Auf und ab geht es als Fußballer immer - Merlin Röhl weiß ein Lied davon zu singen. Im Verein war seine vergangene Saison von diversen Verletzungen überschattet. Dennoch konnte er sich am Ende mit dem SC Freiburg über den Einzug in die Europa League freuen. Bei der U21-EM war er gegen Italien in der 117. Minute mit dem Tor zum 3:2 der Held. Sechs Tage später im Finale gegen England schrammte er haarscharf daran vorbei, als er in der Nachspielzeit der Verlängerung den Ball an die Latte donnerte.
Merlin Röhl vom SC Freiburg exklusiv: Der etwas andere Bundesliga-Profi
Röhl: „Geprägt von Fassungslosigkeit“
Röhl wirkt dabei nicht wie jemand, der sich von den Hochs und Tiefs des Profilebens beirren lässt. Im Exklusiv-Interview mit SPORT1 - geführt im österreichischen Schruns im Trainingslager des SC Freiburg - kommt er stattdessen herüber wie ein abgeklärter und besonnener 23-Jähriger, für den das Leben noch so viel mehr zu bieten hat als „nur Fußball“.
SPORT1: Merlin Röhl, die U21-EM hat ihre persönliche Sommerpause verkürzt. Hätten es noch ein paar Tage mehr Urlaub sein dürfen?
Merlin Röhl: Nein, ich freue mich total, dass es wieder losgeht. Die erste Einheit war wahnsinnig intensiv und anstrengend für mich. Aber es ist schön, wieder auf dem Platz zu stehen und die neuen Jungs kennenzulernen. Dennoch habe ich den Urlaub natürlich genossen und mich gut von der EM erholt.
SPORT1: Überwiegt der Stolz des Finaleinzuges bei der Europameisterschaft oder die Enttäuschung über den so knapp verpassten Titel?
Röhl: Natürlich freut man sicher immer über Titel, aber für mich persönlich war es eine Freude, mit den Jungs dort zu sein, die Zeit zu genießen und schönen und erfolgreichen Fußball zu spielen. So eine Reise durchzumachen, dass man im Finale steht und diese Chance hat, ist besonders. Wir haben ein tolles Spiel abgeliefert, aber leider Fehler gemacht und verloren. Das gehört leider dazu.
„Der erste Moment war geprägt von Fassungslosigkeit“
SPORT1: Sie hatten in der Nachspielzeit der Verlängerung im Finale gegen England gar noch die Chance auf den 3:3-Ausgleich, der Halbvolley donnerte aber an die Latte. Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?
Röhl: Der erste Moment war geprägt von Fassungslosigkeit. Ich konnte es im ersten Moment nicht glauben, weil es sich echt gut angefühlt hat, wie ich den Ball getroffen habe. Aber insgesamt habe ich gesehen, wie knapp es beieinander liegt, ein Held zu sein oder eben auch nicht. Das hat mir trotzdem gefallen, dass ich diese Momente hatte.
SPORT1: Das späte Siegtor im Viertelfinale gegen Italien: War das genau die andere Seite der Gefühlsmedaille?
Röhl: Ich war total in dem Moment und im Flow, so ist das im Fußball. Ich habe nur noch kurz geschaut, dass es kein Abseits war, und dann war es pure Freude. Ich habe diese Emotionen genossen in dem Moment. Für mich persönlich war das nach der Saison besonders schön.
„Bin noch nicht so fit wie die anderen“
SPORT1: Die vergangene Spielzeit war die verletzungsreichste Ihrer bisherigen Karriere, wie geht man mit einer derartigen Seuche um?
Röhl: Mich hat die erste Verletzung (Syndesmoseriss am 4. Spieltag, Anm. d. Red.) echt getroffen, weil ich mir viel vorgenommen hatte und wir gut reingestartet sind. Daran hatte ich ein bisschen zu knabbern, wie das so ist als junger Bursche, wenn man sich viel vorgenommen hat. Besonders schwer sind dann die Momente, in denen man merkt, dass man nicht auf dem vorherigen Level ist. Man spürt, dass manche Bewegungsabläufe nicht so funktionieren. Dann braucht man Geduld.
SPORT1: Als Team lief es vergangene Saison dafür herausragend, Sie standen einen Spieltag vor Schluss auf einem Champions-League-Rang. Fing man dann auch im beschaulichen Freiburger Umfeld an zu träumen?
Röhl: Wir sind eine Mannschaft und ein Verein, der eine andere Philosophie fährt – nach außen wie intern. Natürlich wollen wir das Maximum, haben uns aber nicht viel damit beschäftigt. Dennoch haben wir auch gesehen, wir können es erreichen, also wollen wir das auch erreichen. Als es dann nicht geklappt hat, hat Frustration und Trauer eingesetzt, aber auch das spricht für uns, dass wir trotzdem stolz sind auf die Leistung, die wir in der Saison gezeigt haben.
