Es war nicht nur ein astreines Eigentor, das da einem Spieler des FC Bayern München in der Krefelder Grotenburg-Kampfbahn unterlief, es war auch wunderschön – und wurde sogar ausgezeichnet.
Bayerns fatalstes Traumtor - und eine Folge-Aktion, die Uli Hoeneß beben ließ
Eine Aktion, die Uli Hoeneß beben ließ
Helmut Winklhofer (miss-)glückte das einzige Eigentor der Bundesligahistorie, das von den Zuschauern der ARD-Sportschau zum Tor des Monats (August 1985) gewählt wurde. Erzählen muss er davon bis heute, es war der Höhepunkt seiner Karriere, auch wenn er darauf gern verzichtet hätte.
Winklhofer trifft aus 35 Metern
Aber wer seinem Torwart aus über 30 Metern den Ball in den eigenen Kasten drischt und damit auch noch für einen verpatzten Saisonstart des amtierenden deutschen Meisters, der die Bayern auch 1985 waren, sorgt, der darf sich über Nachfragen zu jedem runden Jahrestag nicht wundern.
Was geschah am 10. August 1985 in Krefeld, der Heimat des damaligen Werksklubs Bayer 05 Uerdingen und vor allem: warum?
Die Bayern der zweiten Lattek-Ära waren Meister, aber kein Doublesieger, denn diesen Titel vermasselten ihnen im Mai im ersten Berliner Pokalfinale die Uerdinger. Deshalb steckte im Saisonauftakt der neuen Bundesligasaison besondere Würze, der Meister war auf Revanche gebürstet. Zumal nahezu alle Spieler die Schmach von Berlin miterlebt hatten.
Einziger Zugang auf dem Feld: der eher unscheinbare Helmut Winklhofer, nach dreijähriger Leihe aus Leverkusen zurückgeholt. Es war noch die Zeit, da es den Bundesligisten nicht an Lokalkolorit mangelte und so passte der in Fürstenzell bei Passau geborene Winklhofer gut in die Truppe, in der er sich mit Klaus Augenthaler, Hansi Pflügler oder Ludwig Kögl auf bayerisch unterhalten konnte und sich auch mit den Franken Lothar Matthäus und Norbert Eder verstand.
Aber er blieb ein Mitläufer, trotz seines Weltmeistertitels mit der U 20 anno 1981 kam er als einer der wenigen deutschen Spieler des FC Bayern, für den er in vier Jahren nur 50 Bundesligaspiele bestritt, nie in die Nähe der Nationalmannschaft.
Komparse mit großem Auftritt
Trotzdem hatte der Komparse im Starensemble des FC Bayern seinen großen Auftritt. In der 34. Minute an jenem 10. August 1985 versuchte er knapp 35 Meter vor dem eigenen Tor den Ball über den Uerdinger Larus Gudmundsson zu lupfen, der ihn sich zu weit vorgelegt hatte. Vielleicht sollte es auch ein Pressschlag werden, wie der kicker damals mutmaßte, denn wer die Bilder noch einmal anschaut, kann wahrlich keinen Lupfer erkennen.
Das aber ist auch nach 40 Jahren noch die Version von Winklhofer, der dem kicker jetzt wieder sagte: „Eigentlich wollte ich ihn leicht über seinen Fuß lupfen, hatte aber mehr Kraft als heute und der Ball schlug über Pfaff ein.“ Schon 2012 gestand er der Sport Bild: „Wenn ich den Schuss mit Absicht hätte machen wollen, wäre er mir höchstwahrscheinlich nicht geglückt.“
Jean-Marie Pfaff, belgischer Torhüter der Bayern, wähnte sich in diesem Moment wohl in einer Zeitmaschine. Bei seinem Bundesligadebüt anno 1982 in Bremen wurde er durch ein Einwurf-Tor von Uwe Reinders bezwungen, auch das war das einzige Tor des Tages und offiziell ein Eigentor, denn er hatte den Ball noch berührt.
