Die Erinnerungen an einen Novemberabend im Jahr 1991 waren bei Pep Guardiola auch viele Jahre später noch hellwach. „Wenn Deutsche gedemütigt werden, hält sie nichts mehr auf”, sagte der Starcoach viele Jahre später: „Ich weiß das. Ich war in Kaiserslautern. Damit bin ich genug bedient.“
„Flicks Kaiserslautern“
Bis heute ist dieser Novemberabend und die Stadt Kaiserslautern in Spanien ein Mythos - der auch nach dem dramatischen Rückspiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Barcelona präsent ist. „El Kaiserslautern de Flick“, Flicks Kaiserslautern, lautete danach die Schlagzeile der großen Sportzeitung AS. Was dahintersteckt? SPORT1 erklärt es.
Kaiserslautern verpasste Barca 1991 ein Trauma
Für den FC Barcelona ist der 6. November 1991 ein besonderer Tag der Klubgeschichte: Im Achtelfinale des Europapokals der Landesmeister traf Barca gastierte damals beim deutschen Champion 1. FC Kaiserslautern - mit einem scheinbar beruhigenden 2:0 aus dem Hinspiel im Rücken.
Der damals 20-jährige Guardiola war damals Teil eines starbesetzten Kollektivs mit Torwart Andoni Zubizarreta, Ronald Koeman, Michael Laudrup und Hristo Stoichkov, an der Seitenlinie stand Guardiolas Lehrmeister, der große Johan Cruyff.
In der FCK-Startelf von Kalli Feldkamp standen derweil neben Kult-Keeper Gerald Ehrmann und Stürmer Stefan Kuntz Namen wie Oliver Schäfer, Uwe Scherr, Guido Hoffmann, Frank Lelle und Marcel Witeczek - sie sollten dem Starensemble aus Katalonien ebenso das Fürchten lehren wie Jupp Heynckes FC Bayern in der vorherigen Bundesliga.
Demir Hotic wird zum Schreckgespenst
Vor einer entfesselten Anhängerschaft auf dem Betzenberg wuchs Feldkamps Team gegen Barca über sich hinaus: Nach einem Doppelpack des bosnischen Offensivspielers Demir Hotic und einem weiteren Tor des Dänen Bjarne Goldbaek führte der FCK nach 76 Minuten mit 3:0.
Bis zur 90. Minute steuerte Barca auf ein bitteres Aus zu, ehe José Maria Bakero kurz vor Schluss das 3:1 erzielte - das wegen der damals noch gültigen Auswärtstorregel das Weiterkommen sicherte.
Dass die Achtelfinalpartie der Blaugrana in der Pfalz eine derartige Bedeutung in der Vereinsgeschichte einnimmt, liegt auch daran, dass in der Folge der bis dahin größte Titel der Vereinsgeschichte errungen werden konnte. Mit 1:0 nach Verlängerung setzte sich Barca in Wembley gegen Sampdoria Genua durch und holte im Vorgängerwettbewerb der Champions League erstmals den Henkelpott. Koeman erzielte in der 112. Minute den goldenen Treffer.
Der Gedanke, dass ein Novemberabend in der Pfalz den großen Triumph fast verhindert hätte, verankerte das Wort „Kaiserslautern“ tief im kollektiven Gedächtnis Barcas - und speziell auch bei Guardiola.
Iniesta-Treffer sorgt für Kaiserslautern-Erinnerungen
Ob bei Begegnungen mit deutschen Teams als Trainer der Katalanen oder später in seiner Zeit als Bayern-Coach - das in Kaiserslautern Erlebte nahm Pep Guardiola stets zum Anlass, um vor den Comeback-Qualitäten deutscher Mannschaften zu warnen, unter anderem auch nach dem berühmt-berüchtigten 4:0 gegen Jürgen Klinsmanns Bayern anno 2009.
Bayern kam damals bekanntlich nicht zurück, unter umgekehrten Vorzeichen wiederholte sich die Geschichte dann aber im Halbfinale derselben Saison.
In einem ebenfalls denkwürdigen Duell schaltete Barcelona damals den FC Chelsea mit Michael Ballack nach einer dramatischen Wendung in der Nachspielzeit aus. Nach einem 0:0 im Hinspiel traf Andrés Iniesta an der Stamford Bridge in der 93. Minute zum 1:1-Ausgleich - und schoss Barca ins Finale. Gleich achtmal schrie ein völlig ekstatischer Kommentator im katalanischen Radio in den Sekunden nach Iniestas Treffer „Kaiserslautern“ ins Mikrofon. Für Barca stand wie schon 1992 am Ende der Saison der Titelgewinn.
Auch Piqué hat Lautern in Erinnerung
FC Barcelona, Auswärtsspiel im Europapokal in Deutschland, 1:3, dramatisches Weiterkommen - diese Komponenten reichten der As nach dem Rückspiel gegen den BVB nun ebenfalls aus, um den historischen Vergleich zu bemühen - wenngleich er etwas hinkt.
Während damals in Kaiserslautern das Aus unmittelbar bevorstand, trennten den BVB immerhin zwei Tore davon, überhaupt die Verlängerung zu erreichen.
Doch „Kaiserslautern“ als Synonym für schier ausweglose Situationen ist tief in der katalanischen DNA verankert, wie auch Gerard Piqué 2017 bewies. Barca gelang das wohl verrückteste Comeback in der Champions-League-Geschichte, nach der 0:4-Niederlage im Hinspiel wurde PSG mit 6:1 besiegt. „Sowas habe ich seit Bakero gegen Kaiserslautern nicht erlebt“, erklärte der Verteidiger. An der Seitenlinie stand Guardiola, der Piqués Worte nur bestätigen konnte. Und „Kaiserslautern“ als eines seiner ersten deutschen Worte für immer verinnerlicht hat.