Für den Hamburger SV schließt sich am heutigen Sonntag ein Kreis. Der letzte Verein, gegen den er vor sieben Jahren in der Bundesliga spielte, ist auch der erste nach der Rückkehr. An den 2:1-Heimsieg im Mai 2018 gegen Borussia Mönchengladbach haben sie naturgemäß schlechte Erinnerungen am Volkspark, denn er reichte ja nicht, um den „Dino“ weiterleben zu lassen und schwarze Rauchwolken kamen aus dem Fanblock, vor dem Polizei aufmarschierte.
Ein legendär tragischer Held im HSV-Tor
Ein tragischer Held im HSV-Tor
Rein sportlich aber hat es Schlimmeres gegeben bei diesem zum 101. Mal stattfindenden Duell, das vor 38 Jahren zum Scheideweg für zwei Torhüterkarrieren wurde.
HSV-Umbruch ohne Netzer und nach Faustschlag
Dass die Saison 1987/88 keine einfache werden würde, wussten alle beim HSV. Die ruhmreiche Happel-Ära endete, der Meister-Trainer aus Wien ging nach sechs Jahren auch als Pokalsieger. Mit ihm der Mann, der ihn geholt hatte: Manager Günter Netzer. Den ersetzte der bisherige Kapitän und Spielmacher Felix Magath.
Und im Tor musste nach seinem Faustschlag gegen Bayerns Jürgen Wegmann im Juli beim Supercup auch ein Nachfolger für den suspendierten Uli Stein gefunden werden.
Darum kümmerte sich der neue Trainer Josip Skoblar persönlich, der Kroate lotste seinen Landsmann Mladen Pralija an die Elbe. Er pries ihn als „besten Torwart Osteuropas“, doch schon seine Premiere beim 0:6 in München geriet zum Fiasko.
Nicht an jedem Bayern-Tor trug er Schuld, aber Sicherheit strahlte er nie aus. Er zeigte Schwächen beim Rauslaufen, ließ einfache Bälle fallen und war das reinste Nervenbündel.
8:2: Rekordergebnis zwischen Borussia und dem HSV
So war es auch am 10. Spieltag am Bökelberg: Borussia Mönchengladbach nahm den Pokalsieger und Vizemeister HSV an jenem 26. September 1987 mit 8:2 auseinander, noch immer ist es das Rekordergebnis dieser Paarung. Dabei hatte Bruno Labbadia die Gäste noch in Führung geschossen.
Doch der nach einem Zusammenprall (Kopf an Kopf) mit Hans-Jörg Criens an einer Augenbraue schon nach drei Minuten verletzte Mladen Pralija war nun nicht nur ein Nervenbündel, sondern auch nicht mehr ganz Herr seiner Sinne und kassierte innerhalb von vier Minuten drei Tore durch Uwe Rahn, Christian Hochstätter und Dietmar Beiersdorfer, der ins eigene Tor traf.
Das Fachblatt kicker kreidete Pralija zwei dieser Gegentore an, das Hamburger Abendblatt immerhin eines. Am besten kam Pralija bei sich selbst weg: „Ich konnte keinen Ball halten“, schwor der an der Stirn bandagierte Keeper.
Trainer Skoblar nahm ihn dennoch nach 27 Minuten hinaus. Später wurde eine leichte Gehirnerschütterung festgestellt.
„Bedauernswert in jeder Beziehung“
Es schlug die Stunde seines erst neunzehnjährigen Vertreters Richard Golz, der bei seinem zweiten Bundesligaeinsatz das Mitleid der Beobachter erregte.
Er kassierte nach der Pause noch fünf Tore gegen entfesselte Borussen, die nach dem Motto „Jeder Schuss ein Treffer“ zu einem leichten Erfolg kamen. Wieder Rahn (51.), Hans-Jörg Criens (74., 76.), Michael Frontzeck (86.) mit einer abgerutschten Flanke und Joker Günther Thiele (88.) machten das Spiel zum Schützenfest.
Golz war nicht weniger nervös als sein Vorgänger und bekam im kicker eine noch schlechtere Note (5). Pralija kam mit einer 4 davon und im Abendblatt stand in der Einzelkritik zu lesen: „Bedauernswert in jeder Beziehung.“
Teile der Presse und sogar Co-Trainer Gerd-Volker Schock gaben weniger den unglücklichen Keepern die Schuld am HSV-Debakel, sondern Skoblar. Der wechselte nach 71 Minuten beim Stand von 4:2 Stürmer Mario Laubinger für Manndecker Carsten Kober ein und „die Abwehr war nun offen wie ein Scheunentor“ (kicker).
Borussen-Libero Hans-Günter Bruns analysierte sachlich: „Beim Stand von 3:2 lag das 3:3 in der Luft. Wir sollten dieses Resultat nicht überbewerten.“ Sein Trainer Wolf Werner fand: „Der HSV wurde zu hoch geschlagen, lange war er ebenbürtig.“ Kaum zu glauben bei solch einem Ergebnis. Nur einmal kassierte er mehr Tore in der Bundesliga – 26 Jahre später beim 2:9 in München.
„Tragikomischster Torwart der Bundesligageschichte“
Nach dem 10. Spieltag 1987/88 standen satte 30 Gegentore zu Buche, mit Abstand die meisten in der Liga und es rumorte kräftig am Rothenbaum.
In den Medien setzte eine Debatte um die Rückkehr von Uli Stein, der noch unter Vertrag stand und sich privat fit hielt, ein. „Es ist nicht mein Problem. Das Präsidium hat Stein beurlaubt, jetzt muss das Präsidium auch handeln“, sagte Skoblar lapidar.
Manche deuteten das schon als Absetzbewegung von seinem Landsmann, aber Manager Magath („Das Thema Stein ist trotz der Torflut gegen uns kein Thema und wird auch keines mehr werden“) erstickte die Debatte im Keim und feuerte lieber vier Wochen später den Trainer – der nahm seinen Torwartfehlgriff gleich wieder mit zu Celik Zenica.
Erst neulich erzählte Pralija, der heute im Netz als „tragikomischster Torwart der Bundesligageschichte“ verunglimpft wird, dem kicker: „Vom ersten Tag an war die Situation für mich völlig konfus. Ich hatte keine Wohnung, meine Frau Sonia war noch in Split, bekam wenig später unseren Sohn Ivan. Ich war allein in Hamburg, keiner vom Verein half mir und ich verstand die Sprache nicht.“
Weshalb er wohl gegen seine frühe Heimkehr nach nur 14 Bundesligaspielen gar nicht so viel einzuwenden hatte. Golz hingegen rückte durch diese Personalie nach einer kurzen Wartezeit hinter dem reaktivierten Veteranen Jupp Koitka zur neuen Nummer eins des HSV auf, für den er in zehn Jahren 352 Bundesligaspiele bestritt.
Epilog: Uli Stein kam dann doch zum HSV zurück – aber erst 1994.