicht, dass es für die Leverkusener in der nächsten Saison schwerer wird?
Brdaric: Nein. Bayer Leverkusen ist einer der besten Vereine Deutschlands. Dort wird sehr professionell gearbeitet. Die Ambitionen, Titel zu gewinnen, sind immer vorhanden und die Strukturen sind so gefestigt, dass mir mit Blick in die Zukunft überhaupt nicht bange wird. Natürlich müssen sie schauen, dass sie wieder den richtigen Trainer verpflichten. Dabei stellt sich die zentrale Frage: Machen sie weiter wie unter Alonso oder verändern sie den Spielstil? Der Spielstil war schon sehr markant. Mit Simon Rolfes und Fernando Carro sind sie im Management jedoch top aufgestellt. Sie werden sich mit der Situation längst beschäftigt haben. Ob sie so erfolgreich sein werden wie in den vergangenen beiden Jahren, hängt jetzt davon ab, ob sie jemanden finden, der so erfolgsorientiert arbeitet wie Xabi Alonso.
SPORT1: Wenn Florian Wirtz und weitere Stars wie Jeremie Frimpong, Alejandro Grimaldo oder Victor Boniface den Verein wirklich verlassen, würde zweifellos viel Qualität verloren gehen. Gleichzeitig wären die Kassen prall gefüllt und die Voraussetzungen für eine Transferoffensive somit gegeben. Wäre diese Situation nur ein Risiko oder in gewisser Weise auch eine Chance?
Brdaric: Das wäre auf jeden Fall auch eine Chance zur richtigen Zeit. Die letzten Wochen und Monate haben gezeigt, dass hier und da frischer Wind nötig ist. Und es gibt fast nichts Schöneres, als in einer solchen Konstellation zu arbeiten, in der man Möglichkeiten hat, sich zu entfalten und seine Ideen zu verwirklichen. Also einen Trainer zu verpflichten, eine Strategie zu entwickeln und die passenden Spieler dazu zu holen. Für die Leverkusener ist es eine extrem spannende Phase. Eine, die Risiken birgt. Aber eben auch Chancen bietet.
SPORT1: Neben der Trainersuche ist Florian Wirtz das größte Gesprächsthema. Stefan Effenberg bezeichnete das ganze „Transfer-Theater“ sogar schon als unwürdig. Wenn Sie ihm einen Ratschlag geben könnten, was wäre das?
Brdaric: Florian ist ein absoluter Schlüsselspieler, der jederzeit den Unterschied ausmachen kann. Das System von Xabi Alonso passte hervorragend zu seinen Stärken. Deshalb ist es jetzt auch für ihn wichtig zu wissen, wer als neuer Trainer kommt und wie dessen Philosophie aussieht. Das ist für mich nicht unwürdig. Ich weiß nicht genau, weshalb sie sich noch nicht entschieden haben. Aber in die Sache kommt wohl nur Schwung, wenn endlich feststeht, wer der Nachfolger von Alonso wird. Dann wird sich Wirtz mit dem neuen Trainer unterhalten und für sich herausfinden, ob eine weitere Zusammenarbeit Sinn ergibt.
„Solche Akteure gibt es nur alle paar Jahre“
SPORT1: Wo würden Sie Wirtz denn kommende Saison am liebsten sehen?
Brdaric: Gute Frage. Vor Angeboten kann er sich ja kaum retten und am Geld wird es am Ende nicht scheitern. Jetzt wartet er erst einmal den neuen Weg von Bayer ab und wird sich dann in aller Ruhe Gedanken machen. Für mich zählt, dass Flo eine absolute Bereicherung für den deutschen Fußball ist. Ich fände es sehr schade, wenn er ins Ausland geht und für die Fans in Deutschland nicht mehr so präsent wäre wie in Leverkusen oder bei einem Wechsel zum FC Bayern.
SPORT1: In der deutschen Expertenlandschaft gehen die Meinungen bei der Frage, ob Wirtz und Jamal Musiala in München zusammenpassen würden, teils weit auseinander. Was würden Sie sagen?
Brdaric: Es ist definitiv denkbar, dass beide zusammenspielen. Deshalb könnte ich mir Flo auch bei den Bayern vorstellen. Flo kann im Mittelfeld alle Positionen spielen: in der Mitte, auf den Außen oder sogar als hängende Spitze. Dass Wirtz und Musiala sehr variabel sind, haben sie schon in der Nationalmannschaft bewiesen. Sie können als Doppel-Zehner agieren, andernfalls weicht einer auf die Flügel aus. Um Wirtz muss man sich keine Sorgen machen. Ihn mit dem Ball am Fuß zu sehen, wird immer etwas Tolles sein, egal, wo er spielt. Er gibt den Spielen diese besondere Note. Solche Akteure gibt es nur alle paar Jahre.