Horst Steffen hat in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung mit der SV Elversberg hingelegt, was beinahe mit dem Aufstieg in die Bundesliga belohnt worden wäre. Doch der kleine Klub hatte in der Relegation gegen den 1. FC Heidenheim dramatisch das Nachsehen. Dennoch ging es für Steffen ins Fußball-Oberhaus.
Bundesliga: Werder-Coach nachdenklich: "Sollten uns nicht wichtiger nehmen, als wir sind"
„Ich kann auch mal wütend werden“
Der 56-Jährige wurde bei Werder Bremen der Nachfolger von Ole Werner und coacht ab sofort erstmals in seiner Karriere einen Bundesligisten. Im SPORT1-Interview blickt er auf seinen ereignisreichen Sommer zurück, verrät, wie der Abschied in Elversberg abgelaufen ist, spricht über die Wechsel-Gerücht von Werder-Star Marvin Ducksch und erklärt, wieso er in puncto Saisonprognose immer eine unbefriedigende Antwort für Fragensteller hat.
Werder-Coach von den Fans begeistert
SPORT1: Herr Steffen, Sie befinden sich gerade im Zillertal in Ihrem ersten Trainingslager mit Werder Bremen. Wie ist Ihr bisheriger Eindruck?
Horst Steffen: Es ist wirklich sehr schön hier. Ich habe erstmal die Natur bewundert und genossen. Dieses wolkenverhangene Gebirge hier ist schon toll anzuschauen. Wichtiger sind natürlich die Trainingsbedingungen, die sehr ordentlich sind. Das Hotel ist super und die Stimmung bei den Jungs auch. Und was mich wirklich begeistert, sind die Fans, die uns begleiten. Die Art und Weise, wie sie mit uns umgehen, wie respektvoll sie mir und dem Team begegnen, das gibt mir ein tolles Gefühl.
SPORT1: Sie haben gerade die Kulisse hier erwähnt. In einer Medienrunde hatten Sie gesagt, wenn man die Berge sieht, merkt man wieder, wie klein wir Menschen eigentlich sind. Was meinten Sie damit?
Steffen: Für mich gilt, dass wir unser Leben so gut wie möglich leben und uns nicht wichtiger nehmen sollten, als wir sind. In unserer Gesellschaft ist es doch eher verbreitet, dass jeder denkt, er müsse sich noch mehr präsentieren. Die Ellenbogen ausfahren, um noch besser bewertet zu werden. Die Natur zeigt uns, dass es völlig egal ist, was wir tagtäglich leisten, sie lebt einfach weiter. Wir sollten unser Leben leben, mit allem, was dazu gehört, auch mit den Herausforderungen, die es gibt und auch eine gewisse Ernsthaftigkeit an den Tag legen. Aber eben auch genauso Gelassenheit und Freude haben am Leben, solange es uns möglich ist. Das sind Themen, die mir wichtig sind.
„Es kam schon eine Menge auf mich zu“
SPORT1: Sie sind jetzt ein paar Wochen bei Werder. Wie gut haben Sie sich schon eingelebt im Verein?
Steffen: Es kam schon eine Menge auf mich zu. Ich musste die Infrastruktur und den Klub kennenlernen. Wir waren parallel mit der Kaderplanung beschäftigt. Dazu musste ich eine Wohnung suchen, einen Umzug organisieren, mich in Elversberg noch von meinen Mitarbeitern verabschieden, und und und. Es waren schon viele Themen. Aber grundsätzlich habe ich versucht, mir eine gewisse Leichtigkeit zu bewahren. Ich habe eine schöne Wohnung gefunden, fühle mich wohl und kann ab und zu durch die Stadt gehen oder mit dem Rad fahren. Neben den Trainingseinheiten habe ich auch noch ein bisschen Zeit, Bremen kennenzulernen.
SPORT1: Für Außenstehende wirkte Ihr Wechsel doch recht überraschend. Nicht wenige hatten das Gefühl, dass es mit Ihnen und Elversberg einfach perfekt passt. Wie waren denn die Reaktionen in Ihrem Umfeld, als Sie gesagt haben, ich gehe jetzt zu Werder Bremen?
Steffen: Nach unserer Niederlage in der Relegation blieb ja nicht viel Zeit. Natürlich war im Klub Enttäuschung und Traurigkeit da. Bei meinen Spielern konnte ich mich nicht so richtig verabschieden, weil noch einige Dinge ausstanden und ich es noch nicht offiziell mitteilen durfte. Ich habe die Jungs dann später noch angerufen. Jeder hat Verständnis gezeigt, aber auch seine Traurigkeit zum Ausdruck gebracht, weil wir eine wunderbare Zeit miteinander hatten und Verbindungen geschaffen haben, die bleiben.
