Er klatschte noch mit ein paar Spielern ab, tauschte sein Trikot und dann stapfte Vinícius Júnior nur wenige Augenblicke nach dem Schlusspfiff als erster Spieler vom Rasen.
Der Fall Vinícius wird bei Real Madrid zur "tickenden Zeitbombe"
Fall Vinícius? „Tickende Zeitbombe“
Es wirkte wie ein Abgang nach einer bitteren Niederlage, dabei hatte sein Real Madrid soeben zum Start der Champions League mit 2:1 (1:1) gegen Olympique Marseille gewonnen. Doch Vinícius war offensichtlich nicht in Feierlaune.
„Seine Körpersprache vermittelte eine gewisse Frustration“, urteilte die Marca. Sein Saisonstart werfe „mehr Fragen als Antworten“ auf - vor allem, weil er in zwei der fünf Partien vom neuen Trainer Xabi Alonso zunächst auf die Bank gesetzt wurde.
„Eine tickende Zeitbombe“
Sein erneuter Bankplatz, der bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung der Startelf in Spanien heiß diskutiert wurde, habe nun „die Alarmglocken schrillen lassen“, wie die Marca am Tag danach weiter schrieb.
Und die Zeitung Sport titelte: „Vinícius, eine tickende Zeitbombe.“ El Confidencial wertete die Reservistenrolle für den Offensivstar als eine „starke Botschaft“ von Alonso.
Der Coach selbst verteidigte seine Maßnahme. „Wir haben einen sehr anspruchsvollen Kalender und brauchen jeden“, sagte Alonso auf der PK. „Jeder wird seinen Moment haben. Das Wichtigste ist, dass alle bereit sind und sich jeder wichtig fühlt, denn das sind sie und zwar die gesamte Saison über.“
Und: „Niemand sollte sich beleidigt fühlen, weil er auf der Bank sitzt.“
Doch Vinícius‘ Abgang vermittelte den Eindruck, dass das stolze Ego des brasilianischen Superstars eine empfindliche Kränkung erlitten hatte. Erst nach gut einer Stunde wurde der 25-Jährige eingewechselt - und war dann noch an der Entstehung des umstrittenen Handelfmeters beteiligt, den Kylian Mbappé zum 2:1-Endstand verwertete.
Vinícius unter Alonso nur Teilzeit-Profi
Bei seinem ersten Jokereinsatz in dieser Saison in La Liga bei Aufsteiger Real Oviedo hatte er mit einem Tor und einem Assist nach seiner Einwechslung geglänzt.
Bislang hat er unter Alonso noch kein Spiel über die vollen 90 Minuten bestritten, bei seinen anderen drei Startelfeinsätzen wurde er jeweils im Laufe der zweiten Hälfte ausgewechselt.
Auch wenn nun die erneute Reservistenrolle am Dienstag allgemein mit Überraschung aufgenommen wurde, zeigte sich Ex-Profi Predrag Mijatovic nicht sonderlich verwundert. „Ich kenne Xabi Alonsos Philosophie und Methodik, und es überrascht mich nicht“, sagte Mijatovic bei Cadena SER.
„Xabi möchte, dass alle Spieler fit sind und fast alle in jedem Spiel sowohl in der Liga als auch in der Champions League viel Spielzeit bekommen. Er wird kein Problem damit haben, jemanden auf die Bank zu setzen“, erklärte der frühere Mittelstürmer.
„Wenn er sich mehr ins Zeug legt, wird er spielen“
Entscheidend ist für Mijatovic, wie Vinícius mit der Situation umgeht. „Wenn du schlecht trainierst, ohne Lust, weil du nicht in der Startelf stehst, wirst du natürlich nicht spielen. Ich würde mir keine allzu großen Sorgen machen, es hängt von ihm ab. Wenn er sich mehr ins Zeug legt, wird er spielen, und wenn nicht, spielt ein anderer.“
Während Vinícius unter Carlo Ancelotti nahezu Narrenfreiheit genoss, ist sein Status unter Nachfolger Alonso nicht mehr unantastbar. „Vinícius Júnior ist nicht mehr der grundlegende Akteur für Real Madrid im Sinne von Xabi Alonso“, sagte ESPN-Reporter Gustavo Hofman.
Das hängt auch mit den taktischen Anforderungen, die Alonso verlangt, zusammen. „Die Wahrheit ist, dass er trotz seiner Verbesserung in der Defensive den Status des Unberührbaren verloren hat“, analysierte der stellvertretende AS-Chefredakteur Luis Nieto.
Wird auch Vinícius‘ Vertragssituation ein Thema?
Die von Alonso verlangte taktische Disziplin passe nicht zum individualistischen Stil von Vinícius, schrieb die Sport. Gegen OM erhielt Rodrygo den Vorzug. Die AS rief das Duell der beiden Brasilianer bereits zum „Kampf des Jahres“ aus.
Auch Vinícius‘ Vertragssituation könnte verstärkt ein Thema sein. Noch zu Jahresbeginn deutete vieles auf eine Verlängerung seines 2027 auslaufenden Vertrags hin, doch Real-Präsident Florentino Pérez soll nicht bereit sein, auf die Forderungen des Offensivstars einzugehen.
„Die Frage ist, ob er die Situation ertragen wird, wenn seine Bedeutung weiter abnimmt. Sollte dies geschehen, befürchtet man, dass er anfängt, sich über sein Umfeld zu beschweren, weil er sich missverstanden fühlt“, hieß es bei der Sport.
Und mit jeder Minute, die Vinícius auf der Bank verbringt, wird das Ticken der Zeitbombe lauter.