Bei Bayer wirkte der Neue-Besen-Effekt bereits, nun hoffen auch die Borussen darauf und auf den ersten Sieg in Leverkusen seit sechs Jahren.
Historisches Bayer-Debakel - als der Schüler Heynckes vorführte
Schmerzhafte Lektion für Heynckes
Dass dort Siege selten sind, wissen auch die älteren Borussen-Fans, die schon am 28. August 2010 dabei waren – als eine Rekordserie der Bundesliga riss und ein Fußballlehrer von seinem Schüler eine schmerzliche Lektion erhielt.
Eigentlich hatte Jupp Heynckes viel Grund, zuversichtlich auf das Heimspiel gegen seine alte Liebe am 2. Spieltag 2010/11 zu schauen.
Der Saisonstart mit Bayer Leverkusen war gelungen (2:0 in Dortmund), unter der Woche war die Qualifikation für die Europa League mit einem 3:1 in Simferopol eingetütet worden und das Management hatte ihm zum Ende des Transfersommers einen Kader hingestellt, den er sich genauso gewünscht hatte: Von 26 auf 20 Spieler verkleinert, aber mit Rückkehrer Michael Ballack einen Weltstar dazubekommen, auf dessen Heimcomeback sich alle Augen richteten.
Leverkusens unheimliche Serie gegen Gladbach
Dann waren da noch die unheimliche Serie von 26 Spielen ohne Niederlage gegen die Gladbacher, die längste der Bundesligahistorie bis in die Gegenwart, und natürlich die Aussicht auf ein freudiges Wiedersehen mit alten Bekannten. 13 Jahre hatte er in Mönchengladbach Bundesliga gespielt, weitere acht als Trainer dort verlebt.
Einer seiner Spieler von einst saß nun als Coach auf der Borussen-Bank: Michael Frontzeck, der unter Heynckes 126-mal in der Bundesliga gespielt hatte und Nationalspieler geworden war.
Nun ging „Frontze“ als Trainer in seine fünfte Bundesligasaison, in Gladbach war es die zweite und zum vierten Mal traf er mit einer Mannschaft auf eine seines Lehrmeisters.
Wie Heynckes Fußball spielen lassen würde, das konnte ihn auf jeden Fall nicht überraschen, keiner seiner Kollegen wusste das besser als sein einstiger Linksverteidiger.
Ein vereinshistorisches Debakel für Bayer
Allerdings fragten sich nach der Partie nicht wenige, ob das wirklich eine Mannschaft von Jupp Heynckes gewesen sei. Die Bay-Arena wurde Stätte eines vereinshistorischen Debakels.
Der kicker schrieb nach diesem Neun-Tore-Spiel in seiner Spielanalyse: „Das Heynckes-Team zeigte weder ein professionelles Abwehrverhalten noch einen Anflug an Geschlossenheit und zerfiel in alle Einzelteile.“
Der überragende Patrick Herrmann, damals 19, eröffnete den Torreigen nach 20 Minuten, nachdem Arturo Vidal den Ball an Mo Idrissou verlor. Das konnte die Werkself noch kontern, Erin Derdiyok glich köpfend aus (24.) und Stefan Kießling traf die Latte (34.). Das war jedoch der letzte Moment, in dem die Bayer-Fans an diesem schwarzen Sonntag noch an einen Sieg glaubten.
Dann fielen die „Fohlen“ über die Gastgeber her: Verteidiger Roel Brouwers war zur Stelle, als Nationalkeeper René Adler einen Ball nicht festhalten konnte (40.) und Herrmann demonstrierte erneut seine Klasse, nun mit einem Außenristtreffer aus 17 Metern (44.).
Arongo traumhaft - Heynckes nimmt Ballack raus
Zur Pause hieß es schon 1:3, die 2000 Fans im Gästeblock feierten. Heynckes wechselte nicht aus und hoffte auf eine Reaktion seines Starensembles, aber die blieb aus.
Borussia dagegen spielte weiter wie entfesselt und es gelang einfach alles, was die Kicker in Weiß unternahmen. Nach 56 Minuten schoss Juan Arango einen Freistoß aus 29 Metern in den Winkel, 1:4!
Noch einmal bäumten sich die Leverkusener auf und Vidal trat entgegen der Fußballweisheit einen an ihm selbst verursachten Elfmeter – 2:4 (58.).
Das zarte Hoffnungspflänzchen zertrat der gleichsam überragende Mo Idrissou weitere zwei Minuten später, nachdem Adler erneut einen Ball nicht hatte festhalten können. Nun nahm Heynckes Ballack, an dem das Spiel völlig vorbeilief, vom Platz.
Angesprochen auf dessen Leistung sagte Sportdirektor Rudi Völler: „Heute haben alle so gespielt, als hätten sie gerade drei Monate Verletzungspause hinter sich.“
Er stand da schon unter dem Eindruck des historischen Debakels, von der Anzeigetafel prangte nach 90 Minuten ein 3:6 nach weiteren Treffern des jungen Marco Reus nach einem Solotanz durch die Abwehrreihen (69.) und dem abschließenden Kießling-Abstauber (70.), der nicht mal mehr ein Trostpflaster war.
Sechs Gegentore - ein Unikum für Leverkusen
Die schöne Bayer-Serie war gerissen und erstmals in seiner Bundesligahistorie kassierte man zuhause sechs Tore – bis heute blieb es ein Unikum. Und das ausgerechnet gegen Borussia Mönchengladbach!
Die Welt attestierte Heynckes wohl auch deshalb „eine der bittersten Niederlage in seiner Fußballlehrerkarriere.“
Abwehrchef Sami Hyypiä, der mal einer von Heynckes‘ Nachfolgern werden würde, seufzte: „Ein Spiel, wie ich es so noch nie erlebt habe und hoffentlich nie mehr erleben werde. Es war eine gute Lehrstunde.“
Rudi Völler kündigte nach dem Debakel an, man werde alles „in aller Ruhe aufarbeiten und die Lehren daraus ziehen“.
Heynckes nimmt Rache im Rückspiel
Heynckes, der im Spiel immer wieder den Kopf schüttelte und nach Abpfiff schnurstracks in die Kabine eilte, sagte vor der Presse: „Wir haben Gladbach zur Party eingeladen und sind dafür bestraft worden.“
In Partystimmung war sein Schüler noch nach dem Triumph. Angesichts der bevorstehenden Länderspielpause sagte Frontzeck: „Das war für unsere Verhältnisse ein perfektes Auswärtsspiel. Wir haben zwei Wochen Zeit, jetzt wird gefeiert.“
Im Rückspiel im Januar 2011 nahm Heynckes übrigens Revanche und stürmte mit Bayer den Borussia-Park, wenn auch „nur“ mit einem 3:1.
Danach trafen sich Schüler und Lehrer nie mehr als Gegner.