Vereinstreue im Profifußball ist selten geworden. Doch beim 1. FC Köln entsteht ab und an der Eindruck, als wäre dieses „Jeföhl“ nicht nur so dahingesagt. Jan Thielmann ist das beste Beispiel dafür. Der 23-Jährige spielt seit seinem 15. Lebensjahr mit dem Geißbock auf der Brust. Gerade die letzten Jahre waren turbulent.
Euphorie beim 1. FC Köln: "Jeder Fußballer will nach Europa"
„Jeder Fußballer will nach Europa“
Erst kürzlich verlängerte er seinen Vertrag bei „seinem“ FC bis 2028 - eine hochemotionale Herzensangelegenheit. Unter Trainer Lukas Kwasniok soll er eine Führungsrolle einnehmen.
Im Interview mit SPORT1 spricht Thielmann über die große Euphorie im Verein, die beachtliche Frühform des FC - und auch über Europa. Außerdem verrät er, auf wen er sich bei seiner Rückkehr in die Bundesliga am meisten freut.
SPORT1: Nach dem 4:0-Testspielsieg gegen Atalanta Bergamo lautete die Schlagzeile: „Thielmann-Gala.“ Liest man gerne, oder?
Jan Thielmann: Natürlich. Lieber solche Schlagzeilen als andere. Aber Ball flach halten. Ich habe jetzt einmal doppelt getroffen (lacht).
SPORT1: Was macht Sie aktuell denn so stark? Es scheint, als passen Sie perfekt zur Art und Weise, wie Ihr neuer Trainer Lukas Kwasniok Fußball spielen lassen will.
Thielmann: „Das Scheinwerferlicht überlasse ich anderen“
Thielmann: Der Fußball, den der Trainer spielen lassen will, liegt mir. Ich mag die Intensität und auch die aktive Art, Fußball zu spielen. Besser als immer nur abzuwarten. Damit wollen wir für Überraschungsmomente im Spiel sorgen.
SPORT1: Sie haben gerade erst Ihren Vertrag verlängert. Das Video der Verlängerung war emotional. Bei der Saisoneröffnung wirkten Sie aber so, als wäre es Ihnen schon fast unangenehm.
Thielmann: Auf so einer großen Bühne zu stehen und sich abfeiern zu lassen, das ist nicht so meins. Das sollen andere machen, ich arbeite lieber im Hintergrund. Das große Scheinwerferlicht überlasse ich gerne anderen.
SPORT1: Dennoch: Wie emotional war es für Sie? Immerhin spielen Sie seit Ihrem 15. Lebensjahr für den FC.
Thielmann: Das bedeutet mir unglaublich viel. Der FC ist mein Verein. Das hat man hoffentlich schon über die letzten Jahre gemerkt. Seit meiner Kindheit und seitdem ich Fußball liebe, bin ich FC-Fan.
„Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht“
SPORT1: Haben Sie nie über einen nächsten Schritt, vielleicht auch einen Vereinswechsel, nachgedacht?
Thielmann: Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht. Als Fußballer will man immer höchstmöglich und gleichzeitig so viel wie möglich spielen. Ich habe mir das genau überlegt und bin zu der Entscheidung gekommen, dass ich hier die beste Perspektive habe.
SPORT1: Der Verein traut Ihnen eine wichtige Führungsrolle zu. Wie sehen Sie Ihre Situation?
Thielmann: Die Bezeichnung Führungsrolle nehme ich gerne an. Natürlich macht es Spaß, Verantwortung zu übernehmen. Auch in Zukunft ist es mir wichtig, dass mein Wort in der Kabine Gewicht hat - und es freut mich, wenn ich positiven Einfluss auf die Fans, die Stadt und meine Mitspieler habe.
Thielmann befürwortet Konkurrenzkampf in Köln
SPORT1: Ihr Verein hat ordentlich investiert, viele neue Leute sind dazugekommen. Der Konkurrenzkampf ist hoch. Was sind Ihre Ansprüche? Immer zu spielen?
Thielmann: Ich muss immer 90 Minuten spielen (lacht). Nein, Spaß. Ich bin großer Fan von Konkurrenzkampf. Nur der pusht einen ans Maximum und macht die Mannschaft besser. Natürlich möchte jeder so viel spielen wie möglich. Und ich setze alles daran. Aber es ist auch immer gut, Mitspieler zu haben, die auf der Bank sitzen und mit den Hufen scharren. Hoffentlich darf ich am Sonntag schon ran. Wenn nicht, bin ich derjenige, der mit den Hufen scharrt.
