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"Der zieht uns alle ab!" Sepp Maier spricht zum 70. Geburtstag von Karl-Heinz Rummenigge

„Der zieht uns alle ab!“

Karl-Heinz Rummenigge und Sepp Maier gehören zu den größten deutschen Fußball-Ikonen der 70er-Jahre. Im SPORT1-Interview verrät Maier, wie sehr ihm sein langjähriger Bayern-Kollege als Mensch und Fußballer imponiert hat.
Karl-Heinz Rummenigge verkörpert die Gewinner-DNA des FC Bayern sowohl als Weltklasse-Stürmer als auch als Funktionär. Er sammelt haufenweise Titel, bleibt aber doch am Ende der Mann in der zweiten Reihe.
Karl-Heinz Rummenigge und Sepp Maier gehören zu den größten deutschen Fußball-Ikonen der 70er-Jahre. Im SPORT1-Interview verrät Maier, wie sehr ihm sein langjähriger Bayern-Kollege als Mensch und Fußballer imponiert hat.

Karl-Heinz Rummenigge wird an diesem Donnerstag 70! Einer seiner langjährigen Wegbegleiter ist Sepp Maier. Von 1974 bis 1979 waren sie Vereinskollegen beim FC Bayern und von 1976 bis 1979 Mitspieler in der Nationalmannschaft. Nun gratuliert die Torwartlegende der Münchner seinem Freund im exklusiven SPORT1-Interview und wirft dabei einen Blick zurück.

Dabei wird auch deutlich: Zwischen den beiden Ikonen des Rekordmeisters war nicht immer alles eitel Sonnenschein.

SPORT1: Herr Maier, Ihr Freund und Ex-Kollege Karl-Heinz Rummenigge feierte am Donnerstag seinen 70. Geburtstag. Fällt es Ihnen schwer, sich das vorzustellen?

Sepp Maier: (lacht) Ehrlich gesagt: ja! Er war immer einer, der nie alt gewirkt hat. Ich sage immer: „Mit 70 ist er immer noch schnell im Kopf.“ Wenn der 70 ist, dann heißt das, wir werden alle älter – und das mag man nicht so gern hören. (lacht) Aber bei ihm ist es wirklich so: Er hat sich seinen jugendlichen Zug bewahrt, ist sportlich, fit und vor allem blitzschnell im Kopf. Der passt noch nicht so recht ins Bild vom Rentner. Bei manchen siehst du das Alter sofort, bei ihm überhaupt nicht.

„Kalle war eine echte Plage“

SPORT1: Wie erinnern Sie sich an ihn als Spieler?

Maier: Kalle war für uns Torhüter eine echte Plage. Er war pfeilschnell, technisch stark und dazu eiskalt im Abschluss. Der hat Bälle versenkt, da konntest du als Keeper manchmal nur noch hinterherschauen. Ich sag’s Ihnen: Wenn er aufs Tor zulief, habe ich innerlich schon ein Stoßgebet gesprochen. Und das meine ich ernst – der hatte diese Unberechenbarkeit, du wusstest nie, ob er rechts, links oder plötzlich mit dem Außenrist schießt. Ich erinnere mich an ein Training in den 80ern: Da hat er mich zehnmal hintereinander ausgespielt. Irgendwann hab ich gesagt: „Kalle, jetzt reicht’s, sonst geh ich heim!“ Er hat nur gegrinst. So war er. Immer ehrgeizig, immer mit einem Siegeswillen, aber nie überheblich.

SPORT1: Sie haben Rummenigge einmal sogar mit Mario Götze verglichen…

Maier: Ja, das war mit einem Augenzwinkern gemeint. Ich habe damals gesagt, Rummenigge sei auch einer gewesen, den wir am Anfang „mitziehen“ mussten, bis er Weltklasse war. Seine ersten Jahre waren schwer, er hat nie mehr als zwölf Tore pro Saison gemacht. Aber dann hat er sich durchgebissen, wurde dreimal Torschützenkönig und ist nach Mailand gegangen. Genau so eine Entwicklung habe ich auch Mario Götze zugetraut. Deshalb mein Rat damals: „Nicht verkaufen. Geld brauchen die Bayern ja keines.“

Rummenigge? „Kein Lautsprecher“

SPORT1: Und abseits des Rasens?

Maier: Da war er ein ganz anderer Typ. Ruhig, zurückhaltend, fast schon ernst. Kein Lautsprecher, eher einer, der beobachtet hat und erst dann etwas gesagt hat, wenn’s nötig war. Aber unterschätzen durfte man ihn nicht – vor allem nicht am Kartentisch. Wir haben oft Schafkopf gespielt, auf Auswärtsfahrten oder im Trainingslager. Und der Kalle? Der hatte eine Poker-Miene, da konntest du nichts lesen. Am Ende hat er meistens gewonnen. Ich erinnere mich, wie Franz Beckenbauer mal völlig verzweifelt die Karten auf den Tisch geknallt hat und meinte: „Mit dem kann man nicht spielen, der zieht uns alle ab!“ (lacht) Da war er genauso abgebrüht wie vor dem Tor.

