Kaum jemand verkörpert Leipzig so sehr wie Sebastian Krumbiegel. Und der Sänger von „Die Prinzen“ nimmt kein Blatt vor den Mund – weder, wenn es um seinen Herzensverein RB Leipzig geht, noch, wenn er grundsätzliche Dinge anspricht.
Kritik an RB Leipzig? "Eine rote Brause ist kein Panzer und keine Bombe"
„Kein Mensch kann so viel mehr wert sein“
Vor dem Bundesliga-Auftakt von RB Leipzig beim FC Bayern München am Freitag (ab 20.30 Uhr im LIVETICKER) spricht der Leipziger Musiker, der im Herbst auf „Solo-am-Piano“-Tour ist (u.a. 14. September Bad Elster, 11. Oktober Arnstadt, 24. Oktober Berlin), bei SPORT1 über Leipzigs neuen Trainer Ole Werner, Jürgen Klopp - und blickt auch kritisch auf den BVB.
SPORT1: Herr Krumbiegel, RB Leipzig muss in der kommenden Saison erstmals auf den internationalen Wettbewerb verzichten. Wie bitter ist das für die Fans und für die Stadt?
Sebastian Krumbiegel: Natürlich ist das für viele ein Dämpfer. Wenn man sich einmal an die Champions-League-Abende gewöhnt hat – mit der ganzen Stimmung in der Stadt und dem guten Gefühl, gegen die Großen Europas anzutreten –, dann tut es weh, wenn das wegfällt. Aber man darf nicht vergessen, wo der Klub herkommt. RB Leipzig hat sich wieder einen stolzen Platz in der Bundesliga erarbeitet – und das ist keine Selbstverständlichkeit. Manchmal ist es wichtig, einen Schritt zurückzugehen, um sich neu zu sortieren. Am Ende zählt, dass Mannschaft und Fans zusammenhalten. Ich bin gespannt, ob das Stadion wieder voll wird. Sicher gab es auch viele sogenannte Erfolgsfans, die dann eben nicht mehr regelmäßig kommen. Aber der Stolz auf Leipzig als Sportstadt sollte nicht von einer Saison abhängen.
Zweifel an Ole Werner: „Ob das zu RB Leipzig passt, werden wir sehen“
SPORT1: Sie haben im Vorgespräch Zweifel geäußert, ob Ole Werner als neuer Trainer zu RB Leipzig passt. Warum?
Krumbiegel: Erstmal ist es schwierig, wenn ich als Fan mir da ein Urteil erlaube. Aber ich habe auch mit meinem Freund Arnd Zeigler (Werder-Stadionsprecher und Journalist, Anm. d. Red.) darüber gesprochen. Okay, er sieht RB Leipzig ohnehin viel kritischer als ich, aber er kennt Ole Werner gut und hat sich über diesen Wechsel auch gewundert. Ole Werner hat bei Werder Bremen großartige Arbeit geleistet. Ob seine Philosophie und sein Stil jedoch zu RB Leipzig passen, werden wir sehen. Er verkörpert nicht unbedingt die klassische RB-Spielphilosophie – diese Symbiose aus Gegenpressing, schnellem Umschalten und klarer, aggressiver Struktur. Diese Handschrift war unter Ralf Rangnick prägend. Bei Werner sehe ich eher Ballbesitzorientierung und strukturierten Aufbau – eine gute Qualität, aber eben nicht das, wofür RB lange stand. Aber – noch mal – das sind meine Gedanken als Außenstehender. Ich maße mir keinesfalls an, da jemandem etwas vorzuschreiben. Ich wünsche ihm von Herzen alles Gute und gebe ihm auf jeden Fall eine faire Chance (lacht).
Vereinsstruktur grenzwertig? „Ja, aber ...“
SPORT1: Sie nannten die Vereinsstruktur von RB Leipzig in einem SPORT1-Interview im November 2016 „grenzwertig“. Inzwischen haben sich die Strukturen und das Umfeld bei RB durch die neuen Rollen von Jürgen Klopp als „Head of Global Soccer“ und Mario Gómez als Technischer Direktor weiterentwickelt. Wie sehen Sie das heute?
