Zum Feiern mit dem eigenen Anhang ließ sich Robert Andrich, wie es sich für einen Kapitän gehört, noch einmal blicken und reihte sich zwischen seine Teamkollegen ein. Ohne seine gewohnte Arbeitskleidung. Trikot und Fußballschuhe hatte der 30-Jährige längst gegen ein frisches Shirt und Badelatschen getauscht, doch: Am nach einem Sieg obligatorischen Hüpfen und Schunkeln hinderte ihn das nicht. Schon gar nicht an diesem Abend.
Robert Andrichs Leichtsinnigkeit: Der Verlierer unter den Gewinnern
Der Verlierer unter den Gewinnern
Nach dem angeblich verheerenden Gesamterlebnis Erik ten Hag errangen die Leverkusener die ersten drei Punkte der neuen Saison und zeigten unter Neu-Coach Kasper Hjulmand eine beeindruckende Robustheit. Erst mit zehn Mann, die letzten Minuten dann nur noch zu neunt, entnervten sie Eintracht Frankfurt restlos (3:1) und landeten nach dem Gurkenstart in der Liga den ersehnten Befreiungsschlag. Wohin man schaute. Gelöste Gesichter fand man nach dem Schlusspfiff fast überall – mit einer kleinen Ausnahme.
Beim Gang zu den Fans machte Andrich noch gute Miene. Ganz so gut war die Laune dann aber doch nicht, wie sich kurz darauf offenbarte. Denn bei der Rückkehr in die Katakomben änderte sich seine Grundstimmung schlagartig. Das Lächeln verschwand wieder, stattdessen echauffierte er sich deutlich wahrnehmbar über eine Entscheidung des Schiedsrichters, die ihn verfrüht in den Feierabend schickte. Das Foul? Sei überhaupt keines gewesen, für das es eine Karte geben müsse, meckerte der Nationalspieler umher.
Hjulmand wollte Andrich „nicht zu sehr kritisieren“
Zu Spielbeginn startete der nicht immer unumstrittene Andrich sehr ordentlich und sorgte zunächst mit Exequiel Palacios, später mit Aleix Garcia dafür, dass die Werkself das Zentrum dicht hielt und der Eintracht kaum Chancen gewährte. Defensiv war er stets zur Stelle, wenn er gefordert war. Vorne half er bei wichtigen Pressingaktionen. Doch zwei leichtsinnige Szenen, die ihm so nicht passieren dürfen, stellten seinen gesamten Abend in den Schatten und wandelten ihn sozusagen zum Verlierer unter den Gewinnern.
In der 19. Minute behinderte der Mittelfeldspieler SGE-Keeper Michael Zetterer bei dessen Versuch, das Spiel nach einer Ecke zu beschleunigen, und kassierte dafür die Gelbe Karte. Nach rund einer Stunde legte er sich dann den Ball selbst zu weit und räumte Ritsu Doan voll ab. Nicht sonderlich clever. Folgerichtig zückte Referee Deniz Aytekin die Ampelkarte – und Andrich schwächte seine Mannschaft in einer enorm wichtigen Phase gewaltig. All das geschah auch noch vor den Augen von Bundestrainer Julian Nagelsmann.
Hjulmand wollte die Tatsache, dass die Leverkusener nach dem Platzverweis mehr in Bedrängnis gerieten, „nicht zu sehr kritisieren“. Für den Dänen sei es auch „kein Thema“ gewesen, mit Andrich in der Pause über die Möglichkeit einer Gelb-Roten Karte zu reden. Dafür habe dieser zu viel Erfahrung. Auf die Frage, ob es für ihn persönlich ein Traum-Debüt war, antwortete Hjulmand aber: „Ich denke nicht.“ Unter anderem wegen des Platzverweises, durch den Andrich zunehmend unter Beobachtung steht.
Hjulmand lässt die Kapitänsfrage offen
Am angefressensten war daher der Spieler selbst. Dass er seine Position mit diesem Spiel nicht zwingend gestärkt hatte, sei Andrich, der seinen Fehler später gestand, durchaus bewusst. Denn in den vergangenen Wochen wurde die Kapitänsfrage intensiv diskutiert. Nach den Abgängen von Lukas Hradecky, Jonathan Tah sowie Granit Xhaka erhob Ten Hag ihn in das Amt und bisher füllte er diese Rolle vor allem verbal mit Leben. Nach dem ernüchternden Spiel in Bremen legte Andrich mit seinen deutlichen Worten den Finger in die Wunde.
Zur Entlassung ten Hags trugen Andrichs harte Aussagen wohl nicht mehr bei – das Verhältnis zwischen dem Ex-Trainer und dem Verein war ohnehin schon auf allen Ebenen zerrüttet. Die Konsequenz lautet allerdings: Das Aus seines Befürworters dürfte seine Position etwas verschlechtert haben. Hjulmand umschiffte das Thema jedenfalls geschickt. Nicht zuletzt aus sportlichen Gründen, weil auf der Doppelsechs auch mal andere Spieler zum Zug kommen könnten.
„Wir werden Konkurrenzkampf haben und rotieren“, betonte Hjulmand kurz nach seinem Amtsantritt. „Wenn man sich die Teams in der Champions League anschaut, dann wechseln sie von Spiel zu Spiel auf vier, fünf Positionen. Und in Bezug aufs Kapitänsamt werden wir ein Kapitänsteam schaffen. Wir werden eine starke Gruppe von Kapitänen aufbauen, aber darüber sprechen wir später.“ So ließ sich der 53-Jährige alle Türen offen und moderierte einen möglichen Wechsel des Spielführers ab.
Andrichs größter Konkurrent fällt aus
Dennoch sei Andrich nicht mehr der alleinige Kapitän. Mark Flekken, Loic Badé, Edmond Tapsoba, Palacios, Alejandro Grimaldo, Patrik Schick und Lucas Vazquez zählt Hjulmand fortan zur Gruppe seiner Führungsspieler. Der neue Coach vollbrachte es auf diese Art, Andrich nicht als Kapitän zu bestätigen, ohne ihm das prestigeträchtige Amt gleich wieder zu nehmen. Spannend bleibt jedoch die Frage, was zum Auftakt der Champions League in Kopenhagen passiert (Do., ab 18 Uhr im LIVETICKER).
Gegen Frankfurt zog sich Palacios - Andrichs größter Konkurrent auf der Doppelsechs - eine Muskel-Sehnenverletzung zu und fällt bis mindestens Januar aus. Zudem flog auch Neuzugang Ezequiel Fernandez vom Platz und muss in der Liga ein Spiel zuschauen. So verfügt Hjulmand beim Gastspiel in seiner dänischen Heimat über zwei naheliegende Optionen. Entweder nutzt er die Situation zur Rotation und bietet das am Wochenende gesperrte Duo Andrich und Fernandez in der Zentrale auf. Oder Hjulmand entscheidet sich für das Gegenteil.
Dann könnten neben dem zunächst gesetzten Garcia entweder Malik Tillman oder Axel Tape aushelfen. Letzteres würde bedeuten, dass Andrich in einer Mannschaft, die sich gerade findet, zweimal in Folge nicht zum Zug kommt und gleich den nächsten Rückschlag erleidet. Aber so oder so: Derzeit sportlich schwächelnde Andrich sollte sich in naher Zukunft nicht zu viele weitere Aussetzer wie am Freitag erlauben. Sonst kochen die Themen um seine Person noch mehr hoch.