Klaus Augenthaler – Weltmeister, Abwehrchef, Bayern-Kapitän. Eine Klub-Ikone, die mit 67 Jahren im exklusiven SPORT1-Interview noch immer brennt für „seinen“ FC Bayern.
FCB-Legende: "Es tut Uli weh, was gerade bei Bayern passiert“
„Das fehlt mir beim FC Bayern“
Leidenschaftlich spricht er über seinen langjährigen Weggefährten Uli Hoeneß, über Sportvorstand Max Eberl – und darüber, was den Rekordmeister heute prägt. Doch auch die Stationen seiner Karriere und zwei unvergessene Szenen lässt er nicht aus.
SPORT1: Herr Augenthaler, wenn Sie an Ihre aktive Zeit beim FC Bayern zurückdenken – welche Momente sind Ihnen persönlich bis heute am meisten im Kopf geblieben?
Klaus Augenthaler: Sicherlich mein Tor des Jahres 1989 in Frankfurt - der Fernschuss aus 60 Metern. Aber auch, wie alles angefangen hat. Ich war damals noch bei einem kleinen Verein (FC Vilshofen, Anmerkung der Redaktion) und hatte ein Probetraining beim FC Bayern. Auch Vereine wie 1860 waren interessiert, aber die Bayern wurden auf mich aufmerksam. Vier Wochen zuvor hatte ich noch das Spiel Atlético Madrid gegen Bayern im Fernsehen gesehen. Und plötzlich stand ich mit Gerd Müller, Sepp Maier, Franz Beckenbauer auf dem Platz. Ich habe zwei Tage gebraucht, bis ich nicht mehr gezittert habe.
„Ohne Uli Hoeneß gäbe es den FC Bayern nicht in der Form“
SPORT1: Heute sind Sie ja immer noch beim FC Bayern, bekommen auch monatlich Ihr Gehalt. Für was genau?
Augenthaler: Für meine Arbeit an der Global-Akademie. Ich bin beim FC Bayern im Jugendbereich angestellt. Wir haben ein volles Programm: Spieler aus Amerika sind dabei, wir trainieren jeden Tag um zehn Uhr. Es gibt Homeschooling, und wir treten auch gegen starke Gegner an.
SPORT1: Und warum tun Sie sich das in Ihrem Alter noch an?
Augenthaler: Ganz einfach: weil ich Spaß daran habe. Vor allem wollen wir die Jungs integrieren. Ich sage immer: Fußball ist ein Teamsport – kein Tennis eins gegen eins. Und die Spieler haben sich bisher wirklich gut entwickelt. Das macht einfach Freude.
SPORT1: Sie haben viele Präsidenten, Manager, Trainer beim FC Bayern erlebt – Uli Hoeneß natürlich vorneweg. Wie würden Sie seine Rolle in der Geschichte des Vereins beschreiben?
Augenthaler: Da muss man gar nicht lange überlegen: Ohne Uli Hoeneß gäbe es den FC Bayern nicht in der Form, in der er heute dasteht. Wir haben damals im Olympiastadion vor nur 4000 Zuschauern gegen Bayer Uerdingen gespielt. Dann kamen Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge, und plötzlich war alles anders, weil die beiden unbedingt vorne mitspielen wollten. Vorher stand der Klub irgendwo auf Platz 14 oder 15. Danach wurden gute Spieler geholt – Dieter Hoeneß, Wolfgang Kraus, Wolfgang Dremmler und noch ein paar andere. Und es hat funktioniert. Aber: Der FC Bayern war damals auch verschuldet. Ich erinnere mich noch gut, wie Uli gesagt hat: „Wir können nicht mehr ausgeben, als wir haben. Erst einmal müssen die Schulden weg.“ Danach ging es Schritt für Schritt aufwärts.
SPORT1: Was bedeutet es Ihnen, bis heute Teil der Bayern-Familie zu sein? Viele Spieler gehen ja nach der Karriere andere Wege.
Augenthaler: Für mich war es immer Bayern. Ich habe den Verein nie verlassen. Klar, ich war zehn Jahre als Trainer unterwegs – Nürnberg, Leverkusen, Wolfsburg, Unterhaching. Trainer ist der schönste Job, aber ich war dann doch froh, als es vorbei war. Ich bin Uli dankbar, dass er mich zurückgeholt hat. Ich hatte noch ein Angebot aus Saudi-Arabien, aber da wollte ich nicht hin. Ich bin anfangs viel gereist, es war eine schöne Zeit. Ich habe auch ein Buch geschrieben mit dem Titel „Immer nur rot-weiß gedacht“. So ist es bis heute.
„Trapattoni hat mir einen halben Kinnhaken gegeben“
SPORT1: Eine andere witzige Szene, die man mit Ihnen verbindet: Sie sind mal als Co-Trainer von Giovanni Trapattoni beim FC Bayern auf der Bank weggenickt. Was war da los?
