Etwas mehr als ein bisschen Kleingeld musste Bayer Leverkusen für Ernest Poku schon auf den Tisch legen. Rund zehn Millionen Euro. Dennoch ging sein Transfer fast unter, so viel passierte im Sommer. Da waren die namhaften Abgänge um Florian Wirtz, Jeremie Frimpong, Jonathan Tah und Granit Xhaka. Und da waren die unzähligen Neuzugänge, die helfen sollten, jede entstandene Lücke wieder zu schließen. Manche schneller, manche erst nach einer gewissen Eingewöhnungszeit.
Bei ihm muss Julian Nagelsmann genau hinschauen
Auch ein Thema für Nagelsmann?
Der 21-Jährige galt dabei als einer der Akteure, die in der zweiten Kategorie zu verorten waren: jung, offensichtlich talentiert und entwicklungsfähig. Aber eben noch keine verlässliche Soforthilfe. Also niemand, von dem auf der Bühne Bundesliga auf Anhieb Wunderdinge erwartet wurden, sondern eine Investition in die Zukunft. Zumal Poku vorher in der Eredivisie in seiner niederländischen Heimat keine Bäume ausriss.
In 47 Einsätzen für seinen Ex-Klub AZ Alkmaar gelangen ihm drei Tore und sechs Vorlagen. Eine übersichtliche Ausbeute, entsprechend lag der Fokus auf anderen Neuzugängen. Etwa auf Lucas Vázquez, Malik Tillman oder Loic Badé, die die Kohlen in der schwierigen Startphase der Saison aus dem Feuer holen sollten. Doch dass dies zuletzt immer besser funktionierte und Leverkusen unter Kasper Hjulmand nach wie vor ungeschlagen ist, darf sich recht unverhofft auch Poku hoch anrechnen lassen.
Poku: „Ich habe viel Selbstvertrauen getankt“
Obwohl sein Spiel noch einige unausgereifte Aspekte aufweist, bringt Poku schließlich Komponenten mit, die sonst fast niemand in dieser Form bieten kann – und die für ihn, oft als direkter Frimpong-Ersatz betitelt, auch quasi zwingend sind: eine beachtliche Stärke im Eins-gegen-Eins und eine ungeheure Geschwindigkeit. Im Juni wurde der niederländische Junioren-Nationalspieler bei der U21-EM mit 35,3 km/h geblitzt und als der schnellste Spieler des Turniers gelistet. Ein Tempo, auf das Bayer zurzeit nicht verzichten kann.
Vor allem nicht, weil Nathan Tella, der andere Turboläufer des Teams, in den vergangenen Wochen ausfiel. So rückte Poku, eigentlich eine große Unbekannte, nach anfänglichen Joker-Einsätzen und seinem Premierentreffer beim 2:1 gegen St. Pauli plötzlich in die Startelf und erledigte seine Aufgabe überaus gut. Gegen Eindhoven (1:1) war der Youngster gleich wieder einer der Aktivposten und belohnte sich kurz vor der Länderspielpause noch einmal. Poku schoss gegen Union Berlin (2:0) das wichtige Führungstor.
„Ich habe viel Selbstvertrauen getankt“, sagte Poku nach seinem Start in Leverkusen, der ihn womöglich nicht nur im Kurs von Hjulmand schnell steigen lässt. Denn schon jetzt lässt sich sagen: Mindestens drei weitere Trainer wären wohl nicht ganz schlecht beraten, bei dem auf beiden Flügeln einsetzbaren Spieler künftig etwas genauer hinzuschauen. Warum? Weil seine Perspektive in der Nationalelf völlig offen scheint – und ihn gar zum Deutschen Fußball-Bund (DFB) führen könnte.
Spielt Poku eines Tages für die DFB-Elf?
Zumindest schloss der in Hamburg geborene Poku dies nicht aus. „Das wäre natürlich durchaus möglich, aber im Moment konzentriere ich mich nur auf Oranje“, sagte er kürzlich dem niederländischen Portal Voetbalzone, als er auf das Thema angesprochen wurde, und fügte hinzu: „Was passiert, passiert.“ Kontakt zum DFB habe es noch nie gegeben. Genauso wenig wie zum ghanaischen Verband, dem er sich ebenfalls anschließen könnte. Seine Eltern stammen aus dem westafrikanischen Land.
Für alle drei Nationen – die Niederlande, Deutschland und Ghana – wäre er also theoretisch spielberechtigt. Poku selbst lebte bis zu seinem sechsten Lebensjahr in Deutschland, dann zog seine Familie nach Amsterdam. In den Altersklassen U16, U18 und U19 sowie der U21 vertrat er die Niederlande. Dennoch ist ein Verbandswechsel offenbar nicht ausgeschlossen. Für die Elftal wurde er bislang jedenfalls nicht nominiert. Wohl auch, weil die Konkurrenz, gerade auf der rechten Außenbahn, groß ist. Denzel Dumfries und Jeremie Frimpong sind dort die klaren Platzhirsche - und als Schienenspieler vorne wie hinten zu finden.
Ganz anders beim DFB-Team. Die Diskussionen darüber, wer auf der rechten Seite spielen soll, begleiten die Auswahl seit Jahren. Früher eng mit der Personalie Philipp Lahm verbunden, sind diese mittlerweile bei Joshua Kimmich gelandet. Soll der Kapitän lieber hinten rechts spielen oder gibt es dort eine andere Lösung, sodass Kimmich ins zentrale Mittelfeld beordert werden kann? Alles oft genug gehört. Ob Poku für mehr Klarheit sorgen könnte, wird erst die Zeit zeigen. Die Anlagen des Leverkuseners scheinen jedoch so interessant zu sein, dass es fast fahrlässig wäre, nicht darüber nachzudenken.
Dem DFB gingen zuletzt einige Talente verloren
Notwendig wäre wohl nur, dass sich Bundestrainer Julian Nagelsmann für ein System mit einer Dreierkette entscheidet. Andernfalls dürfte der offensiv denkende Spieler eher nicht für die klassische Position des Rechtsverteidigers infrage kommen. Eine zentrale Grundsatzfrage, die Poku gelassen verfolgen wird. „Ich beschäftige mich eigentlich nicht damit, aber es wäre schön, dabei zu sein. Ich arbeite jeden Tag hart und gebe mein Bestes bei Bayer 04 Leverkusen und Jong Oranje. Sollte ich es letztendlich schaffen, wäre das sehr schön“, sagte er mit Blick auf eine mögliche Teilnahme an der WM 2026.
Für Poku heißt es nun ohnehin erst einmal, seine zuletzt guten Leistungen langfristig zu bestätigen und die Fehlerquellen zu minimieren. Und für die DFB-Beteiligten, die Augen offenzuhalten und lieber zu früh als zu spät anzuklopfen. Bekanntlich gilt ja auch im Fußball: Fragen kostet nichts. Eine Redewendung, die umso wichtiger erscheint, nachdem dem deutschen Verband jüngst immer wieder vielversprechende Talente wie Can Uzun, Kenan Yildiz oder Fisnik Asllani durch die Lappen gegangen sind.