Das Geschoss von Winklhofer hätte er gewiss auch gern berührt, aber er war genauso überrascht wie alle anderen Beobachter und stand zu weit vor dem Tor, was ihm Trainer Udo Lattek nicht vorwarf: „Wenn ein Torhüter mitspielt, dann muss er so weit vor dem Tor stehen. In diesem Fall war’s natürlich falsch, aber Pfaff trifft keine Schuld.“
Als er sein Werk entstehen sah, wurde es Helmut Winklhofer ganz mulmig. „Der geht aber weit“, dachte er während jener zwei Sekunden zwischen Schuss und Einschlag.
„Das habt ihr doch alle gesehen, oder?“
Konsterniert schaute er zu Boden, stemmte die Arme in die Hüften und wünschte sich an einen anderen Ort. Der Halbzeitpfiff brachte ihm die Erlösung, Lattek wechselte den Unglücksraben aus, denn „er war mit den Nerven total fertig. Ich habe ihn schon in der Halbzeit getröstet.“
Der alte Trainerfuchs nahm die Pleite, die durch dieses fatalste Traumtor der Bayern-Historie entstand, noch am lockersten. Auf die Szene des Spieltags angesprochen, sagte er: „Der Helmut war drauf und dran, sich einen Stammplatz zu erobern. Mit diesem hervorragenden Schuss hatte er natürlich einen äußerst unglücklichen Einstand.“ Er habe ihn dann ausgewechselt, weil er „jetzt unser Torschützenkönig ist. Ich wollte ihn schonen.“
Winklhofer war weniger amüsiert und gab an diesem Tag keine erhellenden Statements ab. Er traute sich angesichts der wartenden Reporter erst nicht aus der Kabine, knurrte auf die Frage nach dem Warum nur: „Das habt ihr doch alle gesehen, oder?“ Ludwig Kögl wurde deutlich: „Dieses Ding hat uns das Genick gebrochen.“
Winklhofer tat Buße und erschien am nächsten Tag freiwillig zum Training der nicht eingesetzten Ersatzspieler und hoffte, dass sich alles wieder beruhigen würde.
Spott und Häme legten sich nach ein paar Tagen
Tatsächlich legten sich Spott und Häme nach ein paar Tagen, es war ja noch weit vor der Zeit von Youtube, Internet, sozialen Netzwerken - und das Privatfernsehen steckte in den Kinderschuhen.
Doch ausgerechnet die biedere ARD-Sportschau sprang in die Bresche und bediente den menschlichen Hang zum Voyeurismus. Sie verletzte goldene Regeln und nahm erstmals ein Eigentor in die Auswahl zum „Tor des Monats“.
Sehr zur Freude aller Bayern-Hasser – prompt gewann es. Schadenfreude war der beste Wahlhelfer, das stand außer Frage. Pfaff und Winklhofer wurden also Mitte September ins TV-Studio zur Medaillenübergabe eingeladen, doch der vor Zorn bebende Uli Hoeneß, damals Manager, verbot es: „Verarschen können wir uns selbst. Warum sollen wir noch Salz in die Wunde streuen.“
Für die Öffentlichkeit ersannen er und Lattek eine andere Version: die Spieler müssten sich auf das bevorstehende Europapokalspiel konzentrieren. Diese wurde in der Sportschau auch so vermittelt, was ihnen den Vorwurf der Humorlosigkeit einhandelte.
Im kicker erschien ein Leserbrief: „Die beiden Verantwortlichen des FC Bayern München zeigten (wieder einmal) ihre ‚sportliche“ Einstellung und verweigerten dem Spieler mit fadenscheiniger Ausrede den Besuch der Sportschau am Sonntagnachmittag. Bleibt nur festzustellen, daß in der Bundesliga alle mit Anstand verlieren können – bis auf die Herren Lattek und Hoeneß.“
Novum blieb kein Unikum
Die ARD ließ nicht locker, Moderator Eberhard Stanjek steckte Winklhofer die Medaille bei der Weihnachtsfeier des Klubs in Leutstetten Ende 1985 zu – „und ich hab sie heute noch. Für mich war die Geschichte auch kein Problem mehr. Das war eine kleine, lustige Episode.“
Zumal, wenn man am Saisonende trotzdem Meister wird… Das Novum blieb übrigens kein Unikum: 1993 bekam auch Hertha-Verteidiger Frank Rohde eine Medaille für ein lustiges Eigentor, aber bei einem Zweitligaspiel.