Augenthaler: Das stimmt nicht. Es war so kalt und ich habe gefroren, wollte auf die Uhr schauen. Ich schaute also runter, und in dem Moment wollte Trap etwas sagen und stupste mich an. Ich bin erschrocken, und es sah dann so aus, als wäre ich kurz weggenickt. Trap hat mir einen halben Kinnhaken gegeben, aber ich bin nicht eingeschlafen.
SPORT1: Gab es eigentlich auch mal den Moment, wo Sie Cheftrainer beim FC Bayern hätten werden können?
Augenthaler: Als ich damals beim FC Bayern wegging, meinte der Präsident zu mir: „So, jetzt machst du als Trainer den Gesellenbrief, und dann bereiten wir das vor, dass du hier Cheftrainer wirst.“ Doch das Geschäft war damals schon so schnelllebig, das hat dann nie geklappt. Leider.
SPORT1: War Nürnberg Ihre schönste Zeit als Trainer?
Augenthaler: Ja. Vorher war ich beim Grazer AK in Österreich, das war auch eine erfolgreiche Zeit. Aber nach drei Jahren wollte ich wieder nach Hause. Auf einer Feier meinte der damalige Club-Präsident Michael A. Roth, dass sie einen Trainer suchen. Zwei Tage war ich in Nürnberg. Und ich hatte anfangs Bedenken, ob das klappen kann, weil ich ein ehemaliger Bayern-Spieler war. Aber ich wurde super aufgenommen. Wir sind im zweiten Jahr aufgestiegen, dann haben wir die Klasse gehalten. Und nach Nürnberg ging es zu Bayer Leverkusen.
„Gerade hat Miro das Messer im Rücken“
SPORT1: Miroslav Klose ist Trainer beim Club, der weiter auf den ersten Saisonsieg wartet. Doch die Bosse halten zu ihm. Wie sehen Sie das?
Augenthaler: Was könnte ein neuer Trainer besser machen? Klose braucht Zeit. Heute geht alles sehr schnell. Das Trainergeschäft ist heute schon pervers. Erik ten Hag wurde in Leverkusen nach nur zwei Spielen entlassen. Das geht doch nicht. Man muss Klose die Chance geben, seinen Weg zu finden. Mir hat mal einer gesagt: „Das Wichtigste, was du als Trainer unterschreibst, ist deine Abfindung.“
SPORT1: Glauben Sie, dass Klose, wenn man ihm vertraut, den Club in die Bundesliga führen kann?
Augenthaler: Ich glaube schon. Und das wünsche ich Klose. Man müsste in Nürnberg wieder mal einem Trainer die nötige Zeit geben, auch wenn er angezählt wird. Gerade hat Miro das Messer im Rücken, hoffentlich bleiben die Verantwortlichen weiter ruhig. Gebt einem jungen Trainer doch einfach mal drei Jahre Zeit, um etwas zu entwickeln. Heute kommt ein Verein daher und kauft Trainer auch aus dem Vertrag. Das ist auch so ein Wahnsinn. Als ich Trainer war, wurden noch keine Ablösesummen gezahlt. Ich finde es höchst suspekt, für einen Trainer Ablöse zu zahlen.
SPORT1: Sie waren fast drei Jahre in Leverkusen Trainer. Wie denken Sie an die Zeit unter dem Bayer-Kreuz zurück?
Augenthaler: Das war damals eine schöne Zeit. Wir haben einmal 4:1 gegen die Bayern gewonnen, und ich bin oft nach den Spielen nach Hause geflogen. Im Flieger saß dann auch das Präsidium der Bayern, und ich habe mich gar nicht getraut, die Herren anzusprechen. Auch gegen Real Madrid in der Champions League waren das tolle Spiele. Ich denke gerne an die Zeit zurück. Solche Spiele als Trainer vergesse ich nicht.
„Die Bundesliga hat ein Problem“
SPORT1: Und Wolfsburg? Ihre legendäre Pressekonferenz ist vielen noch im Kopf.
Augenthaler: Ich war damals echt angefressen, hatte einen guten Kontakt zu den Journalisten. Aber ich musste mich immer wieder erklären, auch für taktische Entscheidungen. Irgendwann war es mir zu viel, weil sie immer geschrieben haben, was sie wollten. Dann habe ich gesagt: „Vier Fragen, vier Antworten, die Antworten gebe ich selbst.“ (lacht)
SPORT1: Blicken wir aktuell auf die Bundesliga. Für Michael Ballack hat die Liga an Attraktivität eingebüßt. Hat die Bundesliga wirklich ein Problem?
Augenthaler: Die Bundesliga hat ein Problem, und das liebe Geld ist der Grund. Der FC Barcelona hatte Schulden und hat es ganz gut gemacht mit jungen Spielern, die vom NLZ in die erste Mannschaft kamen. Das fehlt mir beim FC Bayern. Ich kann aber auch Vincent Kompany verstehen. Bei einem Topverein wie Bayern muss ich liefern. Wenn Kompany die Rückendeckung von oben hat, dann sollte er mutig sein. Früher, zu meiner Trainerzeit, hieß es oft: „Wir müssen das Spiel gewinnen.“ Da war Druck da, da kannst du nicht immer zwei, drei Talente ausprobieren. Das geht nicht. Generell schätze ich Kompany so ein, dass er auf die Jugend setzt. Einige Spieler sind bei Bayern nah dran, dass sie durchstarten können.