Krumbiegel: Ich war und bin weiterhin großer Sympathisant von RB Leipzig – schließlich bin ich Fan der ersten Stunde, als wir noch in der 4. Liga gespielt haben. Aber natürlich bleibe ich, gerade als Leipziger, auch kritisch, besonders wenn etwas nicht rund läuft.
SPORT1: Finden Sie die Vereinsstruktur auch heute noch grenzwertig?
Krumbiegel: Ja. Damals meinte ich vor allem die geringe Zahl stimmberechtigter Mitglieder und die enge Bindung an Red Bull. Dieser Punkt bleibt nach wie vor berechtigt, auch wenn sich intern einiges professionalisiert hat. Die Struktur ist sicher nicht vergleichbar mit dem klassischen 50+1-Modell der Bundesliga. Aber die Frage ist: Funktioniert der Verein – und spiegelt er die Stadt wider? Damit bin ich – trotz aller Kritik – im Großen und Ganzen einverstanden.
Klopp? „Sein Ruf kann dem Verein guttun“
SPORT1: Wie beurteilen Sie die neuen Rollen von Jürgen Klopp und Mario Gómez?
Krumbiegel: Beide bringen Gewicht und Expertise mit. Gómez ist als Technischer Direktor tief im Red-Bull-Kosmos verankert und an Schlüsselentscheidungen beteiligt. Klopp als „Head of Global Soccer“ gibt dem Ganzen Strategie, Vision und Glaubwürdigkeit. Sein Ruf als identitätsbildender Trainer kann dem Verein guttun. Natürlich bleibt die Kritik bestehen: Wenn man sich rein auf ein Sponsoringmodell stützt, stellt sich weiterhin die Frage nach echter Vereinsdemokratie.
SPORT1: Wie fällt Ihr Fazit zur aktuellen Entwicklung von RB Leipzig aus?
Krumbiegel: Insgesamt sehe ich die Entwicklung durch Klopp und Gómez als Schritt in die richtige Richtung. Sie liefern Führungsstärke, Professionalität und eine langfristige Ausrichtung. Solange RB für Leipzig steht – und nicht nur für ein Sponsoringkonzept –, bleibe ich optimistisch.
„Eine rote Brause ist kein Panzer und keine Bombe“
SPORT1: Wie passt das zu Ihrer Einschätzung des „Konstrukts RB“ – und Ihrer Aussage, dass Sie verstehen, warum Leute wie Friedrich Küppersbusch Borussia Dortmund den Rücken kehren und zu Rot-Weiss Essen wechseln?
Krumbiegel: Das ist ein komplexes Thema. Außerdem hatte Friedrich Küppersbusch einen Grund, den ich nachvollziehen kann. Aber erstmal zu RB Leipzig: Ich verstehe die Skepsis gegenüber der RB-Struktur – ein Verein, der von Red Bull dominiert wird, mit wenig demokratischer Tradition, dafür aber großem finanziellen Rückhalt. Das ist nicht das klassische Fußballbild. Aber es ist in meinen Augen etwas anderes als beim BVB. Wenn dieser Sponsorendeals eingeht, die einem unpassend erscheinen – etwa aus der Rüstungsindustrie –, und Leute wie Friedrich Küppersbusch deshalb ihrem Herzensverein den Rücken kehren, kann ich das verstehen. Viele suchen nach Alternativen. Dass man sich dann einem eher traditionellen, regionalen Klub wie RWE zuwendet, ist das nachvollziehbar. Das drückt ein Bedürfnis nach Tradition und Werteorientierung im Fußball aus. In Leipzig wäre das Chemie Leipzig – ein extrem cooler Traditionsverein. Aber eine rote Brause ist eben kein Panzer und keine Bombe.
SPORT1: Trotzdem wünschen Sie sich, dass Ihr Verein sportlich erfolgreich ist – wie passt das zusammen?
