Er ist der neue starke Mann an der Basis von RB Leipzig: David Wagner hat die Leitung des Nachwuchsleistungszentrums übernommen – und gibt SPORT1 sein erstes Interview in neuer Funktion.
David Wagner im Interview: "Ich weiß genau, was Kloppo will"
„Ich weiß genau, was Kloppo will“
Der enge Vertraute von Jürgen Klopp, seit dem 1. Januar dieses Jahres „Head of Global Soccer“, spricht über die Herausforderungen im Leipziger Unterbau, über den Spagat zwischen Ausbildung und Erfolg - und darüber, welche Fehler der Vergangenheit er nicht wiederholen will.
SPORT1: Herr Wagner, willkommen zurück im deutschen Fußball. Was reizt Sie an dieser Aufgabe besonders?
David Wagner: Es war ein längerer Prozess, der schon vor meiner letzten Station in Norwich begonnen hat. Ich habe mir damals öfter die Frage gestellt, wie lange ich diesen Trainerjob noch ausüben möchte. Dann kam das Angebot aus Norwich, das mich wahnsinnig gereizt hat. Nach dem Aus im Halbfinale der Playoffs habe ich den Entschluss gefasst, etwas Neues zu machen. Für mich war eines klar: Das Dasein als Vereinstrainer hat mich nicht mehr so gepackt, wie die Jahre zuvor. Wir haben mit Norwich an der Anfield Road gegen Kloppo verloren – und danach saß ich im Bus und es hat nichts mit mir gemacht, nicht so wie noch vor zehn Jahren. Da wusste ich, dass ich etwas anderes machen möchte.
Wagner hörte auf den Rat seiner Frau
SPORT1: Was kam dann?
Wagner: Ich habe viele Gespräche geführt, was es für Optionen geben könnte. Aber bei allen Anfragen hat mir irgendetwas nicht gepasst. Als die Anfrage von RB Leipzig kam, meinte meine Frau zu mir: „Also, wenn du das nicht machst, stimmt etwas nicht mit dir.“ (lacht) Da war mir klar, dass ich diesen Weg gehen möchte. Und in England war ich ja auch als „Manager“ schon mehr als nur der Cheftrainer – das hat mich also schon immer interessiert. Dann wurde Kloppo „Head of Global Soccer“ bei Red Bull. Er setzt die Leitplanken, und ich kenne diese sehr gut.
SPORT1: Das heißt?
Wagner: Der Fußball, der in Leipzig implementiert werden soll, ist genau der Fußball, den ich als Trainer immer habe spielen lassen. Ich kenne die Profile der Spieler gut und weiß, was man einer Mannschaft mitgeben muss, damit sie diese Art Fußball umsetzt. In dieser Rolle kommen viele Aufgaben zusammen. Und dann kam Marcel Schäfer (Geschäftsführer Sport RB Leipzig, Anm. d. Red.) auf mich zu und sagte, dass man das mit mir gemeinsam angehen möchte. Nach den ersten sechs Wochen kann ich sagen: Ich bin superhappy – ich vermisse nichts.
SPORT1: War es denn so, dass Klopp Sie angerufen hat und fragte: „Hast du Bock darauf?“
Wagner: Nein, das war Marcel Schäfer. (lacht) Kloppo, Marcel und ich haben uns dann nochmal getroffen.
„15 Festplatten mit Trainer-Know-how aus 20 Jahren“
SPORT1: Was machen Sie genau?
Wagner: Das reicht von Kaderplanung über Budgetplanung bis zur Koordination der einzelnen Abteilungen. Ich darf mit vielen Menschen Ideen entwickeln. Natürlich haben einige hier viel mehr Erfahrung als ich, aber in England war ich auch schon für verschiedene dieser Bereiche zuständig und ich kann mich sicherlich schnell reinarbeiten. Momentan verschaffe ich mir einen Überblick und schaue mir viele Trainingseinheiten an. Ich möchte auch unsere Trainer weiterentwickeln. Ich habe ihnen alle meine 15 Festplatten mit meinem Trainer-Know-how aus 20 Jahren zur Verfügung gestellt. Ich bin ein sehr kommunikativer Mensch, und der Austausch mit den Trainern und den anderen Mitarbeitern in der Akademie ist mir extrem wichtig.
SPORT1: Aber können Sie das alles? Budgetplanung gehört nicht unbedingt zum Tagesgeschäft eines Trainers. Sie standen vor ein paar Monaten noch auf dem Rasen. Wie geht das?
Wagner: Das klingt theoretischer, als es in der Praxis ist. Ich habe super Mitarbeiter und bekomme die Endversionen vorgestellt. Ich möchte die Akademie führen wie eine Fußballmannschaft. Am Ende geht es um Menschen, die man von einer Idee überzeugen muss. Es geht mir um Kommunikation, Klarheit und Struktur. Es war immer so in meinen Klubs: Wenn dort ein gutes Miteinander herrschte und alle Bock hatten, dann wurde es gut.