So will Steffen Fußball spielen
SPORT1: Welche Unterschiede haben Sie denn bislang zwischen Ihrer alten und der neuen Heimat wahrgenommen?
Steffen: Werder ist der größte Verein, den ich bisher trainiert habe. Und dementsprechend gibt es hier auch andere Herausforderungen. Und trotzdem bleibt es am Ende weiterhin ein Fußballspiel 11 gegen 11. Es geht auch hier um den Umgang mit Menschen, mit Sportlern, die ich fördern möchte, die ich zu ihrer Bestleistung bringen möchte, damit wir am Ende alle zufrieden sind. Die Spieler, der Verein und ich als Trainer auch. Ich möchte meine Themen auf dem Platz sehen und das Spiel so präsentieren, wie ich es zuletzt auch meistens auf den Platz gebracht habe. Die Freude des Spiels soll einfach im Vordergrund stehen. Diese Leichtigkeit hat aber auch viel mit Arbeit zu tun, die man im Vorfeld leisten muss. Die Fans dürfen sich auf jeden Fall auf einen Trainer freuen, der alles für diesen Verein geben wird.
SPORT1: Was sind für Sie denn die wichtigsten Punkte in Ihrem Spiel, auch in taktischer Hinsicht?
Steffen: Das ist nicht so einfach zu sagen, weil das Spiel so wahnsinnig komplex ist und so viel beinhaltet. Ich will, dass wir gemeinschaftlich verteidigen, dass wir mutig verteidigen und in der Regel auch hoch attackieren. Wenn es nicht anders geht, müssen wir aber auch tief attackieren können und die Situationen erkennen, in denen wir ins Angriffspressing gehen. Die Raumaufteilung beim Verteidigen muss klar sein, ebenso das Durchschieben. Die Abstände zwischen den Spielern dürfen nur so groß sein, dass man einen Zweikampf verlieren kann und weiß, dass der Nächste schon da ist. Und wenn wir überspielt sind, müssen wir nach hinten doppeln, um die Tiefe zu verteidigen. Und das sind nur die defensiven Themen, die sehr vielfältig und komplex sind. Dazu kommt das individuelle Eins gegen Eins beim Verteidigen von Standards und in der Offensive ist es dann eben die Frage, welche Positionierung wählen wir gegen welches System, wenn der Gegner so oder so attackiert? Also ganz viele Themen und Abläufe, die zu trainieren sind. Wir wollen nicht ausrechenbar sein, sondern immer eine Variabilität an Möglichkeiten haben, aus denen wir schöpfen können. Und wenn die Grundlagen stimmen, kann sich auch Kreativität entfalten. Dann werden die Jungs nochmal freier auf dem Platz und es entsteht die Lebendigkeit, die mir total gefällt und die auch nach draußen wirken soll.
Steffen lobt seine Co-Trainer
SPORT1: In den Einheiten hier im Trainingslager ist aufgefallen, dass Ihr Co-Trainer viele Übungen leitet und auch Anweisungen gibt. Sie halten sich dann eher im Hintergrund und unterbrechen nur hin und wieder, wenn Ihnen etwas auffällt.
Steffen: Das hilft mir einfach sehr dabei, im täglichen Drumherum nicht die Übersicht zu verlieren. Mein Co-Trainer Raphael Duarte und ich haben uns in den vergangenen Jahren inhaltlich so angenähert, dass wir eine Sprache sprechen. Er weiß genau, was ich möchte, und bringt auch Ideen rein, bei denen ich sage, das können wir übernehmen. Das Zusammenspiel funktioniert wirklich gut, auch mit Christian Groß, der als weiterer Co-Trainer dazugekommen ist und auch seine Kommandos gibt.
SPORT1: Sie haben Christian Groß angesprochen, der als Ex-Spieler den Klub kennt und sogar mit Teilen der Mannschaft noch zusammengespielt hat. Was kann er Ihrem Trainerteam geben?
Steffen: Die Nähe zu den Spielern ist sicherlich ein Aspekt, den Christian abdecken kann. Er hat nochmal einen anderen Zugang zu den Spielern. Die Erfahrung, die Christian als Bundesligaspieler gemacht hat, ist uns wichtig. Ich glaube, bei ihm ging es immer um die Sache, immer um die Spielentwicklung. Auch als Spieler hat er nicht toleriert, wenn im Training zu lasch agiert wurde. Das war auch ein Aspekt, der uns dazu bewogen hat, Christian ins Trainerteam zu holen.
