Die Bilanz ist nahezu ausgeglichen. Nur ein mickriges Spiel absolvierte Thomas Helmer für den FC Bayern (191 Einsätze; dabei 24 Tore, 14 Vorlagen) in der Bundesliga mehr als für Borussia Dortmund (190; dabei 16 Tore, 15 Vorlagen). Titel gewann der Europameister von 1996 mit beiden Vereinen.
"Bayern muss über ihn nachdenken": Thomas Helmer rät dem FC Bayern zu Schlotterbeck-Verpflichtung
„Bayern muss über ihn nachdenken“
Im exklusiven SPORT1-Interview spricht Helmer über das Spitzenspiel und erklärt, wer dem FC Bayern so richtig wehtun könnte. Außerdem betont er, wieso ein Titel mit dem BVB höher einzuordnen ist. Beim Thema Schlotterbeck gibt es für Helmer „keine Diskussion“. Und auch zu Florian Wirtz hat der 60-Jährige eine klare Meinung.
Der BVB könnte die Bayern “am ehesten ärgern”
SPORT1: Ihre beiden Ex-Vereine treffen aufeinander: Der FC Bayern empfängt am Samstag Borussia Dortmund zum „deutschen Klassiker“ – was halten Sie eigentlich von dieser Bezeichnung?
Thomas Helmer: Bayern und der BVB sind die beiden Mannschaften, die die Bundesliga in den letzten zehn bis 15 Jahren geprägt haben. Das echte „El Clásico“, Barca gegen Real Madrid, ist für mich aber nochmal eine andere Hausnummer. Aber: Aktuell gibt es in Deutschland nichts Besseres. Warum also nicht?
SPORT1: Wie schätzen Sie das Kräfteverhältnis ein?
Helmer: Bayern ist der klare Favorit. Aber: Dortmunds Serie geht in meinen Augen etwas unter. Der BVB ist für mich aktuell der Verein, dem ich am ehesten zutraue, die Bayern ärgern zu können. Und damit meine ich nicht nur, einen Punkt in München zu holen, sondern vielleicht sogar drei.
Helmer: „Hängt viel von Guirassy ab“
SPORT1: Was würden Sie dem BVB empfehlen? Voll auf Sieg gehen, um das Meisterschaftsrennen offen zu halten oder reicht in München vielleicht auch ein Punkt?
Helmer: Mit der Vorgabe kannst du in kein Spiel gehen. Dann ergibst du dich davor schon. Das Ziel muss immer sein, zu gewinnen. Die Dortmunder sind mit Kovac stabil geworden. Und das ist immens wichtig, gerade gegen die bayerische Offensivpower. Für mich hängt ganz viel von Guirassy ab. Er kann Bayern richtig wehtun.
Kane? „Der Typ ist Wahnsinn“
SPORT1: Es ist natürlich auch das Duell zwischen Serhou Guirassy und Harry Kane. Gegen wen hätten Sie früher am wenigsten gern verteidigt?
Helmer: Ich wäre an beiden abgeprallt (lacht). Bei Kane hast du als Abwehrspieler das Glück, dass er sich auch mal weiter zurückfallen lässt und du nicht immer sein direkter Gegenspieler sein musst. Bei Guirassy ist das nicht so. Der lauert vorne, ist extrem kaltschnäuzig und kaum vom Ball zu trennen. Trotzdem: Kane ist für mich der komplettere Spieler, der köpft auch mal die Bälle aus dem eigenen Strafraum und bereitet mehr vor. Er spielt mannschaftsdienlich. Kane würde auch rechter Verteidiger spielen, wenn er dem Team damit weiterhelfen könnte. Und ich glaube, dass er das sogar spielen und von dort Tore schießen könnte. Der Typ ist Wahnsinn. Aber wie gesagt: Für mich wären beide eine große Herausforderung gewesen.
BVB wird “in München nicht untergehen”
SPORT1: Haben Sie Sorge, dass das Meisterschaftsrennen langweilig werden könnte?