SPORT1: Wie ist Ihr Eindruck vom Kader? Die Neuverpflichtungen von beispielsweise Ragnar Ache und Isak Johannesson schlugen ja durchaus hohe Wellen.
Thielmann: Es weht auf jeden Fall ein frischer Wind - und damit verbunden sind natürlich Veränderungen im Kader. Das war in den Jahren zuvor nicht so (Köln wurde mit einer eineinhalbjährigen Transfersperre belegt; Anm. d. Red.). Wir haben viel Qualität dazubekommen. Jeder hat sich gut eingefügt.
„Köln ist dafür bekannt, nach den Sternen zu greifen“
SPORT1: Unter den Fans herrscht eine riesige Euphorie. Natürlich auch wegen des 4:0-Siegs gegen Bergamo.
Thielmann: Köln ist dafür bekannt, nach den Sternen zu greifen – vor allem nach Siegen. Wir können das aber gut einordnen. Trotzdem ist mir Euphorie deutlich lieber als schlechte Stimmung. Das Gefühl wollen wir den Fans auch auf keinen Fall nehmen, sondern dafür sorgen, dass es weiter anhält.
SPORT1: Darf man in Köln von mehr als dem Klassenerhalt träumen?
Thielmann: Das überlasse ich den Fans.
Thielmann freut sich auf Wiedersehen
SPORT1: Nach einem Jahr Pause spielt der 1. FC Köln wieder Bundesliga. Auf was freuen Sie sich am meisten?
Thielmann: Vor allem auf die Jungs aus der U21-Nationalmannschaft. Die spielen fast alle in der Bundesliga. Sich mit denen in den größten Stadien zu messen, wird großartig. Das macht einfach Spaß.
SPORT1: Wenn wir schon beim DFB sind: Sie haben nahezu alle Jugendmannschaften durchlaufen - meist als rechter Außenverteidiger. Da nun Joshua Kimmich wieder ins Mittelfeld rücken soll, wäre ein Platz frei …
Thielmann: Erst Europa, jetzt die Nationalmannschaft? (lacht) Nein, im Ernst: Die Nationalmannschaft ist für mich wahnsinnig weit weg. Wir sind gerade erst aufgestiegen. Da gibt es schon sehr viele Bundesligaspieler, die mir da um einiges voraus sind. Ich mache erstmal hier meine Hausaufgaben.
„Das Spiel habe ich direkt in den Papierkorb geworfen“
SPORT1: Vor dem Bundesliga-Start bekommt es Köln in der ersten Pokalrunde mit dem Drittligisten Jahn Regensburg (Sonntag, 15.30 Uhr im LIVETICKER) zu tun. In der vergangenen Saison war erst im Viertelfinale gegen Bayer 04 Leverkusen Schluss (2:3 n.V.). Haben Sie sich diesen Krimi im Nachhinein eigentlich nochmal angeguckt?
Thielmann: Nein, das habe ich mir nicht wieder angeschaut. Das Spiel habe ich direkt in den Papierkorb geworfen. Aber der DFB-Pokal macht echt viel Spaß. Da können eben auch die vermeintlich Kleinen für eine Überraschung sorgen. So wie wir im vergangenen Jahr. Ich glaube, wir können auch in dieser Saison wieder eine gute Rolle spielen.
„Jeder Fußballer will nach Europa“
SPORT1: Und es ist der kürzeste Weg nach Europa … - Spekulieren Sie darauf?
Thielmann: Jeder Fußballer will nach Europa. Wir waren schon mal da. Unser Fokus liegt aber klar auf der Bundesliga. Wir müssen erstmal da Punkte sammeln.
SPORT1: Jonas Hector ist ein Musterbeispiel für Vereinstreue, hat 13 Jahre für den Klub gespielt. Können Sie in Köln ein zweiter Hector werden?
Thielmann: Ich bin ganz weit davon entfernt, mich mit Jonas zu vergleichen. Das war und ist eine Bilderbuchkarriere. Mal gucken, was bei mir in den nächsten zwei, drei Jahren passiert. Hoffentlich ganz viel Positives mit dem FC.