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Kaum da - und schon mächtig angezählt

Ein Idol gerät frühzeitig ins Wanken

Ein kapitaler Fehlstart von Ajax Amsterdam in die Champions League wirft Fragen nach dem erst frisch installierten Coach John Heitinga auf. Die Klublegende verwundert Experten und heimische Medien mit seinem System - und seinen Analysen.
Ajax Amsterdam erlebt in der Champions League einen bitteren Abend beim 0:4 in Marseille. Trainer John Heitinga hebt die Qualität des Gegners hervor.
Ein kapitaler Fehlstart von Ajax Amsterdam in die Champions League wirft Fragen nach dem erst frisch installierten Coach John Heitinga auf. Die Klublegende verwundert Experten und heimische Medien mit seinem System - und seinen Analysen.

Ärger, Verwunderung, Fassungslosigkeit. Auf das 0:2 gegen Inter Mailand zum Auftakt der Ligaphase in der Champions League folgte für Ajax Amsterdam am Dienstagabend eine derbe 0:4-Niederlage gegen Olympique Marseille.

Es ist ein herber Schlag für das Selbstverständnis des viermaligen europäischen Champions, der auch in der jüngeren Vergangenheit einige Glanzlichter in der Königsklasse gesetzt hatte: Man denke zurück, an die Saison 2021/22, als Ajax mit sechs Siegen aus sechs Spielen durch die Gruppenphase marschierte. Und natürlich an 2018/19, als ganz Fußball-Europa darüber staunte, wie das damalige Team von Erik ten Hag auf dem Weg ins Halbfinale Real Madrid und Juventus Turin aus dem Weg räumte.

Nun sieht das Bild völlig anders aus: Kein Sieg, kein Tor, kein Punkt und der vorletzte Platz in der Tabelle. Einzig der kasachische Champions-League-Neuling FK Qairat Almaty erwischte einen schlechteren Start in die neue Saison der Königsklasse.

Nach dem 0:4 gegen Marseille droht bereits früh das zweite Aus nacheinander in der Ligaphase des Turniers. In den Medien wird Coach John Heitinga schon angezählt - und auch bei der Mannschaft ist der Frust groß.

Frust bei Ajax - Oranje-Legenden geschockt

„Als Ajax müssen wir uns an den Kopf fassen, dass wir vor nur ein paar Jahren weiter waren als Marseille und dass es jetzt umgekehrt ist“, sagte Kapitän Davy Klaassen nach der Partie: „Vor ein paar Jahren haben wir solche Teams noch hinter uns gelassen. Das hat sich jetzt geändert.“

Schon nach zwölf Minuten hatte Marseille Ajax durch den ehemaligen Feyenoord-Profi Igor Paixào doppelt düpiert und legte durch Mason Greenwood in der 26. Minute nach.

„Es ist das, was wir befürchtet haben, dass man von Anfang an Chaos gesehen hat. Tag der offenen Tür von der ersten Minute an“, sagte Ajax-Ikone Marco van Basten schon in der Halbzeitpause bei Ziggo Sport und fragte sich: „Ich finde es sehr merkwürdig, dass man dann ab der ersten Minute Eins-gegen-eins spielt. Es ist mutig, ja, aber auch kopflos.“

Auch Rekordnationalspieler Wesley Sneijder ärgerte sich: „Wenn man diesen Raum für ihre Angreifer so groß lässt, wissen die genau, wie sie das ausnutzen. Nach drei Pässen lag der Ball im Netz. Überall Pärchen, daran ärgere ich mich zu Tode. Das geht auf diesem Niveau nicht. Dann zeigen die Spieler aufeinander und stehen auf Positionen, auf denen sie nicht sein sollten.“

In der zweiten Halbzeit brachte Marseille die Führung über die Zeit und erhöhte in der 52. Spielminute durch Altmeister Pierre-Emerick Aubameyang, der mit einem Tor und zwei Vorlagen zum Spieler des Spiels wurde.

Heitinga überrascht mit positivem Fazit

Umso überraschender ist es, dass Ajax-Trainer Heitinga die Leistung seiner Mannschaft trotz der deutlichen Niederlage mit einigen positiven Aussagen kommentierte.

„Du spielst einfach gegen eine sehr gute Mannschaft, die letzte Woche noch Paris Saint-Germain besiegt hat“, relativierte Heitinga und führte aus: „Ich habe den Jungs Komplimente gemacht. Wir haben mutig gespielt, gekämpft und auch beim 0:4 weitergekämpft.“

Der langjährige Ajax-Verteidiger, einst kurz auch bei Hertha BSC aktiv, ergänzte: „Wir fangen gut an, aber nach fünf Minuten liegen wir zurück. Danach nutzen sie unsere Fehler zweimal aus. Sie haben jeden Fehler von uns bestraft. Sie sind eine Nummer zu groß für uns.“

Heitinga wehrte sich auch gegen die Kritik, dass sein Team zu fahrlässig nach vorn gespielt hätte: „Ich werde auf jeden Fall hinter meinem Plan stehen. Wir versuchen, mit Mut zu spielen. Ich sehe sie jeden Tag.“

Ausgerechnet Sturmlegende van Basten sah das völlig anders als der ehemalige Nationalverteidiger Heitinga: „Ich finde es wirklich unglaublich. Er besteht auch weiterhin darauf, dass man gegen ein solches Team in der Champions League hohen Druck ausüben und Risiken eingehen muss. Das ist einfach Wahnsinn“, meinte der TV-Experte.

Presse: „Ajax auf der Schlachtbank“

Doch nicht nur von den Experten wurde der schwache Auftritt von Ajax stark kritisiert. Sowohl niederländische als auch französische Medien wurden nach der Partie überdeutlich.

„Die Spieler von Ajax haben die gesamte erste Halbzeit verpasst. Die zahnlosen und chaotischen Spieler von Trainer John Heitinga wurden vom Druck Marseilles erstickt und auch durch ihre eigenen Fehler bestraft“, schrieb das französische Leitmedium L‘Équipe.

Auch RMC Sport wunderte sich über den schwachen Gegner und schrieb: „Die Niederländer haben keine Lösung. Ajax ist völlig fassungslos.“

In den heimischen Medien wurde die Kritik noch einmal schonungsloser ausgedrückt. „Auf kindlich unreife Weise schickte John Heitinga sein Ajax zur Schlachtbank nach Marseille“, titelte sportnieuws.nl.

Heitinga wird schon infrage gestellt

Andere Medien stellen bereits mehr oder weniger offen die Trainerfrage - obwohl Heitinga den Klub erst im Sommer übernommen hat und in der Liga Tabellendritter und nach sieben Spielen noch ungeschlagen ist.

„Wird es zum Tag der Abrechnung für Heitinga kommen?“, fragte De Telegraaf: „Hat er sich mit der blamablen 0:4-Niederlage in der Champions League bei Olympique Marseille endgültig ins Aus geschossen?“

Es sind vor allem die Zweifel am System von Klubidol Heitinga, die die Diskussion befeuern, ob sich die Personalie früh als Missverständnis zu entpuppen droht.

Heitinga selbst zeigte sich nach dem Spiel hingegen zuversichtlich, seinen Plan auch langfristig umsetzen zu können. „Nein, das glaube ich nicht“, antwortete der 41-Jährige auf eine Frage nach seinem Job: „Wir sind ein Team im Aufbau. Und am Ende weiß ich, dass wir es in die Spur bringen werden, aber das wird noch einige Zeit dauern.“