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Ein Tag für die Ewigkeit: Als in Dortmund alle Dämme brachen

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Als in Dortmund alle Dämme brachen

Am 17. Juni 1995 sichert sich Borussia Dortmund nach 32 Jahren die erste Bundesliga-Meisterschaft. In einer Saison voller Wendungen, Verletzungspech und einem dramatischen Fernduell mit Otto Rehhagels Werder Bremen gelingt dem Team von Ottmar Hitzfeld am letzten Spieltag der große Wurf.
Emotionen pur! Andreas Möller und Michael Zorc liegen sich in den Armen
Emotionen pur! Andreas Möller und Michael Zorc liegen sich in den Armen
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Am 17. Juni 1995 sichert sich Borussia Dortmund nach 32 Jahren die erste Bundesliga-Meisterschaft. In einer Saison voller Wendungen, Verletzungspech und einem dramatischen Fernduell mit Otto Rehhagels Werder Bremen gelingt dem Team von Ottmar Hitzfeld am letzten Spieltag der große Wurf.

Als die Bundesliga 1963 aus der Taufe gehoben wurde, ging Borussia Dortmund als Topfavorit in die Saison. Schließlich waren die Schwarz-Gelben ja der letzte Meister vor ihrer Einführung gewesen. Timo Konietzka schoss auch prompt das erste Tor am 24. August 1963, aber die Meisterschale ging nach Köln.

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Sie ging dann noch oft auf Reisen, doch den Weg ins Ruhrgebiet schien sie nicht zu kennen – auch nicht den nach Schalke, was den Borussen ein kleiner Trost war. Doch weit größer war die Freude, als sie es nach 32 Jahren endlich doch schafften.

Am 17. Juni 1995, heute vor 30 Jahren, gewannen die Dortmunder ihre erste Bundesligameisterschaft nach einer Saison, die in mancherlei Hinsicht bedeutend war.

Ihr Epilog stand im Zeichen zweier Trainer, die am letzten Spieltag personifizierten, was den Fußball ausmacht: er produziert unentwegt Sieger und Verlierer. Ihre Namen stehen für packende Titelkämpfe der Bundesliga im ausgehenden 20. Jahrhundert: Ottmar Hitzfeld und Otto Rehhagel.

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Letzte Bundesliga-Saison ohne feste Rückennummern

1994/95 ist die letzte Saison, in der ein Sieger zwei Punkte und ein Verlierer zwei Minuspunkte bekommt.

Es ist auch die letzte Saison ohne feste Rückennummern und Namensbeflockungen und sie bringt einen Zuschauerrekord: erstmals strömen über neun Millionen Zuschauer in die Stadien (Schnitt: 29.270).

Das hat nicht nur, aber auch mit einem spannenden Titelkampf zu tun, obwohl es danach im Winter 1994/95 noch nicht aussieht.

Ottmar Hitzfelds Dortmunder, angetrieben von einem überragenden Matthias Sammer, fahren die Herbstmeisterschaft mit vier Punkten Vorsprung ein und Bundestrainer Berti Vogts sagt, es gehe nun nur noch darum, „wer hinter Dortmund in der Endabrechnung Platz zwei belegen wird“.

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Dabei ist er lange genug im Geschäft, um zu wissen, was in einem halben Fußballjahr alles passieren kann.

Hitzfelds Personalnot und der „Baby-Sturm“

Wobei das, was den Borussen passiert, Hitzfeld beinahe aus der Bahn wirft: „Es hat mich umgehauen und tagelang beschäftigt.“

So geht es ihm, weil im März mit Stephane Chapuisat sein dritter und letzter Stürmer ausfällt. Wie Karl-Heinz Riedle und der Däne Fleming Povlsen erleidet auch der Schweizer einen Kreuzbandriss.

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Hitzfeld rechnet hoch, dass ihm nun ein 29-Millionen-Sturm (in DM) fehle und er muss ihn mit „Kindern“ ersetzen. Der Boulevard macht daraus einen „Baby-Sturm“, dabei sind Ibrahim Tank und Lars Ricken immerhin schon 17 und 18.

Die Supertalente geben ihr Bestes, aber Borussia bricht in der Rückrunde ein und gibt die Tabellenführung nach einem 1:3 bei Verfolger Werder Bremen an diesen ab – am 29. Spieltag.

Rehhagel vor Bayern-Wechsel auf Abschiedstournee

Dort geht Otto Rehhagel seit Februar auf Abschiedstournee, er wechselt „ausgerechnet zu den Bayern“, wie Manager Willi Lemke bedauernd feststellt. Die Fans sind sauer, die Mannschaft aber will ihm, verspricht Uli Borowka, „zum Abschied einen Titel schenken“.

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Für sich selbst wollen sie ihn natürlich auch, Werder in den Neunzigern ist ein Top-Klub, der Jahr für Jahr Titel einfährt: 1991 Pokalsieger, 1992 Europapokalsieger, 1993 Meister, 1994 Pokalsieger.

Da muss zum Rehhagel-Abschied in dessen 478. Spiel seiner 14-jährigen Amtszeit noch mal die Schale dazu, denken sich die Bremer. Mario Basler besonders laut, er vertritt schon länger die Meinung, man werde „mit großem Vorsprung Meister“.

Doch der Spielplanleiter hat offenbar einen Sinn für Pikanterie, denn sein letztes Spiel auf der Werder-Bank führt Rehhagel an die künftige Arbeitsstelle – nach München.

Auch die Bayern verabschieden einen beliebten Trainer, nur dass Giovanni Trapattoni schon nach einem Jahr wieder geht. Er hat keine Titel gewonnen und den Rekordmeister nur auf Platz sechs geführt.

