Alles schaut am Samstagabend auf den deutschen Clásico zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund. Dazu aber musste diese Paarung auch erst einmal werden. Am 12. Oktober 1991, vor 34 Jahren, war sie es noch nicht.
Uli Hoeneß' "größter Fehler" beim FC Bayern veränderte den Lauf der Geschichte
Hoeneß‘ „größter Fehler“ und Folgen
Damals sagte der Dortmunder Trainer, ein gewisser Ottmar Hitzfeld: „Wo sollen wir denn sonst gewinnen, wenn nicht in München?“ Solche Zeiten hat es wirklich gegeben. Auch, weil die Bayern in der sportlich größten Krise auf einen Anfänger auf der Trainerbank vertrauten, der an diesem Tag sein Debüt gab.
Verwundbarer ist der FC Bayern nie gewesen als im Herbst 1991. Der Weggang diverser Leistungsträger und das Karriere-Ende von Kapitän Klaus Augenthaler rissen in München damals Löcher, die größere Ausmaße annahmen, als zu ahnen war.
Zweitligist FC Homburg (im Pokal) und die Aufsteiger Hansa Rostock, Stuttgarter Kickers und Dynamo Dresden hatten schon im Olympiastadion gewonnen. Platz zwölf war die Konsequenz des Katastrophenstarts - und ein Trainerwechsel.
Manager Uli Hoeneß warf seinen guten Freund und Weggefährten Jupp Heynckes raus, was er Uli Hoeneß noch Jahrzehnte später als „meinen größten Fehler“ bezeichnete. Wohl auch deshalb holte er den späteren Triple-Trainer bekanntlich noch dreimal zurück - die Geschichte dankte es ihm.
Lerby: Hoffnungsträger ohne Erfahrung
Ein Rückkehrer war im Herbst 1991 auch der Mann, der Heynckes ersetzen sollte: Sören Lerby.
Der war den Fans aus seinen aktiven Zeiten in München nur zu gut bekannt: als emotionaler Antreiber mit einem knallharten Linksschuss. Mit dem fröhlichen und ehrgeizigen Dänen („Zweiter zu werden ist als wenn Du Deine Schwester küsst“) wurden die Bayern 1984 Pokalsieger sowie Meister 1985 und 1986. Dann zog es ihn heim.
Die Fachwelt wunderte sich: Warum holt Bayern einen 33-Jährigen ohne jede Trainererfahrung? Hoeneß aber fand das Experiment lohnenswert: „Jetzt brauchen wir Glück. Lerby hat keine Erfahrung. Aber ich bin überzeugt davon, dass er die Mannschaft neu begeistern kann.“
Hoeneß hatte ihn zudem den Kölnern vor der Nase weggeschnappt. Der dortige Sportdirektor Udo Lattek hielt viel von Lerbys Fähigkeiten, und da war es Hoeneß eine Genugtuung, seinem einstigen Trainer eins auszuwischen. Doch die Kölner waren hinterher ganz froh darüber, wie es gekommen war.
BVB-Coach Hitzfeld spottete
Lerby handelte selbstbewusst eine Meisterprämie von 100.000 DM aus zum Gehalt von 35.000 DM und postulierte: „Ich will System und Ordnung reinbringen. Ich will keinen Schönheitspreis, wir brauchen Punkte.“
Dabei hatte er nicht mal eine Lizenz, was Kollege Hitzfeld zum Spott reizte: „Ein Trainer ohne Lizenz. Wenn das so weitergeht, sitzt demnächst noch ein Taxifahrer auf der Bank.“ Der Bund Deutscher Fußballlehrer legte sogar Beschwerde ein.
Das Experiment rächte sich, von einem „Neue-Besen-Effekt“ war nichts zu spüren, auch wenn Jung-Profi Stefan Effenberg anfangs daran glaubte: „Ein Trainerwechsel gibt immer Auftrieb.“ Das erste Spiel sprach dem Hohn.
Höchste Heimpleite der Bayern gegen den BVB
Der Ex-Münchner Michael Rummenigge läutete vor nur 27.000 Zuschauern im dreimal so viele Menschen fassenden Olympiastadion die nächste Heimpleite der Bayern ein (25.), Lerbys Landsmann Fleming Povlsen stabilisierte aus 30 Metern die Führung (47.) und ein Slapstick-Tor sorgte für die Entscheidung.
Bayerns Ersatzkeeper Gerald Hillringhaus, der den am Knie operierten Raimond Aumann vertrat, schoss Verteidiger Markus Münch an und der Ball flog in hohem Bogen ins eigene Tor. Lerbys Debüt wurde zum Desaster, bis heute hat Bayern nie höher daheim gegen den BVB verloren (2014 wurde das 0:3 eingestellt).
Hoeneß wunderte sich darüber schon nicht mehr. Er gab später zu: „Als ich sein schlechtes Deutsch bei der ersten Spielersitzung hörte, wusste ich: Das wird nix.“
Lerby war überfordert und überforderte auch die Spieler mit seiner damals in Deutschland noch ungewohnten Taktik ohne Libero. Weltmeister Thomas Berthold, der Abwehrchef, meuterte: „Es muss einer hinten drin stehen. In unserer Situation ist es sehr gewagt, mit vier Mann auf einer Linie zu spielen.“
Hermann Gerland debütierte mit Lerby
Erstmals auf der Bayern-Bank als Co-Trainer zu sehen war an diesem Tag übrigens Hermann Gerland, der als Strohmann herhalten musste. Der „Tiger“ wenigstens hatte ja die vom DFB geforderte Lizenz. Wobei das Duo zwecks Nähe eigentlich auf Klappstühlen dicht am Spielfeldrand saß (Lerby: „Weil meine Spieler wissen und sehen sollen, dass ich zu ihnen gehöre“).
Das Motiv ließ sich damals kein Fotograf entgehen. Jedenfalls änderte die neue Sitzordnung nichts zum Guten.
Nach dem Spiel titelte die Bild am Sonntag: „Lachnummer Bayern“. Uli Hoeneß gab als neues Saisonziel Platz 15 aus und Dortmunds Thomas Helmer, der ein Jahr später Münchner wurde, sagte: „Gegen so einen Gegner kann man nur gut aussehen. Die Bayern tun mir leid.“
Szenen und Worte aus einer anderen Zeit des Fußballs, als Dortmunder mit Bayern noch Mitleid hatten.
Die Niederlage leitete eine einmalige Erfolgsgeschichte ein
Im März 1992 beendete der Rekordmeister das Missverständnis mit dem fröhlichen Dänen, der in 15 Spielen auf den niedrigsten Schnitt aller Bayern-Trainer (0,86 Punkte) kam.
Die Amtszeit von Lerby, die wahrlich keine Ära war, hatte allerdings ihr Gutes. In der Krise bündelten die Bayern alle Kräfte und stellten ihre Führung neu auf: Klub-Legende Franz Beckenbauer wurde als Vize-Präsident zurückgeholt, denselben Job bekam der 36 Jahre junge Karl-Heinz Rummenigge.
In der Saison 1992/93 ging es nach einer Transfer-Offensive (Helmer, Mehmet Scholl, Markus Schupp, Jorginho) und der Rückkehr von Lothar Matthäus im Herbst wieder aufwärts bei Bayern. Bald darauf begann bei Bayern und dem BVB die Ära, die den Konkurrenzkampf zum „deutschen Klassiker“ machte.