Helmer: Jeder spricht immer davon, dass es langweilig werden könnte. Dortmund könnte es aber auch richtig spannend machen. Für den BVB ist dieses Spiel eine Riesen-Chance.
SPORT1: Besteht denn die Gefahr, dass der BVB, wie nicht selten in den letzten Jahren, eine Abreibung in München bekommt? Oder ist die Mannschaft zu stabil?
Helmer: Niko (Kovac; Anm. d. Red.) weiß, wie man in diese Spiele geht, und das kann der Mannschaft ungemein helfen. Ich glaube nicht, dass der BVB in München untergehen wird. Sie können stolz darauf sein, was sie zuletzt geleistet haben. Und ganz ehrlich: Zweite Kraft in Deutschland zu sein, ist alles andere als schlecht. Diese Position erarbeiten sie sich gerade wieder. Beide Teams sind in einer guten Form. Alles spricht für ein richtiges Topspiel.
Schlotterbeck? „Bayern muss über ihn nachdenken”
SPORT1: In der deutschen Nationalmannschaft bildeten Jonathan Tah und Nico Schlotterbeck zuletzt das Innenverteidiger-Duo. Wer ist denn aktuell der beste deutsche Innenverteidiger?
Helmer: Ich will das gar nicht ranken. Die beiden passen und ergänzen sich einfach wahnsinnig gut. Die Nationalmannschaft und Julian Nagelsmann können froh sein, dass sie so ein Duo haben.
SPORT1: Wäre das nicht auch die perfekte Lösung für den FC Bayern?
Helmer: Bayern muss über ihn (Schlotterbeck; Anm. d. Red.) nachdenken. Er ist Nationalspieler, Führungsspieler, Linksfuß und immer noch sehr jung. Für mich gibt es da gar keine Diskussion.
SPORT1: Sie wurden mit dem FC Bayern dreimal Deutscher Meister, Pokalsieger und haben den UEFA Cup gewonnen. Mit dem BVB konnten Sie den Pokal und den deutschen Superpokal gewinnen. Sind Titel mit Dortmund mehr wert als mit dem FC Bayern?
Helmer: Bei den Bayern kommt das, abgesehen von der Ausnahme-Saison von Leverkusen, deutlich öfter vor. Deshalb ist ein Titel mit dem BVB schon höher einzuordnen - ohne die Meisterschaft schmälern zu wollen. Dass du nach 34 Spieltagen so oft ganz oben stehst, ist eine großartige Leistung.
Wirtz? „Wird in jeder Mannschaft funktionieren”
SPORT1: Immer mehr hoffnungsvolle Topspieler entscheiden sich für einen Wechsel nach England. Nicht zuletzt wegen der lukrativeren Verträge und der hohen Ablösesummen, die dort gezahlt werden. Warum sind Sie damals eigentlich nach Sunderland gewechselt?
Helmer: Die Engländer haben damals schon gut gezahlt, aber nicht annähernd so wie heute. Ich hatte damals auch ein Angebot vom VfB Stuttgart, aber ich wollte einfach nicht mehr in der Bundesliga spielen. Dafür war ich damals auch zu langsam und die Ansprüche in Stuttgart waren auch sehr hoch. Damit hätte ich mir vermutlich keinen Gefallen mehr getan (lacht).
SPORT1: Wie nehmen Sie die Entwicklung von Florian Wirtz wahr? Wie schwer ist es, in einer neuen Liga Fuß zu fassen?
Helmer: Für mich war das damals mehr Erholung (lacht). In Sunderland haben wir nur einmal pro Tag trainiert. Bei Florian ist das heutzutage aber eine ganz andere Konstellation. Der wird in jeder Mannschaft auf der Welt funktionieren. Meine Empfehlung: Lasst ihn einfach und dann wird er auch dort zeigen, was er kann. Herausragende Fußballer setzen sich überall durch.
SPORT1: Haben Sie einen Tipp für den „deutschen Klassiker“?
Helmer: Ich tippe auf ein 2:2 – wie im Rückspiel der vergangenen Saison.