Im Grunde geht es um nichts mehr für die Bayern, außer dass sie Schiebungsgerüchte entkräften müssen. Mancher denkt, die Bayern-Profis könnten dem neuen Trainer ja schon mal ein Begrüßungsgeschenk machen.

Showdown in Dortmund und München

Ab 15.30 Uhr bekommen sie an jenem 17. Juni 1995 im ausverkauften Olympiastadion (63.000 Zuschauer) die Gelegenheit, das Gegenteil zu beweisen.

Darauf hoffen auch die 50.000 BVB-Fans vor einer Großleinwand auf dem Friesenplatz und die 42.800 im Westfalen-Stadion, wo der HSV nach einer Chaos-Saison (Platz zwölf, Uwe Seeler spricht von einer „Schrottmannschaft“) um einen anständigen Abgang bemüht ist.

Die Ausgangslage: Werder führt mit einem Punkt und einem Tor und muss in München Federn lassen, wenn es was werden soll mit der ersten BVB-Meisterschaft in der Bundesliga.

Nach neun Minuten stellt Weltmeister Andreas Möller die Weichen dafür, indem er einen Freistoß an der HSV-Mauer vorbei ins kurze Eck zirkelt.

Der „Buh-Mann“ der Nation, nach einer unverschämten Schwalbe im April vom DFB für zwei Spiele gesperrt, macht zumindest beim eigenen Anhang Punkte gut.

Noch reicht das nicht zum Titel, aber vier Minuten später weist die Blitztabelle Borussia als Tabellenführer aus, da Christian Ziege die Bayern per Kopf in Führung bringt. Werder-Präsident Dr. Franz Böhmert sieht sich bestätigt, schon am Morgen im Hotel sagt er: „Ich glaube, wir verlieren heute!“

Wunderknabe Ricken sorgt für Ekstase

In Dortmund stehen die Zeichen nach 28 Minuten dagegen auf Meisterfeier, Wunderknabe Lars Ricken erhöht mit seinem zweiten Bundesligator auf 2:0.

Gibt sich Werder schon geschlagen? Nein. In der 37. Minute legt Markus Schupp Andreas Herzog, der Rehhagel nach München begleiten wird, im Strafraum und Basler donnert den Elfmeter in den Kasten von Oliver Kahn.

Trotzdem bleibt Borussia mit einem Tor Vorsprung Erster und der wächst noch vor dem Pausenpfiff. Da sorgt Alexander Zickler für die erneute Münchner Führung (2:1).

Sie ist gemessen am Spielverlauf noch schmeichelhaft für die seltsam energielosen Bremer, die hinterher unisono sagen werden, die Aufholjagd im Frühjahr habe sie zu viel Kraft gekostet.

„Die Mannschaft war leer“, sagt auch Dr. Böhmert, der es als Arzt ja wissen muss.

Das sehen auch die 63.000 in München, wo nach der Pause fast nur noch der FC Bayern spielt. Als Zickler nach 78 Minuten auf 3:1 erhöht, ist das der Sargnagel für die Hanseaten. Sie leisten keine nennenswerte Gegenwehr mehr, Rehhagel wird auf der Bank immer kleiner.

Zum Abpfiff brechen beim BVB alle Dämme

In Dortmund beginnen derweil die Feierlichkeiten.

„Deutscher Meister wird nur der BVB“, singen die Fans. Das nach der Pause ziemlich ereignislose Spiel, in dem der HSV sogar mehr Chancen hat, gerät längst zur Nebensache.

Alle warten nur noch auf den Abpfiff von Eugen Strigel und als der um 17.21 Uhr erfolgt, brechen alle Dämme.

Binnen Sekunden fluten schwarz-gelb gewandete Menschen den Rasen. Hitzfeld und Möller liegen sich in den Armen und weinen vor Rührung. „Keine Gefühlsregung, ein Gefühlsausbruch“, nennt der Kicker das.

Für Möller ist es „der schönste Tag meines Lebens“, Hitzfeld hebt die „sensationellen Leistungen im physischen und mentalen Bereich“ hervor und widmet den Titel seinen betagten Eltern (90 und 87 Jahre).

Hitzfeld: „Meine schönste Meisterschaft“

Als der Mann, der mit Borussia und den Bayern siebenmal die Schale gewinnt, auf seine Karriere zurückschaut, wird er die von 1995 als „meine schönste Meisterschaft“ bezeichnen.

Weil es die erste ist, weil sie die Skeptiker widerlegt, die nicht glauben wollen, dass die Borussia mit diesem Trainer etwas gewinnen können wird und weil sie so viele unvergleichliche Emotionen auslöst.

Präsident Dr. Gerd Niebaum sagt, es sei „eine Deutsche Meisterschaft des Herzens“.

Am nächsten Tag säumen ungeheure Menschenmassen, die Vereinschronik spricht von 500.000, die Straßen und feiern mit ihren zum Borsigplatz fahrenden Helden um Kapitän Michael Zorc den neuen Deutschen Meister.

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Der an diesem Tag, auch mit dem erstmaligen Einzug in die Champions League, den Grundstein für den Aufstieg zur zweiten Kraft des Landes hinter den Bayern legt.

Davor ist das Werder Bremen gewesen, für das nun nach dem Ende der „Ottokratie“ einige dürre Jahre kommen. Rehhagel trägt sein Los mit Fassung und sagt den Reportern: „Nur wer den Fußball wirklich kennt, weiß wie ich leide.“

In München wird er noch viel mehr leiden müssen, nach zehn Monaten ist seine Dienstzeit vorbei. Doch das ist eine andere Geschichte.