SPORT1: Sie beide haben nicht nur auf dem Platz viel erlebt – waren Sie auch privat eng verbunden?

Maier: Ich durfte Trauzeuge bei Kalles Hochzeit in Lippstadt sein. Ich erinnere mich noch gut daran, wie er mich damals ganz schüchtern fragte, ob ich diese Aufgabe übernehmen würde. Meine erste Reaktion war: „Heiratet ihr etwa in München?“ Doch Kalle schüttelte den Kopf und meinte: „Nein, in Lippstadt.“ Natürlich habe ich zugesagt. Am Hochzeitstag stand ich dann auf dem Balkon, begrüßte die Gäste und erzählte ein paar nette Anekdoten. Und was soll ich sagen? Ich war Trauzeuge – und deshalb hält Kalles Ehe bis heute. Und ich hoffe, ein ganzes Leben lang. „Bis dass der Tod euch scheidet“, so sagte der Pfarrer bei der Trauung.

SPORT1: Haben Sie privat auch besondere Erinnerungen an ihn?

Maier: Viele! Wir haben unzählige Abende nach Spielen verbracht, mal bei einer Brotzeit, mal bei einem Glas Wein. Ich weiß noch, wie wir in den 80ern im Trainingslager zusammen im See schwimmen waren – Kalle war natürlich vorneweg, ich hab hinterher geschnauft. Da hat er mir zugerufen: „Sepp, du musst längere Arme kriegen, dann geht’s leichter!“ Das war typisch Kalle. Und was ich nie vergesse: Als ich einen schweren Autounfall hatte, war er einer der Ersten, der angerufen hat. Solche Gesten bleiben im Herzen.

SPORT1: Später hat er den FC Bayern über viele Jahre als Vorstand geprägt. Sehen Sie da Parallelen zum Spieler Rummenigge?

Maier: Auf jeden Fall. Er hat die Disziplin, die Klarheit und den Ehrgeiz direkt mit ins Büro genommen. Tore hat er keine mehr geschossen, dafür aber Verträge, Sponsoren und Titel eingefahren. Er war immer sachlich, immer auf den Punkt. Kein Lautsprecher, kein Marktschreier – aber wenn er etwas gesagt hat, dann haben alle hingehört. Und er hatte immer dieses Gespür, den Verein in die richtige Richtung zu führen. Ich behaupte: Ohne Kalle wäre der FC Bayern heute nicht da, wo er ist – so international anerkannt, so wirtschaftlich stark. Das war schon außergewöhnlich, wie er diese Rolle ausgefüllt hat.

Maier verrät: Es hat manchmal gekracht"

SPORT1: Nun gab es zwischen Ihnen beiden auch immer wieder Reibereien. Wie würden Sie Ihr Verhältnis beschreiben?

Maier: Wir waren nicht immer einer Meinung, das stimmt. Kalle hat klare Ansichten vertreten – und ich eben auch. Da hat es manchmal gekracht, auch öffentlich. Aber so etwas gehört im Fußball dazu. Wichtig ist: Am Ende blieb der Respekt immer da. Ich habe nie gezögert, ihm zu widersprechen, wenn ich etwas anders gesehen habe. Und umgekehrt genauso.

SPORT1: Rummenigge hat Sie einmal als „wahrscheinlich größtes Original, das je beim FC Bayern gespielt hat“ bezeichnet und betont, dass es mit Ihnen in der Mannschaft „keine Sekunde langweilig“ war. Im Frühjahr 2024 war er auch bei Ihrer Ausstellung zum 80. Geburtstag dabei. Wie war das für Sie?

Maier: Lieber Kalle, für diese Worte möchte ich mich von Herzen bedanken. Es macht mich stolz und glücklich, dass du mich so würdigst – und noch mehr, dass wir über all die Jahre hinweg eine so enge Verbundenheit bewahren konnten. Die Ausstellung zu meinem 80. Geburtstag war für mich etwas ganz Besonderes, und dass du dabei warst, hat mir sehr viel bedeutet. Es erfüllt mich mit Freude, dass wir gemeinsam so viele schöne Erinnerungen teilen, die uns bis heute verbinden.

SPORT1: Was wünschen Sie ihm zum Geburtstag?

Maier: Vor allem Gesundheit, das ist mit 70 das Allerwichtigste. Aber auch, dass er sich Zeit für die schönen Dinge nimmt: eine bayerische Brotzeit, ein gutes Glas Bier, vielleicht mal ein paar entspannte Stunden im Garten oder mit seiner Familie. Und ganz persönlich wünsche ich mir, dass er beim nächsten Schafkopf-Abend endlich mal nicht gewinnt. Sonst muss ich am Ende noch meine alten Torwarthandschuhe einsetzen. (lacht laut)