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Das Wirtz-Vakuum ist viel größer als gedacht

Wirtz-Vakuum doch größer als gedacht

Das neu zusammengestellte Team von Bayer 04 Leverkusen ist weiterhin auf der Suche nach sich selbst. Noch sind die Folgen des Irrtums um Erik ten Hag deutlich sichtbar – und der wohl entscheidendste Abgang des Sommers lange nicht kompensiert.
Kasper Hjulmand zeigt sich nach dem Remis gegen Borussia Mönchengladbach vor allem mit der ersten Halbzeit unzufrieden. Auch die Herangehensweise in der Schlussphase gefiel dem Trainer von Bayer Leverkusen nicht.
Das neu zusammengestellte Team von Bayer 04 Leverkusen ist weiterhin auf der Suche nach sich selbst. Noch sind die Folgen des Irrtums um Erik ten Hag deutlich sichtbar – und der wohl entscheidendste Abgang des Sommers lange nicht kompensiert.

In Leverkusen schwirrt eine nicht ganz unerhebliche Frage schon seit geraumer Zeit im Hintergrund umher. Zu Zeiten, als die Werkself an der Spitze der Bundesliga stand und alles klappte, etwas leiser. In Phasen, in denen es mal Rückschläge gab oder der unumstrittene Kreativdirektor gar ausfiel, wurde sie gleich ein bisschen lauter: Was passiert bei Bayer eigentlich, wenn Florian Wirtz eines Tages nicht mehr da ist?

Eines Tages ist bekanntermaßen jetzt - die Thematik also so zentral wie nie zuvor. Wirtz ging im Sommer für eine immense Millionen-Summe nach Liverpool und der Vizemeister versucht, den Verlust irgendwie aufzufangen. Doch funktionieren will das noch nicht. Der Abgang des Spielgestalters und personifizierten Bessermachers der vergangenen Jahre riss kein kleines Loch, sondern einen riesigen Krater in den Kader.

Bayer Leverkusen in der Offensive ideenlos

Dass jeder Vergleich der aktuellen Leverkusener Mannschaft mit dem Team des früheren Trainers Xabi Alonso ins Leere laufen würde, versteht sich von selbst. Neben dem Spanier und Wirtz ist auch der Rest der Erfolgsachse weggebrochen: Granit Xhaka und Jonathan Tah. Solche Spieler zu ersetzen, wäre in jedem Szenario schwierig. Besonders in der Offensive merkt man im Moment aber, dass die Mannschaft fast komplett neu zusammengestellt wurde und wichtige Mechanismen bis dato fehlen.

Beim enttäuschenden 1:1 am Sonntag gegen Borussia Mönchengladbach generierte Bayer trotz optischer Überlegenheit und mehr als 60 Prozent Ballbesitz kaum Torgefahr aus dem Spiel heraus. Gleiches Bild drei Tage zuvor, als die Werkself in Kopenhagen auf dem letzten Drücker einen Punkt rettete. Und selbst beim emotionalen 3:1 gegen Frankfurt fielen alle Tore nach Standards. Steht der Gegner kompakt in der Defensive, gehen Bayer in der Frühphase der Saison schnell die kreativen Ideen aus.

Ein Wirtz, der die engen Räume wie kein anderer meisterte, sich immer wieder aus dem Druck zwischen den Ketten entfernte und so seine magischen Momente kreierte, wird – wie Xhaka als Taktgeber – an allen Ecken und Enden vermisst. Ebenso das nötige Passtempo. „Wir haben keine Lösungen gefunden, um große Chancen zu kreieren“, gestand Neu-Coach Kasper Hjulmand nach der Partie gegen Gladbach und stellte zudem fest, dass Torjäger Patrik Schick zurzeit völlig in der Luft hängt, weil gar keine Bälle bei ihm ankommen.

Hjulmand stärkt bei Leverkusen erst die Defensive

Leverkusens größte Problemzonen finden sich im vorderen Drittel und in den Halbräumen. Der Klub investierte rund 80 Millionen Euro, um gleich mehrere Spieler zu holen, die den Verlust von Wirtz gemeinsam auffangen sollen. Zuletzt standen Eliesse Ben Seghir und Ibrahim Maza in der Startformation, Malik Tillman und Claudio Echeverri heißen die weiteren Optionen. Nur agierte von diesen bisher niemand wirklich überzeugend oder fand seine Rolle. So ist Bayer offensiv weiter auf der Suche nach sich selbst – was unter den Umständen aber auch kaum verwunderlich ist.

Die Zeit, die in der Sommervorbereitung für das Einspielen von Abläufen zur Verfügung stand, ist durch das Missverständnis Erik ten Hag verpufft. Jetzt muss sein Nachfolger Hjulmand so schnell wie möglich reparieren, was der Niederländer versäumte. Angesichts der ständigen englischen Wochen ein schweres Unterfangen. „Wir brauchen mehr Klarheit und eine bessere Struktur. Diese Woche ist sehr wichtig, denn danach haben wir wieder drei Spiele“, schilderte der Däne. Immerhin: Bis zum nächsten Spiel gegen St. Pauli bleiben ihm erstmals einige Trainingstage Zeit.

Wunderdinge sind allerdings nicht zu erwarten. Um die Werkself zurück in die Spur zu bringen, legt Hjulmand den Fokus zunächst nicht primär auf die Offensive, sondern geht einen ähnlichen Weg wie Xabi Alonso, als dieser Leverkusen im Herbst 2022 übernahm. Der Spanier stabilisierte erst die Abwehr. Denn ein Team defensiv zu stabilisieren, funktioniert oft schneller, als ihm einen konstruktiven Ballbesitzfußball beizubringen. Erste Besserungen sind erkennbar. Wenngleich sich diese in einem überschaubaren Rahmen bewegen.

„Wir müssen uns so schnell wie möglich verbessern“

Als die Deutsche Fußball-Liga (DFL) Ende Juni den Spielplan veröffentlichte, keimte leise Hoffnung auf, das vergleichsweise dankbare Auftaktprogramm nutzen zu können, um nach dem Umbau des Kaders wieder Schwung aufzunehmen und neue Euphorie zu entfachen. Inzwischen sind die Rheinländer jedoch auf dem harten Boden der Realität aufgeschlagen. In den ersten vier Bundesliga-Spielen holte der Vizemeister nur fünf Punkte.

Mit dem leidenschaftlich erkämpften Sieg gegen Frankfurt ließ die Werkself aufhorchen und ihr Potenzial aufblitzen. Die vier Spiele gegen Hoffenheim, Bremen und Gladbach zeigten hingegen vor allem eines: Hjulmand und sein Team benötigen viel Zeit. Eine Ressource, die im schnelllebigen Fußballgeschäft rar gesät ist. „Wir müssen uns so schnell wie möglich verbessern, sonst verlieren wir immer mehr Punkte“, lieferte Alejandro Grimaldo die simple Erklärung dafür und wirkte einigermaßen gefasst.

Dass die Saison in Leverkusen alles andere als ein Spaziergang werden könnte, scheint spätestens nach der ernüchternden Woche mit zwei Rückschlägen allen zu dämmern. Nach wie vor wirkt das Team ideenlos. Um die verlorene Ten-Hag-Zeit aufzuholen und offensiv wieder in den Rhythmus zu finden, ist weiterhin Geduld gefragt. Auch, weil das Wirtz-Vakuum zumindest für den Moment noch größer ist, als es sich einige vorgestellt haben.