SPORT1: Wie groß war der Einfluss von Jürgen Klopp?
Wagner: Da er die Spielphilosophie vorgibt, war das ein großer grüner Haken, den ich dahinter gemacht habe. Kloppo mag den gleichen Fußball wie ich. Da fühle ich mich sicher, da bin ich zu Hause und stehe voll dahinter. Natürlich spielt es eine Rolle, dass wir uns schon lange kennen und schätzen. Ich weiß genau, was Kloppo will. Mein erster Ansprechpartner ist aber nicht Kloppo, sondern Marcel Schäfer.
SPORT1: Wie nehmen Sie Jürgen Klopp in seiner neuen Funktion wahr?
Wagner: Auch wenn wir uns sehr gut und schon lange kennen, stellt er hohe Ansprüche. Er will, dass etwas passiert – und das ist völlig legitim. Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Er brennt für seinen Job und möchte bei vielen Themen eingebunden sein und man spürt, dass er sich richtig gut fühlt mit dem, was er tut. Seit er Head of Global Soccer bei Red Bull ist, sagen viele Mitarbeiter: „Es hat eine neue Zeitrechnung begonnen.“ Er versucht, alles miteinander zu vernetzen und es ist ein sehr spannender Moment, jetzt dabei zu sein.
„Ziemlich beste Freunde können sich auch mal die Meinung sagen“
SPORT1: Es gibt den Film „Ziemlich beste Freunde“. Wird Ihre Freundschaft jetzt auf die Probe gestellt, wenn Klopp nicht alles gefällt, was Sie machen?
Wagner: Nein. Kloppo und ich bleiben immer Freunde. Wie gesagt: Er ist nicht mein erster Ansprechpartner. Und ich kenne diese Konstellation schon aus Dortmund, als ich vier Jahre lang Trainer der zweiten Mannschaft war – da war es deutlich enger. Das ist überhaupt kein Problem. Ziemlich beste Freunde können sich auch mal die Meinung sagen – und wissen trotzdem, dass es weitergeht.
SPORT1: Was war Ihre wichtigste Frage?
Wagner: Ob sie wirklich wissen, worauf sie sich einlassen, wenn ich das mache. Ich bin in einem Alter, in dem ich meinen eigenen Kopf und meine eigene Persönlichkeit habe. Dazu komme ich über die menschliche, empathische Schiene, rede gern und nehme die Leute mit. Ich will das auf meine Art machen – und genau deshalb wollte man mich.
SPORT1: Welche Erfahrungen und Impulse aus Ihren bisherigen Trainerstationen bringen Sie jetzt im Nachwuchsbereich ein?
Wagner: Wie schon gesagt: Überall, wo ich war, war es dann gut, wenn folgende drei Dinge zusammengepasst haben – ein guter Trainer, ein gutes Scouting und eine gute Vereinskultur. Alle müssen den gleichen Hunger auf eine gemeinsame Idee und Vision haben, verbunden mit viel Energie.
SPORT1: Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf – sportlich, pädagogisch, organisatorisch?
Wagner: Wir haben ein riesiges Entwicklungspotenzial – das ist kein Geheimnis. Am Ende steht die Frage: Wie viele Akademie-Spieler schaffen es in die erste Mannschaft?
„Die bittere Wahrheit, der wir uns stellen müssen“
SPORT1: Noch hat es kein Talent aus dem eigenen Nachwuchs dauerhaft zu den Profis geschafft. Wie wollen Sie das ändern?
Wagner: Das stimmt – die Durchlässigkeit war in den vergangenen zehn Jahren nicht besonders gut. Das ist die bittere Wahrheit, der wir uns stellen müssen. Wir müssen es ab sofort besser machen. Bei RB Leipzig haben wir unglaubliche Möglichkeiten – das kann aber auch dazu verleiten, sich in zu vielen Themen zu verlieren und den Fokus zu verlieren. Wir müssen wieder wissen, worum es in einer Akademie geht: Der Mensch, der Sportler, der Fußballer steht im Mittelpunkt. Etwas mehr Einfachheit – das ist das Leitmotiv. Und Menschlichkeit. Es gibt immer Spielraum für Verbesserungen. Mein Ziel ist, dass wir in zehn Jahren anders über die Akademie sprechen als in den vergangenen zehn Jahren. Das ist mein Anspruch.
SPORT1: Fehlte es in der Vergangenheit an Menschlichkeit?
