Dass der Deadline Day immer wieder ungewöhnliche Geschichten hergibt, ist hinlänglich bekannt. Es braucht mitunter schon recht viel, um etwas zu schaffen, das es vorher noch nicht gab. Doch Victor Boniface, bis zuletzt das große Sorgenkind bei Bayer Leverkusen, hatte genau so eine Nummer parat. Eine ziemlich verrückte Story, die fast zu schade ist, um sie nicht noch einmal zu erzählen.
Boniface und Bremen: Große Chance oder großes Risiko?
Große Chance oder großes Risiko?
Während halb Fußball-Deutschland rätselte, ob das Gerücht, wonach der Nigerianer zu Werder Bremen wechseln soll, tatsächlich stimmen kann oder doch nur eine Ente ist, setzte sich dieser gegen 16 Uhr ganz entspannt an seine Playstation. Und das nicht im Stillen. Auf der Plattform Twitch streamte Boniface, der dort als „Bigvic2222“ bekannt ist, wie er den Ego-Shooter „Call of Duty: Warzone“ spielte. Jeder konnte zuschauen.
Boniface nutzt kuriose Hochzeit-Ausrede
Mehrmals griff Boniface dabei nach seinem Handy. Zwischendurch schaltete er den Stream stumm, um zu telefonieren. Kurz die Vertragsdetails vor aller Welt im Internet klären? Man kennt’s. Später verließ der Stürmer seinen Stream. Angeblich, weil er auf eine Hochzeit müsse. Inzwischen ist bekannt, dass zu dieser Zeit der Medizincheck stattfand. Das verriet Werder-Manager Clemens Fritz der Deichstube: „Wir haben unsere Leute nach Leverkusen geschickt und ihn dort gründlich durchgecheckt.“
Zwei Stunden danach war alles erledigt, Boniface ging wieder online und daddelte erneut in der virtuellen Welt. Die Verantwortlichen aus Leverkusen und Bremen klärten derweil letzte Fragen unter sich, ehe sein neuer Arbeitgeber den Deal um 19.45 Uhr offiziell verkündete. „Ich habe es gehört, aber nicht gesehen”, kommentierte Fritz den Tag seines Neuzugangs: „Dafür braucht man bestimmt einen Account, den habe ich nicht. Mir wurde zugetragen, dass er allein zockt. Das gehört auch zur Regeneration. Wir haben keine Probleme damit, wenn jemand Playstation spielt.“
Fakt ist: Bremen hat einen der wildesten Transfers dieses Sommers eingetütet. Und mit Sicherheit auch einen der überraschendsten. Der 24-Jährige war vor zwei Jahren noch eine der Schlüsselfiguren im Meisterteam der Rheinländer. Jetzt wird er für eine Saison an die Weser ausgeliehen. Eine Kaufoption gibt es nicht, aber Bayer beteiligt sich am Gehalt, das rund vier Millionen Euro betragen soll. Allerdings bleibt die Frage: Wie konnte es eigentlich passieren, dass sich Bremen einen Spieler dieses Kalibers sichert?
Beinahe wäre Boniface in Mailand gelandet
Keine zwei Wochen ist es her, da hockte Boniface in Mailand und war bereit, beim großen Traditionsklub AC Milan seine Karriere wieder in Schwung bringen - doch es kam anders. Nach dem Medizincheck platzte der angepeilte Wechsel des Torjägers überraschend. Und Boniface? Der landete nun beim aktuellen Tabellen-16. der Fußball-Bundesliga. Bremen statt Mailand, norddeutsche Gemütlichkeit statt italienischer Modemetropole, großer Hoffnungsträger statt Star unter Stars.
Für Boniface kann der Wechsel an den beschaulichen Osterdeich auch eine Chance sein, für seinen neuen Verein ist er es definitiv. Die Last-Minute-Leihe des Nigerianers vom Vizemeister wirkt aus Perspektive von Werder Bremen auf den ersten Blick sogar wie ein echter Transfercoup. In Topform ist der 24 Jahre alte Mittelstürmer mit seiner beeindruckenden Physis kaum aufzuhalten. Nur - und damit zum riskanten Teil des Deals - ist er seit Längerem nicht in Topform.
Nach zwei frühen Kreuzbandrissen, die dem Vernehmen nach auch für den geplatzten Mailand-Wechsel ausschlaggebend waren, hatte sich Boniface in Leverkusen zwar zunächst physisch stabil präsentiert, doch seit Mitte der vergangenen Saison spielte er bei Bayer nur noch eine Nebenrolle. Aufgrund von Muskelverletzungen und fehlender Fitness. In der Vorbereitung der Rheinländer musste er immer mal wieder kürzer treten. „Mal trainiert er, mal ist er wieder raus“, sagte Geschäftsführer Simon Rolfes.
„Wir wissen um die Problematik“
Davon ließ sich Werder aber nicht beirren. „Wir wissen um die Problematik und haben uns ein umfangreiches Bild von ihm verschafft. Er kennt seinen Körper sehr gut und weiß, wie er damit umzugehen hat“, betonte Fritz in einer Medienrunde am Montagabend. „Es werde bei Boniface „bestimmt auch die ein oder andere Belastungssteuerung geben“. Aber: „Als bei Victor die Tür aufging, waren wir uns alle einig, dass wir dort sehr gerne durchgehen möchten. Bei jedem Transfer gibt es irgendwelche Risiken.“
Chefcoach Horst Steffen freut sich indes, einen potenziell so starken Spieler mehr zu haben. “In Bayers Meistersaison hat er als Torschütze und Vorbereiter geglänzt. Ich bin sicher, dass er für unsere Gruppe in dieser Spielzeit ein ganz wichtiger Faktor werden kann”, sagte er. Und auch Boniface selbst gab sich glücklich: „Ich möchte mit meinen Leistungen dazu beitragen, dass wir unsere gemeinsamen Ziele in dieser Saison erreichen können. Ich freue mich auf mein neues Team und die Zeit bei Werder.“
Rentieren könnte sich der Wechsel für beide Seiten. Für Werder, die einen neuen Star in ihren Reihen haben. Aber auch für Boniface, der in Leverkusen hinter Patrik Schick und Christian Kofane zuletzt nur noch Stürmer Nummer drei war. Doch an der Weser kennen sie das Wagnis. Die negativen Erfahrungen mit dem verletzungsanfälligen Ex-Liverpool-Star Naby Keita aus der vergangenen Saison sind noch präsent.