Was auf dem Platz nicht gelang, versuchten die Leverkusener zumindest auf den Rängen: den großen FC Bayern zu kitzeln. Als die beiden Teams zum Aufwärmen hinauskamen, wiesen die mitgereisten Anhänger der Werkself aus dem oberen Eck der Allianz Arena lautstark darauf hin, dass es in der Geschichte der Bundesliga ziemlich viele Meister gab, aber eben nur einen ungeschlagenen. Die einzigen selbstbewussten Töne des Samstags. Denn ansonsten? Ergaben sich die Rheinländer ihrem Schicksal.
Die harte Bruchlandung in der Realität
Längst kein Bayern-Jäger mehr
Nachdem die Mannschaft von Kasper Hjulmand kürzlich von Paris Saint-Germain gnadenlos zerpflückt worden war, rätselten alle, die es mit dem Vizemeister halten, welchen Lerneffekt Leverkusen im zweiten Duell mit einem europäischen Schwergewicht zeigen würde. Doch am Ende zeigte die Werkself auch in München nur eine Leistung, die bei den Beteiligten und Begleitern derart starke Kopfschmerzen verursacht haben dürfte, dass diese nicht einmal mit einer handelsüblichen Dosis Aspirin zu lindern gewesen wären.
Agierte Bayer gegen die souveränen Franzosen kopflos, fehlten diesmal jeglicher Mut und die dringend nötige Überzeugung, um ansatzweise eine Chance zu haben. Vielmehr war die Diskrepanz erneut riesig – und das, obwohl der Rekordmeister mit Harry Kane, Michael Olise und Luis Díaz zunächst mehrere Schlüsselfiguren auf der Bank ließ. Ungeschönt wurde der Werkself die Wahrheit vor Augen geführt: Die Spitzenvereine, denen sie in den vergangenen Jahren so viel näher gerückt waren, sind derzeit wieder Welten entfernt.
„Es ärgert mich, wenn das so vereinfacht wird“
Simon Rolfes stritt das nach der nächsten Bruchlandung in der Realität nicht ab. „Wir waren nicht der Gegner, der wir sein wollten, und auch nicht der, der wir schon hätten sein können. Wir müssen mit mehr Selbstvertrauen, mit mehr Mut und mehr Courage spielen“, gab der Geschäftsführer nach dem 0:3 in München zu und schob hinterher: „Die absoluten Top-Acht in Europa sind in diesem Jahr nicht unsere Kragenweite.“ Allerdings habe der momentane Rückschritt seine guten Gründe.
In erster Linie der gigantische Umbruch im Sommer, die zusätzlich verlorene Zeit wegen des Missverständnisses mit Erik ten Hag und die zurzeit sehr angespannte Personallage. Letzteres veranlasste Klubchef Fernando Carro am Sonntag im SPORT1-Doppelpass noch zu einer Klarstellung, nachdem die Behauptung aufgekommen war, Leverkusen habe im Gegensatz zu Bayerns B-Elf in Bestbesetzung gespielt. „Wir waren gestern schlecht, wir waren mutlos. Doch es ärgert mich, wenn das so vereinfacht wird“, betonte Carro energisch.
Anschließend zählte der 61-Jährige Malik Tillman, Exequiel Palacios und Alejandro Grimaldo auf, „die sicher zur A-Elf gehören“ würden und Hjulmand in München hätten ersetzen müssen. Lucas Vázquez vergaß er sogar, gleiches gilt für Ezequiel Fernández. Trotzdem erntete Carro Kritik und den Vorwurf, er suche nur nach Ausreden. Denn dass man trotzdem besser auftreten muss, steht außer Frage. Fakt bleibt allerdings: Der gebürtige Spanier sprach einen Punkt an, der keine Entschuldigung sein darf, der aber wenigstens den Teil einer Erklärung darstellt.
Wofür reicht es bei Bayer?
Gerade im defensiven Bereich vermisst Hjulmand zurzeit wichtige Optionen, um angemessen rotieren zu können. Einige Spieler wie Loic Badé oder Aleix García, die wenige bis überhaupt keine Verschnaufpausen erhalten, wirken entsprechend überspielt. Doch was gegen manche Teams dieses Landes noch einigermaßen mit individueller Qualität aufgefangen werden kann, fliegt ihnen gegen Spitzenklubs wie PSG oder Bayern nun mal um die Ohren. Diese kämpfen schlichtweg in einer anderen Gewichtsklasse.
So lautet die Erkenntnis aus dem vermeintlichen Topspiel der Bundesliga: Bayern-Jäger sind die Rheinländer nicht mehr. Stattdessen ist Leverkusen wieder Leverkusen, nach zwei Jahren Meisterrennen zurück im Status eines gehobenen Bundesliga-Teams, für das es letztlich nur um den Einzug in die Champions League geht. Mindestens Platz vier und die erneute Qualifikation für die Königsklasse sind der Maßstab dafür, ob die Saison eine erfolgreiche wird. Die Gegner kommen dabei nicht aus München, sondern aus Dortmund, Leipzig, Stuttgart oder Frankfurt.
Ob es auch gegen diese Konkurrenz reicht? Das Potenzial scheint trotz des Klassenunterschiedes am Samstag da. Aktuell hat Bayer sogar einen Punkt mehr auf dem Konto als nach dem neunten Spieltag der Vorsaison unter Xabi Alonso. Dennoch ist die Lage schwer einzuschätzen. Wie groß der Rückschritt ist und wie weit Bayer von der nationalen Spitze entfernt ist, ist offensichtlich. Wie viele Teams zwischen Leverkusen und den Münchnern stehen, werden aber erst die nächsten Wochen zeigen.