Es war ein Auftritt zwischen Fluch und Segen für Joao Palhinha. Nach der erneuten Verletzung von Pechvogel Aleksandar Pavlovic durfte der Sommer-Neuzugang in der Champions League zum ersten Mal in der Startelf auflaufen und absolvierte erst zum dritten Mal mehr als zwanzig Minuten für den FC Bayern München.
Neuer Stoff für die Kritiker
„Jetzt kann Palhinha, auch mit der Ruhe zeigen, was in ihm steckt. Ich glaube, dass er mit der Mannschaft wachsen wird und man ihn noch lange nicht in Bestform gesehen hat“, sprach Experte Michael Ballack vor dem Spiel bei DAZN noch von einer großen Chance für den Portugiesen, sich in einem großen Spiel zu beweisen.
Zurückhaltender Palhinha lässt Stabilität vermissen
Doch bei der 1:4-Niederlage gegen den FC Barcelona blieb ein positiver Effekt auf das Spiel des Rekordmeisters weitestgehend aus. Die Physis von Palhinha verpuffte, während der defensive Mittelfeldspieler in der ersten Halbzeit beinahe unsichtbar blieb, häufig dem Ball hinterherlief und risikoreiche Pässe vermied.
Bis zu seiner Auswechslung in der 60. Spielminute kam Palhinha entsprechend nur auf 30 Ballkontakte. Ein eklatanter Unterschied zu Youngster Pavlovic, der mit seiner Dynamik häufig ähnlich aktiv wie Joshua Kimmich auftritt.
Symbolisch für den Auftritt gegen Barca war auch das dritte Gegentor kurz vor der Pause, bei dem Palhinha passiv wirkte. Insgesamt gelang es ihm nicht, das Mittelfeld zu stabilisieren und den beiden Innenverteidigern die Arbeit zu erleichtern.
„Hat etwas mit Spielintelligenz zu tun“
„Vor allem in Sachen Aggressivität hätten wir präsenter sein müssen, weil Barca eine Mannschaft ist, die uns mit langen Bällen, die zu Lewy (Robert Lewandowski, Anm. d. Red.) durchrutschen, wehtun kann. Auch, weil sie mit schnellen Spielern wie Raphinha dann da sind. Gerade im Mittelfeld muss die Aggressivität gegen spielstarke Mannschaften wie Barcelona einfach da sein. Da hat ein bisschen was gefehlt bei uns. Das war ein Punkt, den wir haben vermissen lassen“, kritisierte Manuel Neuer die Leistung der Mannschaft nach der Partie.
Auch Ballack merkte hinsichtlich der Defensive an: „Ich kann nicht immer sagen: Wir pressen immer und halten die letzte Linie immer hoch. Manchmal geht das nicht. Manchmal passieren Fehler vorher. Und das hat etwas mit Spielintelligenz zu tun. Dass ich Selbstverantwortlichkeit im Spiel habe und die Spieler das erkennen und ihre Spieler davor führen. Da fehlt mir beim FC Bayern manchmal – ich will nicht sagen die Qualität – die Einschätzung der Situation.“
Genau für diese Spielsituationen hatte der FCB im Sommer den Portugiesen, der als Soforthilfe angedacht war, ursprünglich verpflichtet und über 50 Millionen Euro an den FC Fulham überwiesen. Vor der Abwehrreihe sollte Palhinha für Stabilität sorgen und das risikoreiche Spiel absichern.
Freund wird zu Tuchel deutlich
In Anbetracht der bisherigen Spielzeit und Leistungen des Portugiesen ein zu teures Preisschild, zumal sich der 29-Jährige im besten Alter befindet und wohl keine großen Entwicklungsschritte mehr zu erwarten sein dürften.
TV-Experte Steffen Freund stellte den Nutzen der Verpflichtung in der Bundesliga Webshow von ran in der vergangenen Woche mitunter gänzlich infrage. „Ohne Wenn und Aber: Ja!“, meinte Freund auf die Frage, ob man sich den Transfer von Palhinha hätte sparen können und kritisierte: „Da liegt einer der größten Fehler, die Thomas Tuchel gemacht hat.“
„Warum müssen wir in Deutschland so einen Topspieler wie Joshua Kimmich so kritisieren, wenn er einfach mal eine Formkrise hat - oder wenn etwas nicht läuft?“, fragte sich Freund bezüglich des wiedererstarkten Kimmich. „Und warum will Thomas Tuchel Palhinha verpflichten, wenn man Kimmich hat? Diese Entscheidung hätte ich nicht getroffen.“
Unter dem neuen Cheftrainer Vincent Kompany schien sich die Kritik von Freund bisher zu bestätigen. Mit 27 Prozent der möglichen absolvierten Spielminuten liegt die Vermutung nahe, Palhinha passt nicht in das System des neuen FCB-Coaches.
Dennoch könnte die Verletzungssituation dafür sorgen, dass Palhinha in den kommenden Wochen weiterhin in der Startelf stehen wird. Schon auf der Pressekonferenz vor dem Champions-League-Kracher stärkte Kompany den Spieler: „Sie haben gegen Stuttgart gesehen, war er kann. Das ist deutlich.“
Wird Goretzka wieder relevant?
Palhinha selbst sei, wie er der Bild berichtete, nach dem Einsatz gegen Stuttgart „sehr glücklich“ gewesen, „weil ich wusste, dass das eine große Chance für mich sein würde.“ Eine Chance, die schon nach einem Spiel ein wenig verpufft sein könnte.
Der eigentlich bereits aussortierte Leon Goretzka übernahm am Mittwoch nach der Auswechslung von Palhinha und kam in den verbliebenen 30 Minuten auf seine längste Spielzeit in dieser Saison.
„Bei mir würde wahrscheinlich Goretzka spielen. Ich hätte vielleicht dann auch gar keinen Palhinha für 50 Millionen gebraucht, weil ich auf Goretzka gesetzt hätte“, meinte Lothar Matthäus vor dem Debakel gegen Barcelona bei Sky90. „Mal sehen, wo die Reise hingeht.“