Wenn es im Fußball überhaupt günstige Tage gibt, um schon in der Halbzeit ausgewechselt oder erlöst zu werden, dann hat Claudio Echeverri am Dienstag wohl einen solchen getroffen. Vor allem kurz vor der Pause lief bei Bayer Leverkusen quasi alles schief, was schiefgehen konnte. Elfmeter verschossen, Rote Karte kassiert und dann einfach überfordert gewesen. Schlecht ist das immer. Gegen Paris Saint-Germain aber besonders.
Was ist eigentlich mit dem "neuen Messi" los?
Eine viel diskutierte Personalie
Denn „das beste Team der Welt”, wie Trainer Kasper Hjulmand sagte, erteilte der Werkself eine Lehrstunde, sie wurde von spielfreudigen Franzosen einmal auf links gedreht. Nach 45 Minuten stand es 1:4 und eigentlich ging es nur noch darum, halbwegs glimpflich aus der Nummer herauszukommen. Doch selbst das gelang nicht. Auch im zweiten Durchgang gab es einen Wirkungstreffer nach dem anderen, bis es schließlich 2:7 hieß.
Ein Abend zum Vergessen für alle, die es mit Leverkusen hielten. Und für Echeverri fast noch mehr. Der hochgelobte Argentinier hatte in den vergangenen Wochen für so manches Fragezeichen gesorgt, weil er trotz starker Ansätze einfach nicht zum Zug kam. Jetzt ließ ihn Hjulmand endlich von der Leine – und band ihn schon nach einer Halbzeit wieder an. Mehr denn je stellt sich also die Frage: Was ist mit dem als Ausnahmetalent betitelten Neuzugang eigentlich los?
Echeverri wurde als „neuer Lionel Messi“ betitelt
Noch im August, als sich die Rheinländer im Werben um den 19-Jährigen behaupteten, unter anderem Borussia Dortmund ausstachen und die Leihe verkündeten, war der Hype groß. Der offensive Mittelfeldspieler gilt als eines der hoffnungsvollsten Juwele Südamerikas und trägt seit Jahren das Etikett „Ausnahmetalent“. Manche nennen ihn gar den „neuen Lionel Messi“. Vergleiche mit seinem wohl prominentesten Landsmann muss der junge Echeverri längst aushalten.
Seit Ende 2023 ist sich der Fußballfachkreis einig, dass Echeverri das Zeug zum Weltstar hat. Grundlage dieses Glaubens war die U17-Weltmeisterschaft. In sieben Einsätzen gelangen ihm fünf Tore, davon drei allein beim sensationellen 3:0-Erfolg Argentiniens im Viertelfinale gegen den Erzrivalen Brasilien. Obwohl dann im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister Deutschland Endstation war, verzückte der Youngster während des Turniers mit seiner Kreativität, enger Ballführung, Spielfreude und Treffsicherheit.
Europäische Vereine standen schnell Schlange. Mit Atlético und Real Madrid, Manchester City, Paris Saint-Germain, Juventus Turin, Inter sowie AC Mailand wurde Echeverri, der damals schon im Profiteam von River Plate spielte, in Verbindung gebracht – das Rennen machte Anfang 2024 ManCity und ließ ihn noch ein Jahr per Leihe bei seinem Ausbildungsklub weiterspielen. Dennoch reichte es nach seinem endgültigen Wechsel nach England nur zu jeweils einem Einsatz in der Premier League, im Pokal und bei der Klub-WM.
Weshalb Echeverri in Leverkusen noch nicht oft spielt
Die Lösung? Eine Leihe. Und Leverkusen als scheinbar perfekter Abnehmer. Echeverri sollte helfen, die riesige Lücke zu schließen, die der Transfer von Florian Wirtz nach Liverpool riss. Geschäftsführer Simon Rolfes schwärmte schon bei dessen Verpflichtung. Der Argentinier sei „sehr dribbelstark, mit Zug zum Tor und immer in der Lage, seine Mitspieler gewinnbringend einzusetzen. Für einen wie Claudio kommen die Fußballfans ins Stadion. Seine Kreativität wird unserem Spiel neue, attraktive Facetten verleihen“.
Wer bislang aber wirklich für Echeverri ins Stadion kam, sah den Argentinier nur selten, wie er dem Spiel neue, attraktive Facetten verlieh. Meistens saß er auf der Bank oder war beim Aufwärmen zu sehen. Erst 172 Minuten, verteilt auf sieben Spiele, stand er auf dem Rasen. Dass das Top-Talent eine etwas längere Anlaufzeit benötigt, weil er in seinem ersten Halbjahr in Europa kaum zum Einsatz kam und erst wieder Spielpraxis erlangen muss, war zu erwarten. Ein derart holpriger Beginn bei Bayer jedoch eher nicht.
Denn: Mit seiner unbekümmerten, wuseligen Art zeigte er immer wieder starke Ansätze. Doch sein Startelf-Debüt gegen PSG bewies auch, was noch fehlt. Zu oft wollte Echeverri mit dem Kopf durch die Wand, vor dem 1:3 leistete er sich einen folgenschweren Ballverlust. Ein ums andere Mal nimmt er sich künstlerische Freiheiten und agiert taktisch nicht so verlässlich, wie sich Hjulmand dies vorstellt. Deshalb setzt der Däne aktuell mehr auf diszipliniertere Akteure, um die Stabilisierung der Werkself weiter zu beschleunigen.
Echeverri verpasste die U20-WM
Was in der aktuellen Situation angesichts des Umbruchs Sinn ergibt, ist für Echeverri allerdings bitter und sorgte in Argentinien sogar für Wut. Spielpraxis hätte er wahlweise in Leverkusen oder bei der kürzlich zu Ende gegangenen U20-WM in Chile sammeln können – die Rheinländer entschieden aber letztlich, ihren Spieler nicht abzustellen. Die Begründung: Man brauche seine Dienste selbst. Doch während des gesamten Turniers durfte Echeverri unter Hjulmand nur wenige Minuten ran.
„Leverkusen. Was zum Teufel ist los mit dir? Man sagt, die Deutschen seien sehr gut vorbereitet und intelligent. Weißt du was, Leverkusen? Was ihr während dieser Weltmeisterschaft mit Echeverri gemacht habt, war wirklich dumm“, wütete der Journalist Toti Pasman bei DSPORTS. „Wenn ihr ihn zur Weltmeisterschaft gelassen hättet, würde Barcelona ihn euch heute für 50 Millionen abkaufen.“ Dass Echeverri nur ausgeliehen ist, hatte Pasman offenbar für ein paar Sekunden verdrängt.
Für Echeverri gilt es nun, den Frust abzuschütteln und sich auf das Positive zu besinnen. Denn obwohl er bei der verheerenden Pleite gegen PSG schon nach 45 Minuten vom Platz musste, war längst nicht alles schlecht. In der Offensive zählte er zu den wenigen Lichtblicken. Überzeugt er demnächst auch in der Defensive und in puncto taktischer Disziplin, könnte er den aufgrund seiner Veranlagung hohen Erwartungen in Leverkusen mit leichter Verzögerung doch noch gerecht werden.