Krumbiegel: Es klingt widersprüchlich, aber für mich ist es das nicht. Ich bin Leipziger, ich liebe meine Stadt und mag diesen Verein – auch wenn er anders ist. Ich will guten Fußball sehen, Erfolg im Landespokal, Europa, vielleicht wieder Champions League. Ich will, dass dieses Modell weiterentwickelt wird – aber mit Augenmaß. Wachstum mit sportlicher Substanz und Identifikation. Das ist mein Wunsch für die neue Saison.
Yussuf Poulsen? „Mehr als nur ein Spieler“
SPORT1: Wie traurig sind Sie eigentlich, dass Yussuf Poulsen künftig für den HSV stürmen wird? Er gilt in Leipzig als Vereinslegende.
Krumbiegel: Ja, das ist schon ein besonderer Moment. Yussi war von Anfang an dabei. Er hat den Weg von der 3. Liga bis in die Champions League mitgemacht – das ist einzigartig. Für viele Leipziger Fans ist er mehr als nur ein Spieler, er steht für Treue, Bodenständigkeit und Identifikation. Natürlich schmerzt es, wenn so eine Ikone geht. Aber man muss respektieren, wenn er noch einmal ein neues Kapitel aufschlagen möchte. In unseren Herzen bleibt er auf jeden Fall ein Roter Bulle – egal, wo er in Zukunft seine Tore schießt.
„Das wirkt schon fast grotesk“
SPORT1: Ihr Song „Ich wär so gerne Millionär“ hat Anfang der 1990er-Jahre ironisch mit dem Thema Geld gespielt. Heute verdienen Spieler im Profifußball 20 Millionen im Jahr, Ablösesummen liegen bei über 100 Millionen Euro. Was denken Sie da?
Krumbiegel: Einerseits freue ich mich für die Sportler, dass ihr Talent so wertgeschätzt wird. Andererseits finde ich die Relationen völlig verrückt. Kein Mensch kann fußballerisch so viel mehr wert sein als ein Arzt, eine Krankenschwester oder ein Lehrer. Beim besten Willen nicht.
SPORT1: Und wie stehen Sie zum Thema Handgelder und Bonuszahlungen?
Krumbiegel: Das wirkt schon fast grotesk. Da reden wir von Summen, die ein normaler Mensch in seinem ganzen Leben nicht verdienen wird. Ich frage mich schon, ob wir als Gesellschaft hier die richtigen Werte setzen.
SPORT1: Hat sich der Blick des Publikums auf Geld verändert, seit Ihr Song veröffentlicht wurde?
Krumbiegel: Ich glaube schon. Früher war es eher ein Traum, heute ist es für viele ein Ärgernis. Wenn man hört, was ein Spieler in einer Woche verdient, während andere um den Mindestlohn kämpfen, wächst der Unmut. Und das zu Recht.
„Am Freitag sind wir geschiedene Leute“
SPORT1: Die neue Bundesliga-Saison steht vor der Tür, und Ihre Leipziger beginnen gleich beim FC Bayern. Wie fühlen Sie sich vor diesem Auftaktspiel?
Krumbiegel: Mein Bruder ist seit unserer Kindheit Bayern-Fan – ich nicht. Am Freitag sind wir geschiedene Leute (lacht).
SPORT1: Und wie geht das Spiel aus?
Krumbiegel: Ich wäre mit einem Remis schon zufrieden. Der FC Bayern war lange das Maß aller Dinge. Aber gerade ist viel in Bewegung, und ich bin sehr gespannt. Wenn du gleich im ersten Saisonspiel gegen den Rekordmeister ran musst, kann das ein Vorteil sein. Letzten Samstag, im sogenannten Supercup, haben die Bayern knapp gegen den VfB Stuttgart gewonnen. Ole Werner hat sich ganz sicher genau angeschaut, wo die Schwachstellen der Münchner sind. Vielleicht sorgt das ja dafür, dass ich mir am Freitag mit meinem Bruder in den Armen liege und wir uns beide freuen können – okay, ich vielleicht noch ein kleines bisschen mehr…