Wagner: Am Ende sind wir in einem Business. Aber man kann das auch mit einer gewissen Wärme und Empathie gestalten. Wenn du in zu vielen Projekten festhängst, verlierst du den Fokus. Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, die richtige Basis zu schaffen, dann kann man sich auch mit anderen Dingen beschäftigen.
SPORT1: RB Leipzig verzichtet seit Jahren bewusst auf eine zweite Mannschaft. Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung? Könnte ein Zwischenschritt im Männerbereich – wie ihn andere Klubs wieder einführen – nicht hilfreich sein?
Wagner: Richtig. RB Leipzig hat sich in der jüngeren Vergangenheit gegen eine Einführung entschieden. Wichtig ist, dass über allem das Ziel steht, die Durchlässigkeit zum Profibereich zu erhöhen. Es gibt Gestaltungsspielraum, und wir müssen gute Entscheidungen treffen. Dafür bin ich hier.
SPORT1: Welche Rolle spielt dabei die aktuelle Situation der Profis? Keine internationalen Spiele, ein Umbruch im Kader – ist das eine Chance für Sie und für junge Spieler?
Wagner: Für mich persönlich ist das nicht automatisch der richtige Moment, nur weil Europa verpasst wurde. Es ist gut, dass auch Ole (Ole Werner, Cheftrainer der ersten Mannschaft, Anm. d. Red.) neu anfängt. Wir stehen in einem guten Austausch. Dass wir beide neu dabei sind, ist sicherlich von Vorteil.
SPORT1: Lassen Sie uns über Viggo Gebel sprechen. Er sollte als gebürtiger Leipziger ein Aushängeschild werden. Seit Marco Rose nicht mehr da ist, ist auch Gebel von der Bildfläche verschwunden. War es eine Frage der Einstellung? Man hörte von Extravaganz – eine neue Frisur im Xavi-Stil inklusive. Wie ist der aktuelle Stand bei ihm?
Wagner: Ich kenne Viggo seit fünf Wochen. Das mit der angeblichen Extravaganz würde ich sofort knallrot streichen. Das ist ein richtig guter Junge, der klar im Kopf ist. Er hat einen Großteil der Vorbereitung bei Ole mitgemacht und auch schon in der U19 gespielt. Er will sein Abitur machen und würde gerne Teil des Profikaders sein. Aber auch bei der U19 konnte er eine gute Vorbereitung absolvieren. Viggo muss weiterhin hungrig und geduldig bleiben.
„Ich habe so ziemlich alles gesehen“
SPORT1: Wenn Sie auf Ihre Trainerkarriere zurückblicken, was nehmen Sie daraus für Ihre neue Rolle mit?
Wagner: Ich habe so ziemlich alles gesehen. Ich war U17- und U19-Trainer in Hoffenheim, habe die zweite Mannschaft des BVB trainiert, im In- und Ausland eine erste Mannschaft übernommen, habe Regionalliga, Jugend-Bundesliga, Premier League und Champions League erlebt. Ich habe also vielfältige Erfahrungen gesammelt. Für das, was wir in Leipzig vorhaben, kann ich extrem viel einbringen, damit unser Nachwuchs genau das verkörpert, was wir wollen: viel Hunger, Gier und Lust auf dieses Spiel.
SPORT1: Bekommt die Nachwuchsarbeit gerade jetzt in Leipzig eine neue Bedeutung, um den Klub dauerhaft nach vorne zu bringen?
Wagner: Die Wertigkeit und Wichtigkeit war schon immer da – nicht nur bei uns, sondern in jedem Land. In Huddersfield, Norwich oder Bern gab es nicht viele andere Themen. In Leipzig ist es zuletzt nicht optimal gelaufen. Jetzt ist es Zeit für Veränderungen – dafür bin ich da. Das Setup ist herausragend. Wir wollen die beste Akademie in Deutschland werden.
SPORT1: Kehren Sie nicht mehr auf die Trainerbank zurück?
Wagner: Ich kann mir das nicht mehr vorstellen. Jeder Tag ist jetzt neu, spannend und aufregend – das war es als Trainer zuletzt nicht mehr. Ich mache etwas Neues, und das finde ich super.
SPORT1: Was ist Ihr großer Traum?
Wagner: Mein großer Traum ist es, einen Spieler aus unserer Akademie nachhaltig in die erste Mannschaft zu integrieren, der über Jahre hinweg in der Bundesliga spielt und eine echte Rolle übernehmen kann. Das ist eine Herausforderung, die in über zehn Jahren noch nicht erreicht wurde. Genau deshalb bin ich hier. Zudem ist es für mich ein großes Privileg, beruflich total angekommen zu sein. Auch meine Töchter und meine Frau sind sehr glücklich damit. Sie war übrigens nie besonders begeistert davon, dass ich diesen Trainer-Zirkus so lange mitgemacht habe. (lacht)