Ducksch? „Halte mich zurück“
SPORT1: Seit Mittwoch ist auch Neuzugang Samuel Mbangula hier im Trainingslager. Er ist der zweitteuerste Transfer der Vereinsgeschichte. Was kann man denn von ihm erwarten?
Steffen: Ich habe ihn als wirklich guten Dribbler wahrgenommen. Ich habe gute Abschlüsse gesehen, ich habe seine Laufintensität gesehen und Kreativität. Also viele Dinge, die ein Offensivspieler mitbringen sollte. Wir haben sicherlich noch Möglichkeiten, ihn weiterzuentwickeln. Er ist in seinen jungen Jahren natürlich noch nicht fertig mit seiner Ausbildung, da können wir noch eine Steigerung erwarten. Er war sehr angetan davon, was wir ihm präsentiert haben, auf welcher Position wir ihn sehen und welche Möglichkeiten er auch auf einer alternativen Position haben kann. Gemeinsam mit der Idee, wie wir spielen wollen, hat ihn das überzeugt, zu Werder zu kommen. Er hatte jetzt drei Wochen Urlaub und muss wie alle anderen erst einmal an sich arbeiten, um konditionell auf das Level zu kommen, das es ihm ermöglicht, seine Top-Leistung zu bringen. Ich erwarte von ihm Bereitschaft, seine Stärken und sein Talent einzubringen und dann werden wir sehen.
SPORT1: Es sind auch noch Abgänge möglich. Bei Marvin Ducksch soll es zum Beispiel Interesse aus England geben. Wie planen Sie mit ihm?
Steffen: Ich halte mich sehr zurück, was Kaderplanung und Transfers anbelangt. Ich kann natürlich über Spieler sprechen, die gerade hier sind und eine Bewertung abgeben, aber welche Transfers möglich sind und welche nicht, das sind alles Fragen, die ich nicht beantworten möchte, weil es nicht mein Bereich ist.
Steffen ist kein Schleifer
SPORT1: Es ist auffällig, dass sehr viele Jugendspieler hier im Trainingslager dabei sind. Ihre Mitspieler loben Sie, wie sehen Sie die Leistung der Jungs?
Steffen: Stark. Die Jungs können mithalten und das ist außergewöhnlich, wenn du aus der U19 direkt zu den Profis kommst. Das ist auch körperlich ein Sprung, aber auch vom Spieltempo und der Aufmerksamkeit, die verlangt wird. Und die Jungs können hier mithalten, die zeigen sich, sind mutig, ohne übermütig zu sein, ohne überheblich zu wirken. Das machen sie hervorragend. Die Jungs, die dabei sind, sind eine Bereicherung für die Gemeinschaft. Es sind viele Jungs dabei, bei denen ich Hoffnung habe, dass sie in die Bundesliga kommen.
SPORT1: Dass Sie junge Profis sehr gut entwickeln können, hat man in den vergangenen Jahren sehr gut erkennen können. Sind Sie ein Schleifer?
Steffen: Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Ich fordere Intensität und Fokus während der Trainingseinheiten, aber ansonsten haben wir ein angenehmes und lockeres Miteinander, können zusammen lachen. Ich bin nicht der überstrenge Coach, aber ich kann auch mal wütend werden. Die Jungs profitieren von meiner Klarheit. Sie dürfen sich entwickeln, sie werden gesehen.
Große Freude auf das Weserstadion
SPORT1: Blicken wir auf die kommende Spielzeit. Was für eine Saison erwarten Sie denn? Wohin geht der Weg für Werder?
Steffen: Das ist so früh noch schwer zu beurteilen, auch, weil der Kader noch nicht komplett ist. Ich gebe da meistens eine Antwort, die unbefriedigend für die Fragesteller ist. Wir arbeiten so gut es geht mit den Jungs, die da sind, und versuchen das bestmögliche Ergebnis zu erreichen.
SPORT1: Wie groß ist die Vorfreude, mit der Raute auf der Brust im Weserstadion zu stehen?
Steffen: Ich freue mich sehr, das zu erleben. Ich habe schon viel über die Atmosphäre gehört und habe in der Doku gesehen, dass Werder einfach in der gesamten Stadt gelebt wird. Bevor ich mich mit Werder näher beschäftigt hatte, war für mich noch nicht klar, dass es hier so eine Energie und Verbindung gibt. Das ist sehr imposant. Deshalb freue ich mich total, das zu erleben. Das Stadion habe ich schon fotografiert und an meine Kinder geschickt, die freuen sich drauf, wenn sie hier herkommen und mitfiebern und dann am besten einige Siege bejubeln können.