Röhl schwärmt von Schuster
SPORT1: Julian Schuster hat bereits gesagt, dass Sie letztlich wohl in den richtigen europäischen Wettbewerb gerutscht sind. Was halten Sie eigentlich von Ihrem Trainer? Was zeichnet ihn aus?
Röhl: Er arbeitet sehr akribisch, ehrgeizig und versucht uns mit Details weiterzuentwickeln. Das ist eine total gute Mischung aus neuem Input und dem Weiterführen dessen, was hier in den vergangenen Jahren aufgebaut wurde. Es war für uns alle erst einmal eine große Veränderung, dass jemand, der so lange da war (Christian Streich, Anm. d. Red.), auf einmal nicht mehr da ist. Aber das ist typischerweise für Freiburg fließend gegangen, hat sehr gut funktioniert und ich freue mich, dass Julian seinen Vertrag verlängert hat.
SPORT1: Abseits des Platzes bekommt man von Ihnen recht wenig mit, Sie haben kein Social Media, sind kein Typ der lauten Töne. Was für ein Typ ist Merlin Röhl eigentlich privat?
Röhl: Ich bin in manchen Phasen im Leben ein sehr ruhiger Typ, auch ein geduldiger Mensch. Ich bin einer, der immer interessiert ist, sehr wissbegierig, ich möchte alles aufsaugen und dazulernen. Ich halte oft Ausschau nach Dingen, die mein Leben bereichern können. Und manchmal bin ich sehr emotional, das wechselt sich ab. Wie im Fußball.
Mit der App zum Probetraining
SPORT1: Zum Profifußball sind Sie jedenfalls nicht über den klassischen Weg gekommen. Verraten Sie uns: Wie lief das?
Röhl: Es gab eine App, über die ich mich beworben habe und mit Glück und Zufall habe ich so ein Probetraining ergattert. Damit habe ich nicht gerechnet, aber als ich es bekommen habe, habe ich die Chance ergriffen. Auch bei all den weiteren Schritten hatte ich Glück, dass Leute auf mich standen, meine Art und Weise, wie ich gespielt habe. Dass sie Spieler auf meiner Position gesucht haben. Das ist schon ein bisschen eine komische Geschichte, weil das vielleicht nicht so viele Spieler gemacht haben über die App.
SPORT1: Stand damals schon für Sie fest, dass es dann auch der Profifußball werden soll?
Röhl: Generell war das nie mein Ziel, es kam mit Moment zu Moment näher. Gerade als ich gemerkt habe, dass ich vielleicht auf das Level kommen kann. Aber zu diesem Zeitpunkt war es einfach ein Ausprobieren. Es war mehr eine Herausforderung von der Familie wegzugehen, über seinen Schatten zu springen und an sich zu wachsen. Das war die Idee, die mich überzeugt hat.
SPORT1: Angefangen mit der App sind Sie jetzt schon gestandener Bundesliga-Spieler. Wohin kann diese Reise noch gehen?
Röhl: Als größtes Ziel würde ich nennen, eine Balance hinzubekommen zwischen dem privaten Leben, dem Fußball und den Sport zu genießen. Dann kann man sich Herausforderungen stellen und auch darüber nachdenken, was man noch machen kann mit dem Fußball, wo man über andere Wege nicht hinkommen würde.
SPORT1: Was meinen Sie damit genau?
Röhl: Es geht darum, das richtige Mindset zu haben und sich Gedanken darum zu machen, wer man ist und sich nicht nur über den Fußball definiert. Was kann ich danach machen, wie kann ich mich darauf vorbereiten? Dabei finde ich immer wieder Sachen, die mich mal phasenweise bereichern, wie Schach. Das war eine ganz große Phase, aber man merkt auch, dass das nichts ist, was man nur macht. Jetzt gerade sind es Fotos, die mich total catchen und interessieren.
SPORT1: Merlin Röhl, der Landschaftsfotograf also? Oder eher Portraits?
Röhl: Ich mache ein bisschen mehr Streetstyle. Gerade das Umfeld aufzunehmen, das ich hier im Trainingslager habe. Ich habe auch bei der EM viel fotografiert. Es gab am Anfang ja auch Tage, an denen ich nicht gespielt habe. An denen saß ich dann auch auf der Bank und habe einfach nur alles fotografiert (lacht). Da hast du schöne Momentaufnahmen von den Jungs und vor allem einen besonderen Blick, an den Fotografen vielleicht nicht hinkommen, weil ich ein Teil der Gruppe, ein Spieler bin. Was mich besonders begeistert ist das Analoge. Es ist nicht immer nur das Bild, sondern auch der Prozess. Das ist auch ein Gedanke für den Fußball: Es ist nicht nur das Ergebnis, das mich antreibt, sondern auch der Prozess, wie ich mich verbessere.