SPORT1: Fußball-Deutschland hat zuletzt über den Auftritt von Uli Hoeneß im SPORT1 Doppelpass gesprochen. Wie haben Sie das gesehen?
Augenthaler: Ich habe den Auftritt nicht gesehen – leider oder Gott sei Dank. Ich möchte mich da eigentlich raushalten. Momentan läuft beim FC Bayern nicht alles rund. Uli kann nicht loslassen, genauso wie ich nicht loslassen kann. So ist er halt. Er ist direkt und manchmal konfrontativ. Uli hat sich einst auch Fehler eingestanden. Aber er will helfen, stichelt natürlich, weil er sich vorstellt, dass man es besser machen kann. Uli ruft Eberl bestimmt nicht an und sagt: „Du musst das so und so machen.“ Es tut Uli weh, was gerade bei Bayern passiert. In den vergangenen Jahren hat man viel Geld verspielt, weil man viermal nur ins Viertelfinale der Champions League kam. Man müsste mal wieder ins Halbfinale oder ins Finale kommen.
SPORT1: Wenige Tage nach seinem denkwürdigen Auftritt blieb er bei einem offiziellen Termin im Olympiastadion erneut bei den Reportern stehen und redete wieder munter drauflos. Warum macht er das?
Augenthaler: Uli ist über 18 und ist im Fußball gefangen. Er kann einfach nicht loslassen. Aber er meint es nie böse.
SPORT1: Manche meinen, Hoeneß sollte sich zurücknehmen – gerade im Verhältnis zu Lothar Matthäus oder Max Eberl.
Augenthaler: Ja, vielleicht. Uli hat sich so viel erarbeitet, dass er selbst glaubt, er kann alles sagen. Er hat Lothar nicht beleidigt. Ich bin sicher: Wenn Lothar den Uli anrufen würde, wäre er sofort da. Genauso bei Max Eberl. Uli hat nichts böse gemeint, sein Herz ist einfach rot-weiß.
SPORT1: Glauben Sie, dass die Art von Uli Hoeneß in der heutigen Fußballwelt noch zeitgemäß ist?
Augenthaler: Es kommt auf den Verein, die Umstände und auf die Tabellensituation an. Uli möchte nur das Beste für den FC Bayern. Er würde auch bei einem anderen Klub so reagieren, aber diesen Vergleich haben wir nicht. Uli ist der FC Bayern.
„Uli wollte Max ganz sicher nicht schaden“
SPORT1: Wie ordnen Sie die Aussagen von Max Eberl auf der Pressekonferenz ein und welche Rolle spielt er derzeit für den FC Bayern?
Augenthaler: Ich finde es gut, was Max auf der Pressekonferenz am vergangenen Freitag gesagt hat. Es war wichtig, dass er gesprochen hat. Er hat alles andere als empfindlich reagiert. Ich habe ohnehin keine Sekunde daran gezweifelt, dass er bleibt. Es ist viel auf Max eingeprasselt, aber er ist der Richtige für diesen Job beim FC Bayern. Und noch einmal: Uli wollte Max ganz sicher nicht schaden.
SPORT1: Max Eberl hat viel Kritik einstecken müssen. Im SPORT1 Doppelpass hat ihm nun Stefan Effenberg den Rücken gestärkt. Wie sehen Sie Eberl?
Augenthaler: Bayern ist halt Bayern. Und wenn du bei diesem Verein arbeitest, stehst du in der Öffentlichkeit. Man muss Eberl Zeit geben. Du musst halt sofort liefern. Der FC Bayern ist kein Honigschlecken. Die größte Herausforderung für Eberl ist, gute Spieler für wenig Ablöse zu holen, das ist schwer. Fehler passieren, klar. Aber Eberl hat eine Zukunft beim FC Bayern, wenn er in Ruhe arbeiten kann.
SPORT1: Sollten sich Matthäus und Hoeneß einfach mal zum Schafkopfen treffen oder ist diese persönliche Rivalität nicht zu kitten?
Augenthaler: Beide waren nicht gut im Schafkopfen (lacht). Vielleicht sollten sich beide einfach mal so unterhalten. Sie sind erwachsen und haben sehr viel beim FC Bayern erlebt. Man könnte das eine oder andere vom Tisch schaffen.
SPORT1: Können Sie sich vorstellen, noch einmal in offizieller Funktion bei einem Verein oder bei einem Verband tätig zu sein?
Augenthaler: Das habe ich mir auch schon überlegt. Ich hätte schon Lust, nochmal als Trainer zu arbeiten. Als ich das Angebot aus Saudi-Arabien bekam, wollte ich nicht mehr ins Ausland. Heute könnte ich mir vorstellen, irgendwo als Trainer zu arbeiten. Ich bin mit meinem Job jetzt beim FC Bayern aber total zufrieden.