Sein letzter öffentlicher Auftritt als dänischer Nationalcoach passte nicht so recht ins Bild des besonnenen Trainers. Kasper Hjulmand fühlte sich und seine Dänen ungerecht behandelt. Und machte seinem Ärger darüber eindrucksvoll Luft.
Nicht nur ein Drama prägte Hjulmand
Nicht nur ein Drama prägte Hjulmand
Auf der PK nach dem Achtelfinal-Aus bei der EM 2024 gegen Deutschland zückte Hjulmand plötzlich sein Smartphone und hielt die VAR-Grafik der knappen Abseitsentscheidung in die Runde. „Wir reden über einen Zentimeter. Kann das wirklich die zweifelsfreie Wahrheit sein?“, fragte Hjulmand und sprach angesichts der strittigen Schiedsrichterentscheidungen von „einer Schande“.
Doch auch wenn dieser bemerkenswerte Auftritt nicht typischerweise seinem Naturell entsprochen haben mag, so war er vor allem eines: authentisch. Dass Hjulmand, der drei Wochen nach dem EM-Aus seinen Rücktritt erklärte, im mitunter harten Trainer-Geschäft auch Mensch geblieben ist, offenbarte er vor allem im Umgang mit dem Drama um Christian Eriksen.
Hjulmand gewinnt im Umgang mit Eriksen-Drama Sympathien
Nachdem Eriksen bei der EM 2021 einen Herzstillstand erlitten hatte und nur knapp dem Tod entkommen war, entwickelte sich Hjulmand zu einer Art Fels in der Brandung - für seine Profis und eine ganze Fußballnation.
„Ich bin einfach ich selbst. Ich spreche mit den Spielern, wie ich mich fühle, über Emotionen“, sagte er danach.
Hjulmand sprach dabei auch offen über eine Tragödie in seiner Familie. Einst verstarb sein Onkel völlig unerwartet auf dem Fußballplatz durch einen Herzinfarkt.
„Ich habe auch einen Psychologen gehabt, der mir geholfen hat. Aber die Leute, die mir helfen, sind in meinem Team. Wir sind eins“, betonte Hjulmand. Die Sympathien flogen ihm und seiner Mannschaft anschließend auf dem mitreißenden Weg ins EM-Halbfinale zu.
Sein „empathischer Stil“ soll Leverkusen helfen
Es sind genau diese Soft Skills, die ihn vielleicht von einigen verbisseneren Kollegen unterscheiden.
Und auf die nun auch Bayer Leverkusen beim Neustart nach dem frühen Ende des Missverständnisses mit Erik ten Hag setzt. „Von dem transparenten, kommunikativen und empathischen Stil“ werde die komplett runderneuerte Werkself „profitieren“, glaubt jedenfalls Klubchef Fernando Carro.
Wie schnell seine Maßnahmen greifen, wird sich schon am Freitag zeigen, wenn Hjulmand zum Auftakt des 3. Spieltags gegen die stark gestartete Frankfurter Eintracht (20.30 Uhr im LIVETICKER) sein Debüt an der Seitenlinie geben wird.
Viele von denen, die in den vergangenen Jahren mit Hjulmand arbeiteten, schwärmen in den höchsten Tönen.
Der 53-Jährige sei „ein richtig guter Trainer, aber dazu auch ein Freund der Spieler“, sagt etwa Wolfsburgs dänischer Nationalspieler Joakim Maehle. Simon Kjaer, lange Kapitän der Nationalelf, bezeichnete seinen Ex-Coach als „außergewöhnlich“. Er denke „rund um die Uhr an Fußball“. Aber: Hjulmand habe auch gezeigt, „dass er viel mehr als das ist“.
Hjulmands Naturell wurde ihm schon negativ ausgelegt
Seinen größten Erfolg auf Klubebene feierte er 2012, als er den FC Nordsjaelland überraschend zur Meisterschaft führte. Als Trainer der dänischen Nationalmannschaft geriet er nach den insgesamt dürftigen Vorstellungen bei den vergangenen Turnieren im Anschluss an die EM 2021 aber auch in die Kritik. Sowohl bei der WM in Katar als auch bei der EM im Vorjahr blieben seine Dänen sieglos.
Sein Naturell wurde Hjulmand mitunter schon negativ ausgelegt. Zu lieb sei er zu den Spielern, zu ruhig, zu wenig emotional für den Abstiegskampf - so lauteten die Vorwürfe 2015, als Hjulmand als Nachfolger von Thomas Tuchel beim FSV Mainz 05 nach knapp acht Monaten schon wieder gehen musste. Böses Blut gab es auf seiner Seite aber nicht.
Dass er emotional auch ein anderer sein kann, hat er nach dem EM-Aus bewiesen.
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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)