Mark Flekken unterscheidet sich von allen anderen Neuzugängen deutlich. Was die Arbeitskleidung angeht, sowieso. Als Torhüter bewegt er sich zurzeit in blauen Shirts auf dem Trainingsplatz, während die Feldspieler in roter Kleidung schuften. Aber auch, was seine bisher gesammelte Erfahrung betrifft. Der Niederländer feierte Mitte Juni seinen 32. Geburtstag und ist somit fast ein Jahrzehnt älter als der Rest des neuen Personals.
Wird Bayer Leverkusen zum deutschen Chelsea?
Das deutsche Klein-Chelsea
So stellt sich in Leverkusen ein unverkennbares Muster dar. Zieht man Flekken ab, beträgt das Durchschnittsalter der neun weiteren Einkäufe gerade einmal 19,7 Jahre. Malik Tillman (23 Jahre) und Jarell Quansah (22) zählen da schon zu den Routinierten. Abdoulaye Faye (20), Christian Kofane (18), Ibrahim Maza (19), Axel Tape (17), Issa Traoré (18), Farid Alfa-Ruprecht (19) und Tim Oermann (21) hingegen nicht. Für die einen sind sie Unbekannte. Für andere gelten sie als sogenannte Perspektivspieler.
Bayer hält an Strategie fest
Nach den Abgängen der Leistungsträger Granit Xhaka, Florian Wirtz, Jonathan Tah und Jeremie Frimpong muss der Verein eigentlich Ersatz holen, der inmitten des Umbruchs sofort weiterhelfen würde. Vor allem, wenn auch Kapitän Lukas Hradecky noch gehen sollte. Dennoch zeichnen sich zwei Dinge längst ab: Die Rheinländer haben ihre bewährte Strategie, junge Spieler zu verpflichten, die womöglich erst in ferner Zukunft weiterhelfen werden, sogar intensiviert. Und Neu-Coach Erik ten Hag soll Zeit bekommen.
Was hinter dem Plan steckt? Leverkusen arbeitet quasi auf zwei Ebenen gleichzeitig. Einerseits am Team der Gegenwart, andererseits schon an der Mannschaft von übermorgen. Tillman und Quansah kommen, trotz ihrer jungen Jahre, gleich zentrale Rollen zu. Auch Maza, Kofane und Tape sind direkt für das Aufgebot von ten Hag eingeplant. Bei anderen Akteuren steht jedoch im Vordergrund, dass sie zunächst in der Fremde reifen sollen, bevor sie eine echte Option für die Werkself werden.
Der vom VfL Bochum gekommene Oermann wurde so umgehend an Sturm Graz weiter verliehen. Gleiches praktiziert Bayer mit Faye, der aus Schweden von BK Häcken kam und nun beim FC Lorient geparkt wurde. Alfa-Ruprecht, der als letzter der Perspektivspieler unterschrieb, darf zwar unter ten Hag vorspielen. Startet der 19 Jahre alte Rechtsaußen aber nicht unerwartet schnell durch, ist auch bei ihm ein Leihgeschäft angedacht. Was mit Traoré und Winter-Neuzugang Alejo Sarco (19) passiert, bleibt offen.
Leverkusen leiht Spieler aus - Vorbild Chelsea?
Zudem sind drei der selbst ausgebildeten Top-Talente andernorts untergekommen. Torjäger Artem Stepanov (17) spielt kommende Saison in der 2. Liga beim 1. FC Nürnberg, Mittelfeldspieler Francis Onyeka (18) in Bochum. Offensiv-Allrounder Kerim Alajbegovic (17) wurde für etwa zwei Millionen Euro samt Rückkaufoption abgegeben und soll seinen Entwicklungsprozess bei RB Salzburg vorantreiben. Bei allen dreien geht es darum, möglichst viel Spielzeit auf Profi-Niveau zu sammeln. Doppelt wichtig, weil der Verein keine Zweitvertretung hat.
Der Wunsch: Vielleicht schafft es einer dieser Youngsters, sich schon ab der Spielzeit 2026/27 als echte Alternative für die Werkself zu empfehlen. Simon Rolfes würde es jedenfalls freuen. „Wir wollen jetzt eine starke Mannschaft haben, denken aber auch einen Schritt weiter”, kommentierte der Geschäftsführer seine kleine „Loan Army”. Entwickelt sich Leverkusen also zu Klein-Chelsea, das sich zahlreiche Youngsters schnappt und sie dann verleiht, bevor es andere machen und der Preis in die Höhe schnellt?
Bei Bayer könnte es jetzt eine Weile dauern
In gewisser Weise schon. Nur natürlich in einem kleineren Rahmen. Einige sollen – so zumindest der Plan – direkt in Leverkusen den nächsten Schritt gehen, manche eben erst mal während ihrer Leihe. Ob das, was langfristig wie ein kluger Plan klingt, auch kurzfristig funktionieren kann, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Ten Hag ausreichend Zeit geben zu wollen, ergibt in der aktuellen Situation Sinn. Doch Geduld scheint im oftmals hysterisch wirkenden Fußball abhandengekommen zu sein. In vielen Fällen sieht die Realität völlig anders aus.
Das Restrisiko bleibt immer, so sehr sich Vereine auch um Ruhe bemühen. Bei Bayer könnte es jetzt eine Weile dauern, bis sich die Grundlage für neue Erfolge entwickelt. Gerade, weil sich Hierarchien bilden und frische Gesichter wie Tillman oder Quansah langsam in die Führungsrollen der abgewanderten Spieler hineinwachsen müssen. Denn viele Namen waren nicht etwa unzufriedene Ersatzspieler, sondern wichtige Stützen des Meisterteams. Ein schwieriger Spagat, besonders für die Mischung aus jungen Neuzugängen sowie einer internationalen Talente-Kollektion.
Bei den kommenden Transfers dürfte deshalb die Komponente Erfahrung im Vordergrund stehen. Und die soll es auf jeden Fall geben. „Vier bis fünf Spieler müssen noch dazukommen“, forderte ten Hag und stellte eine eindeutige Aufforderung an die sportliche Leitung: „Die ersten Umrisse der neuen Mannschaft sind erkennbar, und die müssen wir nun weiter ausbauen. Denn es gibt noch viele Schwachstellen. Auf einigen Positionen müssen wir uns noch verstärken, um das Ziel – unter die ersten Vier zu kommen – zu erreichen.“
Rolfes: „Dafür bräuchten wir dreifaches Budget“
Passend dazu betonte Rolfes jedoch unlängst beim Kölner Stadt-Anzeiger, dass Bayer gar nicht ohne Weiteres in der Lage sei, von jetzt auf gleich ein neues Meisterteam aus dem Boden zu stampfen. „Wir müssen eine Siegermannschaft entwickeln“, sagte der 43-Jährige, für den der Weg von Wirtz ein Musterbeispiel ist. „Wir haben auch nicht Kai Havertz durch den Kauf eines fertigen Spielers ersetzt. Wir haben Kai durch den jungen Wirtz, den 16-jährigen Florian über eine jahrelange Entwicklung ersetzen können.“
„Die Mannschaft, die wir die vergangenen zwei Jahre hatten, können wir nicht nachkaufen. Wer das glaubt, liegt falsch. Dafür bräuchten wir das dreifache Budget“, führte Rolfes seine Überlegungen aus. Damit die Werkself auch morgen und übermorgen kraftvoll bleibt, holen sie gerade junge Spieler en masse. Bei Jungs wie Wirtz täuschte die Hoffnung nicht. Ob anderen Ähnliches gelingt und sich Bayers Transferpolitik erneut rentiert, wird aber erst die Zeit zeigen.