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Mit dieser rasanten Entwicklung war kaum zu rechnen

Eine wahnsinnige Entwicklung

Weil Victor Boniface weg ist und Patrik Schick der Oberschenkel zwickt, spielt in Leverkusen aktuell ein Spieler im Sturmzentrum, der vor einem Jahr nicht mal in der Nähe des Profifußballs war. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer atemberaubenden Entwicklung.
Nach dem Champions-League-Remis gegen die PSV Eindhoven sind bei Leverkusen und Simon Rolfes die vielen Muskelverletzungen ein Thema.
Weil Victor Boniface weg ist und Patrik Schick der Oberschenkel zwickt, spielt in Leverkusen aktuell ein Spieler im Sturmzentrum, der vor einem Jahr nicht mal in der Nähe des Profifußballs war. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer atemberaubenden Entwicklung.

Das Bild, das sich am späten Samstagnachmittag in den Katakomben der BayArena bot, hätte auch nach einer gelungenen Familienfeier entstehen können. Edmond Tapsoba, lächelnd und sichtlich stolz, stellte sich gemeinsam mit Christian Kofane für ein Interview hin und nahm ihn herzlich in den Arm. Ganz normale Teamkollegen oder doch sein kleiner Bruder? Beides schien auf den ersten Blick durchaus möglich.

„Ich denke, er ist jemand, der viel lernen möchte, besonders nach dem Training. Er versucht, mehr Schüsse abzugeben und Selbstvertrauen zu gewinnen“, verriet Tapsoba den klubeigenen Medien, als er nach dem souveränen 2:0 der Leverkusener gegen Union Berlin auf den 19 Jahre alten Durchstarter angesprochen wurde. „Und ich freue mich, dass er heute getroffen hat und dem Team geholfen hat, zu gewinnen. Also Glückwunsch und weiter so.“

Dann stürmte auch Abwehrspieler Jeanuel Belocian vor die Kamera und knuddelte Kofane einmal durch. „Ich freue mich genauso sehr für dich“, sagte der Franzose dabei. Glücklich waren offenbar alle. Natürlich wegen dessen, was zuvor passierte. Denn Kofane, im Sommer als Stürmer Nummer drei zur Werkself gestoßen, erlebte eine Woche, die er vor einem Jahr wahrscheinlich nicht mal in seinen absurdesten Träumen zusammenbekommen haben dürfte. Eine mit zwei überzeugenden Starteinsätzen und gleich zwei pfiffigen Treffern.

Kofane spielte noch vor einem Jahr in Kamerun

Gegen Union nutzte der Kameruner kurz nach der Pause einen kapitalen Patzer von Keeper Frederik Rönnow aus. Als der Däne direkt vor dem Tor einen Rückpass aufnahm, um ihn zu einem Mitspieler weiterzuleiten, rechnete er offenbar nicht damit, dass Kofane in der Szene blieb und den Passweg zustellte. So landete die Kugel genau in den Füßen des Angreifers, der Rönnow umkurvte und locker einschob. Die Tatsache, dass er Alejandro Grimaldo im ersten Durchgang ungewollt ausknockte, war zu diesem Zeitpunkt bereits vergessen.

Dank Kofanes Handlungsschnelligkeit vor dem 2:0 schaffte es Leverkusen auch ohne Grimaldo, den Vorsprung über die Restzeit zu bringen und den Aufwärtstrend fortzuführen, der noch am Mittwoch leicht gedämpft wurde. Beim 1:1 in der Champions League gegen die PSV Eindhoven. Auch da traf der Neuzugang und stellte seine Fähigkeiten als Ballklauer erstmals unter Beweis, als er das Leder im gegnerischen Sechzehner gewann. Weil Bayer die Führung aber wieder aus der Hand gab, avancierte er nur zum Beinahe-Matchwinner.

Hundertprozentig zufrieden war Kofane, ein ruhiger und introvertierter Zeitgenosse, deswegen nicht. Dennoch zeigte seine anschließende Reaktion, welchen bemerkenswerten Weg er innerhalb weniger Monate bewältigt hat. „Eigentlich wollte ich weinen, aber ich habe mich wieder gefasst, um weiterzumachen und dem Team zu helfen“, beschrieb er später seine Emotionen nach dem Treffer. „Ich musste mich wieder zusammenreißen, weil das Spiel noch nicht vorbei war.“ Für ihn? Der vorläufige Höhepunkt einer unglaublichen Geschichte.

Noch bis November des vergangenen Jahres kickte der junge Mittelstürmer in seiner Heimat beim AS Nylon aus Douala, der größten Stadt Kameruns, ehe er zur U19-Mannschaft von Albacete Balompié in Spanien wechselte und Anfang dieses Jahres nach starken Eindrücken gleich zu den Profis des Zweitligisten aufrückte. Und schon dort präsentierte sich Kofane als Prototyp eines Durchstarters. Sein erstes Tor schoss er nach exakt 114 Sekunden. Am Ende seiner Debütsaison standen acht Treffer in 20 Einsätzen zu Buche.

Auch Real Madrid soll Kofane beobachtet haben

Lange dauerte es nicht, bis zahlreiche Top-Klubs auf der Matte standen. AC Mailand, der FC Chelsea, der FC Porto, Benfica Lissabon, die AS Monaco und sogar die Königlichen von Real Madrid sollen ihre Fühler ausgestreckt haben. Den Zuschlag erhielt jedoch Bayer. Hinter Victor Boniface und Patrik Schick hätte sich der Youngster in Ruhe einfinden und im Laufe der Spielzeit zu einer echten Alternative entwickeln können – lautete jedenfalls die ursprüngliche Idee. Doch wie es bei Kofane anscheinend die Regel ist, ging auch im Rheinland alles rasend schnell.

Boniface ist mittlerweile nach Bremen verliehen und Schick wegen einer Faszienverletzung im linken Oberschenkel vorübergehend zum Zuschauen verdammt. Entsprechend sicher darf Kofane, der zwar manchmal noch etwas ungestüm wirkt, mit seiner agilen und technisch versierten Art aber schon während der Vorbereitung auf sich aufmerksam machen konnte, den Platz im Sturmzentrum momentan für sich beanspruchen. Eine unverhoffte Chance, die er überraschend gut nutzt. Wohl auch deutlich besser, als es die Bosse in Leverkusen selbst dachten.

Bis jetzt stand Kofane in allen neun Pflichtspielen auf dem Platz und kommt nach 275 Minuten auf drei Treffer sowie zwei Vorlagen – inklusive der Höhepunkte. Auf sein erstes Champions-League-Tor folgte nun das erste Tor in der Bundesliga. So hat sich der Stürmer in weniger als einem Jahr von einem in Douala spielenden Nobody zu einer wahrhaftig besonderen Nummer im europäischen Fußball entwickelt. Und wenn er weiterhin so hart an sich arbeitet wie Tapsoba behauptet, könnte sein Märchen immer noch ganz am Anfang stehen.